Debatte um Schwarz-Grün:Warum ein Hirngespinst Wirklichkeit werden kann

Natürlich werden Union und Grüne nach der Bundestagswahl 2013 miteinander über eine mögliche Koalition reden. Ein schwarz-grünes Bündnis könnte für beide Seiten sogar viele Vorteile haben. Kein Wunder also, dass Sozialdemokraten und Liberale jetzt so hysterisch reagieren.

Thorsten Denkler, Berlin

Es geschah vergangene Woche im Deutschen Bundestag: Die Debatte um die Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel zur Energiewende neigt sich dem Ende zu. Da setzt sich Merkel in eine der letzten Reihen des Plenums, um ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Es gibt Orte im Plenum, wo so ein Gespräch von Kameralinsen unbeobachtet stattfinden kann.

Bundestag

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundestag mit dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Jürgen Trittin. Ein Bild, das SPD und FDP gleichermaßen verärgern dürfte.

(Foto: dpa)

Merkel jedoch wählt einen Ort, der gut einsehbar ist. Fotos werden gemacht und erscheinen anderntags in den Tageszeitungen. Es sind Bilder, die SPD und FDP gleichermaßen verärgern werden. Irritiert sind sie durch Merkels Gesprächspartner: Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag.

Kaum bekommen Sozialdemokraten und Liberale wieder Luft, da legt der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg nach. Im Berliner Tagesspiegel lobt Winfried Kretschmann die Kanzlerin für den Atomausstieg. Merkel verdiene "großen Respekt für diese Entscheidung". Das sei eine "schwierige Kehrtwende, mit der sie innerparteilich ein hohes Risiko eingeht". Er empfiehlt seiner Partei, dem Ausstieg zuzustimmen. Damit falle eine wesentliche Hürde für Schwarz-Grün im Bund. "Die Verlängerung der Laufzeiten hat unüberbrückbare Gräben aufgerissen", sagt Kretschmann. "Die werden nun wieder eingeebnet."

Was Kretschmann aber auch sagt, ist: "Eine Option für 2013 ist es dadurch aber nicht zwingend."

Genau so ist es. Doch wie immer reagiert die Berliner Republik scheinbar aufgeregt, wenn es um Schwarz-Grün geht. Scheinbar, weil bei genauem Hinsehen ja keiner aus den Lagern von Union und Grünen so ein Bündnis kategorisch ausschließt.

Unions-Fraktionschef Kauder etwa sagt: "Grüne und Union trennt mehr als sie verbindet". Er sagt aber auch, mit dem Atomausstieg sei "jetzt eine große Trennungslinie weg". Grünen-Chef Cem Özedmir findet, die Schnittmenge mit der SPD sei größer. Er setzt aber hinzu: "Wir haben immer gesagt, dass wir je nach Situation vor Ort auch mit der CDU reden."

Kanzlerinnen-Gesprächspartner Jürgen Trittin sieht für die Grünen "kein rationales Motiv" für ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl 2013. "Mit der SPD lägen wir auf Augenhöhe - mit der CDU wären wir der Juniorpartner." Wobei auch Trittin natürlich weiß, dass sich sein Argument nur auf aktuelle Umfragen bezieht. 2013 kann alles anders aussehen.

Alles, was auf den ersten Blick nach einer Absage an Schwarz-Grün aussieht, entpuppt sich letztlich als Momentaufnahme.

Im November 2010 etwa war die Lage ebenfalls eine ganz andere als jetzt. Merkel hatte sich auf dem CDU-Parteitag dafür feiern lassen, schwarz-grüne Überlegungen als "Hirngespinste" abzutun. Das war nicht schwer. Mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke hatte Merkel jedes Nachdenken über solche Optionen ohnehin zunichtegemacht.

Dann kam Fukushima. Die Atomkatastrophe veränderte die Welt und die Energiepolitik der CDU.

Das zentrale Ausschlusskriterium für Schwarz-Grün im Bund ist damit weg. Merkels CDU muss hinnehmen, dass sie den Kampf um die Atompolitik verloren hat. Die Grünen haben ihn gewonnen, auch wenn sie sich noch schwertun, den Sieg zu akzeptieren.

Was Schwarz und Grün trennt - und was sie vereint

Kulturell trennen CDU und Grüne Welten. In ihren Grundüberzeugungen aber sind sich die Parteien ähnlicher, als manche vermuten würden.

[] Die Bewahrung der Umwelt - manche sprechen auch von Schöpfung - ist für beide Parteien ein großes Thema. Es war CDU-Kanzler Helmut Kohl, der grüne Themen als christdemokratisch erkannt und das Umweltministerium aus der Taufe hob - weit bevor der erste grüne Minister das Amt tatsächlich innehatte.

[] In der Sozialpolitik nähern sich beide Seiten immer weiter an. Auch die Union will Hungerlöhne verhindern, ist aufgeschlossener denn je gegenüber Mindestlöhnen. Selbst eine Bürgerversicherung scheint nicht länger utopisch zu sein, seit Merkel gemerkt hat, dass sie mit ihrem Kopfpauschalen-Modell keine gesellschaftliche Mehrheit findet.

[] Mit der Abschaffung der Wehrpflicht liegt die Merkel-CDU voll auf der Linie der Grünen. In verteidigungspolitischen Fragen haben die Grünen nach schmerzhaften Häutungen den Weg der Staatsräson eingeschlagen. Nachdem Merkel in der Libyen-Auseinandersetzung gezeigt hat, dass für sie Bündnistreue nicht über alles geht, scheinen auch hier die verbliebenen Hindernisse überbrückbar zu sein.

[] In der Migrationspolitik sind die Unterschiede nur noch marginal. Es war die Union, die mit der Islamkonferenz und dem Integrationsgipfel neue Wege gegangen ist. Und dass Deutsch lernen für hier lebende Ausländer zur ersten Pflicht gehört, bejahen heute auch Grüne.

[] Die Finanzpolitik gehört zu den Feldern, wo sich Union und Grüne so nahe stehen, wie sonst nirgends. Beide betrachten solide Staatsfinanzen als oberstes Ziel und stehen zu den neuen Verschuldungsgrenzen im Grundgesetz.

[] Als konsequente Europapartei verstehen sich sowohl Union als Grüne. Anders als die FDP, die hier gerne auch nationale Töne anschlägt, wissen sie, dass etwa Griechenland von der EU nicht fallengelassen werden darf.

Dennoch gibt es natürlich in beiden Parteien unterschiedliche Prioritäten. In der Union stehen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik an oberster Stelle. Für die Grünen haben Umwelt- und Sozialpolitik Vorrang.

Das kann für eine mögliche Koalition ganz gesund sein. Auf ihren entscheidenden Politikfeldern kommen sich Grüne und Union, anders als Union und SPD oder Union und FDP, nicht in die Quere.

Kein Wunder also, dass SPD und FDP jetzt so hysterisch auf die aufgeflammte Schwarz-Grün-Debatte reagieren. Die FDP hat Sorge, vollständig marginalisiert zu werden, wenn die Grünen ihre Rolle als liberale bürgerliche Partie einnehmen.

Die SPD hingegen würde die Grünen am liebsten an die Koalitionskette legen. Eine realistische schwarz-grüne Option erhöht den Marktwert der Grünen. Koalitionen würden sie sich teuer abkaufen lassen.

Allerdings - und das wissen auch die Sozialdemokraten - kommt ihre Kritik an der Offenheit der Grünen gegenüber neuen Bündnissen recht wohlfeil daher. Keine andere Partei hat in den vergangenen 20 Jahren in Bund und Ländern so viele unterschiedliche Koalitionsmodelle ausprobiert: Rot-Rot, Rot-Grün, Grün-Rot, Schwarz-Rot, Rot-Schwarz, Rot-Gelb-Grün, Rot-Gelb.

Da lässt sich den Grünen kaum vorwerfen, es auch mal mit den Schwarzen probieren zu wollen.

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