Degler denkt:Angela Brüning

Betriebsmodus Durchwursteln - so schlingert die Bundesregierung durch die Weltwirtschaftskrise. Dabei sind Risiken und Herausforderungen glasklar.

Dieter Degler

Eigentlich sind Krisenzeiten das ideale Biotop für geistige und materielle Erneuerung. Es ist ja, wenn alles in Trümmern liegt, meist nur eine Frage der Zeit, bis neue und im günstigsten Fall bessere Gebäude und Gedanken entstehen als zuvor. Erst als ihr Land in Schutt und Asche lag, erkannten die Deutschen beispielsweise die Segnungen der Demokratie.

Degler denkt: Während Kanzlerin Merkel ihren Kabinettssuperstar zu Guttenberg als Rächer der enterbten Opelaner in die USA schickt, wächst der Handlungsbedarf an der Heimatfront ins kaum noch Messbare.

Während Kanzlerin Merkel ihren Kabinettssuperstar zu Guttenberg als Rächer der enterbten Opelaner in die USA schickt, wächst der Handlungsbedarf an der Heimatfront ins kaum noch Messbare.

(Foto: Foto: AP)

Mitten im Schwächeanfall der Weltwirtschaft steht die zukunftsweisende Idee allerdings noch aus. Es gibt zwar Ansätze für kniffelige Korrekturen im Bankenwesen: Wie kurz muss die regulierende Leine sein, damit sich die Immobilien- und Finanzmarktblase nicht wiederholt - und wie lang muss sie sein, damit das globale Geldkarussell wieder in Schwung kommen kann?

Aber die Frage, was aus sozialer Marktwirtschaft und Kapitalismus wird, ist unbeantwortet.

Muss sich "alles" ändern, wie Europas Oberfinanzier Jean-Claude Trichet glaubt? Ist der Kapitalismus reparierbar oder muss an seine Stelle etwas anderes treten, und falls ja, was? Ist die globale Krise, wie die Grünen meinen, der Startpunkt für einen Green New Deal? Ist der Neoliberalismus an der Schwelle zur Post-Lehman-Ära gescheitert oder steht er, wie die FDP-Umfrageergebnisse zu signalisieren scheinen, vor einer neuen Blüte?

Sicher scheint derzeit nur eines: Weiter im Betriebsmodus Durchwursteln zu regieren, wie es die große Koalition seit einem halben Jahr versucht, ist hochgefährlich. Ein Plan B zur aktuellen Berliner Zauder-Agenda ist nicht zu erkennen. Und was die Kanzlerin "auf Sicht fahren" nennt, könnte sich am Ende als unkontrollierte Blindtour mit fatalem Ausgang entpuppen.

Es gab ja in Deutschland schon mal einen konservativen Kanzler in ähnlicher Situation wie Angela Merkel. Der Mann startete als Nachfolger eines SPD-Regierungschefs in schweren ökonomischen Turbulenzen: Die Arbeitslosenzahlen stiegen, die Staatsverschuldung wuchs im Eiltempo, Unternehmen meldeten reihenweise Konkurs an.

Die Sozialdemokraten, auf deren Unterstützung er beim Regieren angewiesen war, trieben ihn vor sich her, in der eigenen Partei wuchs der Widerstand, die Beliebtheit bei den Wählern sank fast senkrecht, bis er schließlich zurücktrat. Das war vor knapp 80 Jahren während der ersten Weltwirtschaftskrise. Der Mann hieß Heinrich Brüning und hinterließ nach zwei Jahren Kanzlerschaft einen politisch-ökonomischen Scherbenhaufen, aus dem anschließend der Geist des Antimenschen aufstieg.

Nun ist außerhalb der Naturwissenschaften ja nichts mit nichts vergleichbar: Die Staatskasse wird nicht wie 1930 von Reparationszahlungen aufgezehrt, auch wenn man die Kosten für die Reparatur des Bankenwesens allmählich so sehen kann. Brünings Notverordnungen, mit denen er die Weltwirtschaftskrise einzudämmen und Deutschland von den Kriegsschulden zu befreien suchte, waren etwas ganz anderes als die Merkel'sche Notverordnung zur Hypo-Real-Estate-Enteignung. Und die Nationalsozialisten saßen bereits im Reichstag. Heute ist ihr Erfolg noch auf das Einsammeln von Jugendlichen begrenzt, die ihnen allerdings - so beängstigend wie damals - schon wieder stärker zulaufen als allen bürgerlichen Parteien zusammen.

Vergleichbar ist aber, bei allen Unterschieden der Rahmenhandlung, der Eindruck wirtschaftspolitischer Inkompetenz und Ideenlosigkeit, der bei Hunger- und Deflationskanzler Brüning als erwiesen gelten darf - und sich bei Angela Merkel täglich stärker aufdrängt. Während sie ihren neuen Kabinettssuperstar in die USA schickt, wo er sich zwischen Detroit und Washington als Rächer der enterbten Opelaner zu inszenieren sucht, wächst der Handlungsbedarf an der Heimatfront ins kaum noch Messbare.

Ungelöst ist die Stabilisierung der für Deutschland besonders wichtigen Exportmärkte, vor allem in Europa. Ungelöst ist das Problem der überbordenden Staatsverschuldung. Und weiterhin ungelöst ist die Frage, wie der deutsche Konjunkturmotor wieder in Gang kommen soll.

Im Grunde geht es um drei komplexe Maßnahmenpakete, zu der sich die Bundesregierung aufraffen sollte. Erstens: Sie muss mit einem dritten Konjunkturprogramm in nationale Stimuli investieren, und zwar deutlich beherzter und überzeugender als bisher. Vorbilder sind die USA und China. Wenn das Bruttosozialprodukt um fünf Punkte einzubrechen droht, kann eine Staatsspritze von rund einem Prozent wenig ausrichten.

Zweitens: Sie muss jenen europäischen Staaten, die am Rande der Zahlungsunfähigkeit schlingern, helfen. Dort drohen nach Wachstum auf Pump und gewaltigen Devisenspekulationen westlicher Banken Abwertungen der nationalen Währungen von 50 bis 60 Prozent - mit den vorhersehbaren Folgen für den Import von dann unbezahlbaren Gütern aus Deutschland und anderen Ländern. Verweigern Deutschland und die EU diese Unterstützung weiterhin, laden sie Schuld an Dauer und Tiefe der Depression auf sich.

Drittens: Die Bundesregierung muss zu einer seriösen Haushaltspolitik zurückkehren und nicht mehr ausgeben, als sie einnimmt. Vorschläge dazu gibt es en masse, allein die gesammelten Ideen zur Kürzung von Subventionen bergen ein gewaltiges Sparpotential. Sparen bedeutet aber auch, dass der durchschnittliche Lebensstandard für eine wahrscheinlich begrenzte Zeit abgesenkt wird. Es wäre unfair, dies den sozial Schwachen aufzubürden, den oberen zwei Dritteln der Wohlstandsgesellschaft ist es aber durchaus zuzumuten.

Das ist für eine Regierung, gerade in einem Wahljahr, eine unangenehme Aufgabe. Aber Angela Merkel weiß ja, dass ungewöhnliche Herausforderungen auch ungewöhnliche Maßnahmen erfordern.

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