Degler denkt:Ahmadinedschad, der Zweite

Der Westen hält sich mit seiner Kritik an den iranischen Wahlfolgen auffallend zurück - aus guten Gründen. Es ist zweifelhaft, ob der Oppositionelle Mussawi besser für Iran wäre als der Amtsinhaber.

Dieter Degler

Es ist bemerkenswert, wie tief die Diskrepanz zwischen öffentlicher Erregung und politischen Reaktionen auf die Iran-Wahl ist.

Ahmadinedschad, dpa

Mir Hussein Mussawi (li.) und Mahmud Ahmadinedschad: So verschieden sind die beiden Politiker gar nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Auf der einen Seite die Medien, welche die Niederschlagung der Anti-Ahmadinedschad-Proteste fast auf eine Stufe mit dem Massaker in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens stellen und die offensichtlich bei einer Protestkundgebung gestorbene Studentin Neda zur Märtyrerin der demokratischen Bewegung erhöhen.

Auf der anderen Seite die Politiker, die sich mit klaren Stellungnahmen quälen. Ob Londons Gordon Brown, ob Angela Merkel, unsere Mutter Beimer der Weltdiplomatie, oder der sonst so wortmächtige Barack Obama - sie alle ließen sich Zeit mit ersten Kommentaren, drucksen nun herum und äußern sich zum offenkundigen Unrecht auf den Straßen Teherans selbst auf Nachbohren verhalten bis widerstrebend.

Auf die Frage, was er denn für die Rechte iranischer Dissidenten zu tun gedenke, fiel Obama diese Woche nur ein, dass er das iranische Volk wissen lasse, Amerika beobachte die Proteste und fühle mit ihm.

Die Vorsicht hat Gründe, dies sind die wichtigsten: Zum einen stehen westliche Staaten, vor allem Briten und Amerikaner, seit Jahrzehnten bei der Mehrheit der Iraner unter dem Generalverdacht für alles und jedes Schlechte im Land verantwortlich zu sein.

Das ist heute zwar in der Sache Unsinn, geht aber auf üble Erfahrungen der Iraner mit Engländern, British Petroleum und einer hinterhältigen CIA-Aktion zu Schah-Zeiten zurück, mit welcher der demokratische Premierminister Mossadegh gestürzt und das brutale Pahlewi-System durchgesetzt wurde.

Zweitens: Der inneriranische Richtungsstreit hat zahllose, teils widersprüchliche Facetten. Ob die jungen Leute, die in den Großstädten protestieren, tatsächlich den Kandidaten Mussawi unterstützen und von einer Demokratie westlicher Prägung träumen, nur weil sie bloggen und twittern, ist fraglich. Und welche Fraktion im Krieg der Ayatollahs von Ghom am Ende obsiegt, ist völlig offen.

Drittens gibt es übergeordnete Ziele. Wer immer Iran davon abbringen will, Atomwaffen zu entwickeln, muss mit der Regierung verhandeln, was sie innenpolitisch auch anrichten mag. Würde der Westen jetzt große diplomatische Kanonen auffahren oder gar Sanktionen beschließen und Ahmadinedschad bliebe an der Macht, gäbe es auf unabsehbare Zeit keine Gesprächsmöglichkeiten mehr.

Und viertens ist fraglich, ob ein vom Westen unterstützter Mussawi für Iran und den Rest der Welt ein Gewinn wäre. Denn Mussawi ist kaum einen Deut besser als der aktuelle Amtsinhaber.

Es war Mussawi, der vor dreißig Jahren als Chefintellektueller der "Partei der Islamischen Republik", genannt "Partei der Keulenschwinger", Gewalt gegen Demokraten und Liberale verteidigte. Seine Loyalität gegenüber Ayatollah Khomeini bewies er, indem er die Massenhinrichtungen politisch Andersdenkender 1981 bedingungslos unterstützte, was ihm die Berufung zum Regierungschef eintrug. Während Mussawis Amtszeit wurden rund 30.000 politische Gefangene ermordet.

Er war es, der die Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft verteidigte und den Ruf "Tod für Amerika" zur Parole des Geheimdienstes erhob. Seine Gefolgsleute unterstützten jahrelang fundamentalistische Terroristen im Libanon. Es war Mussawi, der die Vollstreckung der Todesstrafe an Salman Rushdie forderte. Und es ist Mussawi, der das Atomprogramm seines Landes weitertreiben will, bis keine Regierung der Welt mehr dagegen protestiert. Kurz: Mussawi ist nur ein anderes Wort für Ahmadinedschad.

Erregte Berichterstattung, das Mitgefühl des Westens und die dürren Worte der Anteilnahme werden den Dissidenten in Teheran wenig helfen. Aber mit mehr werden sie kaum rechnen können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: