Debatte um Wehrpflicht:Die Armee der Bürger

Die bundesdeutsche Wehrpflicht war, in ihrer Zeit, ein Erfolgsmodell. Nun ist diese Zeit abgelaufen - und es ist nicht ihre Aufgabe der Union zu einem schönen Selbstbild zu verhelfen.

Joachim Käppner

Im Mittelalter kam es bisweilen vor, dass den großen Landesfürsten die Geduld mit den kleinadeligen Rittern ausging. Die tummelten sich nämlich auf ihren Burgen, erfreuten sich ihrer Freiheit und scherten sich keinen Deut um den Machtanspruch der Territorialherren. Diese aber rückten dann mit einem Heerhaufen aus, ließen die Feste des einen oder anderen Aufsässigen mit Brandpfeilen und Steinen beschießen und warteten, was der Belagerte in dieser unerfreulichen Lage wohl tun würde. Oft waren sie schon zufrieden, wenn der Ritter als Zeichen der Reue die Flagge des Landesherrn aufzog und Besserung gelobte.

SPD: Bundeswehr-Umfang mit 250.000 Soldaten nicht zu halten

Obwohl die Bundeswehr noch immer fast eine Viertelmillion Soldaten stark ist, gerät sie an die Grenze der Belastbarkeit, wenn nur 7000 der 247.000 Soldaten gleichzeitig im Ausland aktiv sind.

(Foto: ddp)

Im Falle des Freiherrn und Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg werden die Landesfürsten wohl lange auf Signale der Ergebenheit warten müssen. Ministerpräsidenten der Union haben ihn nun heftig gescholten für seine Überlegungen, zunächst auf die Wehrpflicht zu verzichten. Der Saarländer Peter Müller hält ihm gar vor, die Wehrpflicht sei "ein Stück Identität der Union". Die Vorwürfe sind deswegen so aufschlussreich, weil sie weniger mit den Streitkräften als mit den Problemen der Partei zu tun haben.

Es ist nämlich nicht Aufgabe der Bundeswehr, der Union zu einem schönen Selbstbild zu verhelfen. Es ist Aufgabe der Regierungsparteien CDU und CSU, die Bundeswehr so auszurüsten und aufzubauen, dass sie besser gerüstet für ihre künftigen Aufgaben ist. Es ist auch nicht Pflicht der Bundeswehr, möglichst viele Standorte möglichst gerecht über möglichst alle Bundesländer zu verteilen, um deren Strukturprobleme zu lindern.

Die Sorge um diese Standorte ist nämlich ein treibendes Motiv der Unionspolitiker, die Guttenberg nun kritisieren: Wenn die Armee kleiner wird und die Wehrpflicht fällt, dann würden mit ihr auch zahlreiche Kasernen und Stützpunkte verschwinden. Und letztlich ist die Bundeswehr auch nicht dafür da, auf dem Umweg des Ersatzdienstes Personal für Sozialeinrichtungen zu beschaffen.

Die Bundeswehr ist heute, wie man gern sagt, eine Armee im Einsatz. Doch ihre innere Struktur entspricht in zu großem Maße noch immer jener von 1989, auch wenn sie seither um die Hälfte geschrumpft ist: der einer Armee zur Landesverteidigung, gestützt auf die allgemeine Wehrpflicht. Sie wurde geschaffen, als sowjetische Panzerdivisionen nahe Weimar stationiert waren und die freie Welt an der innerdeutschen Grenze endete. Heute ist Deutschland von Freunden und Verbündeten umgeben.

Eine Armee im Einsatz

Und obwohl die Bundeswehr seit 20 Jahren ständig umgebaut wird und noch immer fast eine Viertelmillion Soldaten stark ist, gerät sie an die Grenze der Belastbarkeit, wenn nur 7000 der 247.000 Soldaten gleichzeitig im Ausland aktiv sind. Sie ist wesentlich größer als die britische Berufsarmee, obwohl die Streitkräfte Ihrer Majestät international weit härter gefordert werden als die deutschen. Deutsche Wehrpflichtige müssen nicht einmal ins Ausland, wenn sie nicht wollen. Gleichzeitig tritt nur ein Bruchteil der Gemusterten den Dienst an, weil es viel zu wenige Stellen für sie gibt. Und der Tag rückt näher, an dem das Bundesverfassungsgericht diese Praxis kippen wird.

Bei der Bundeswehr scherzen die Offiziere gern: Nichts ist schwieriger als die Lage. Der Verteidigungsminister hat eine große und schwerfällige Armee, die zu viel Geld kostet - und er muss gleichzeitig auch noch den Sparkurs seiner Regierung umsetzen. Nun hat er sich entschlossen, das Problem an der Wurzel zu packen. Zu den Opfern, die er notwendigerweise bringen muss, wird wohl auch die Wehrpflicht gehören.

Dabei ist es gar nicht nötig, sie abzuschaffen und die Verfassung zu ändern. Viele Staaten, wie die USA noch während des Vietnamkrieges, haben den Pflichtdienst an der Waffe einfach ausgesetzt. Die Streitkräfte werden aus Profis und Freiwilligen gebildet, die restlichen Staatsbürger müssen nicht mehr Uniform tragen, sondern sich lediglich registrieren lassen. Im Fall einer militärischen Bedrohung, zu deren Abwehr ein Massenheer nötig wäre, ließe sich die Wehrpflicht wieder einführen - wie in Großbritannien 1939. Nur fällt es heute, im Zeitalter asymmetrischer Bedrohungen, sehr schwer, sich einen solchen Fall vorzustellen.

Die Zeit ist abgelaufen

Besonders ernst zu nehmen ist das Argument, die Wehrpflicht knüpfe ein Band zwischen dem demokratischen Staat und seiner Armee. Nach der Gründung der Bundeswehr haben die Wehrpflichtigen ohne Zweifel ein Gegengewicht zu einer Offiziersriege gebildet, die bei Kursk und in der Normandie gekämpft hatte und vielfach noch ihren Frieden mit dem neuen Staat machen musste.

Heute bilden aber Zeit- und Berufssoldaten schon das Rückgrat der Truppe. Sie sind aus der Zivilgesellschaft hervorgegangen und Soldaten einer Armee, die sich den Werten dieser Zivilgesellschaft ausdrücklich verpflichtet hat. Sie liefern keinerlei Anlass für die Vermutung der Friedensforscher, hier sei der neue, bedenkenlose Typus des universal soldier am Werk, im Gegensatz zum citizen soldier, dem Bürgersoldaten.

Die bundesdeutsche Wehrpflicht war, in ihrer Zeit, ein Erfolgsmodell. Sie hat erreicht, was sie erreichen sollte. Nun ist diese Zeit abgelaufen.

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