Kommentar:Warum der Staat die NPD erdulden muss

Jahrelang konnte in Deutschland eine Gruppe rechtsextremer Terroristen morden: Diese Erkenntnis weckt das Bedürfnis nach einem harten Vorgehen des Staates gegen die Propagandisten der menschenverachtenden Ideologie, von der sich die Mörder ganz offensichtlich antreiben ließen. Die NPD ist der Kern des rechtsextremen Milieus, Rufe nach einem Verbot der Partei sind daher nur folgerichtig. Aber hilfreich wäre dies nicht.

Jan Bielicki

Sie nannten ihn "Otto", und "Otto" ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es die rechtsextreme NPD noch gibt. Dabei sollte der Mann mit dem eigentlichen Namen Tino Brandt ein wichtiges Glied in der Argumentationskette sein, die ein Verbot der Partei rechtfertigen sollte. Er stand in den neunziger Jahren exemplarisch für jene "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung", die das Bundesverfassungsgericht nachgewiesen sehen will, bevor es eine Partei verbietet.

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Der neue NPD-Vorsitzende Holger Apfel (rechts) zusammen mit seinem Vorgänger Udo Voigt beim Parteitag am Wochenende in der Stadt Neuruppin. Im Hintergrund sind Anti-Nazi-Plakate zu sehen, die laut Mietvertrag nicht abgehängt werden durften.

(Foto: AFP)

Brandt war stellvertretender NPD-Landeschef in Thüringen und gleichzeitig führender Kopf des "Thüringer Heimatschutzes", eines Netzes offen gewaltbereiter Kameradschaften. Doch unter dem Decknamen "Otto" war Brandt eben auch einer jener vom Verfassungsschutz bezahlten V-Leute, an denen das NPD-Verbotsverfahren im März 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte.

Acht Jahre später ist alles wieder aktuell. Plötzlich erscheint der längst aufgelöste "Thüringer Heimatschutz" wieder gegenwärtig, in dem sich die drei mörderischen Neonazis von Zwickau radikalisierten, bevor sie 1998 untertauchten. Wieder und sogar noch dringlicher als damals stellen sich die Fragen: Wie steht es um das Verhältnis der zwar verfassungsfeindlichen, aber legalen NPD zu der Szene jener Kameradschaften, aus der sich ganz offensichtlich auch rechtsextremer Terrorismus speist? Geht von der NPD eine so große Gefahr aus, dass sie verboten werden muss? Ist ein Verbotsverfahren sinnvoll, und hat es Aussicht auf Erfolg? Und natürlich: Welche Rolle spielen der Verfassungsschutz und seine V-Leute in diesem braunen Sumpf?

Die Entdeckung, dass in Deutschland eine Gruppe rechtsextremer Terroristen über Jahre morden konnte, weckt natürlich das Bedürfnis nach einem harten Vorgehen des Staates - nicht nur gegen Täter und Unterstützer, sondern auch gegen Urheber und Propagandisten der menschenverachtenden Ideologie, von der sich die Mörder ganz offensichtlich antreiben ließen. Es ist nur folgerichtig, dass jetzt der Ruf nach einem Verbot der NPD wieder laut wird.

Die Partei ist nun einmal der Kern des rechtsextremen Milieus. Sie ist dessen größte und stabilste Organisation, sie besitzt den privilegierten Status einer Partei und alles, was damit verbunden ist. Sie ist präsent, nimmt an Wahlen teil, hat ihre Vertreter in Landtagen und Kommunalparlamenten, verfügt über Posten und Pöstchen für Aktivisten - und, besonders unerträglich, über staatliches Geld, das ihr als Partei zusteht. Ein Verbot der NPD würde die gesamte rechtsextremistische Szene schwer treffen.

Die V-Mann-Blamage darf sich nicht wiederholen

Verbieten ließe sich jedoch nur die Partei. Ihre Anhänger aber, gerade die radikalsten, blieben so gefährlich wie bisher. Ein neuer Anlauf zu einem Verbotsverfahren wäre daher zumindest voreilig.

Ja, es mag richtig sein: Die NPD ist heute so radikal und aggressiv wie vor zehn Jahren. Daran wird sich unter dem neuen Vorsitzenden Holger Apfel wenig ändern, obwohl der seinen Mannen ein gefälligeres Auftreten verschreiben möchte. Doch das ist nur Kosmetik.

Auch Apfel hat stets auf die Kameradschaften und den Krawallflügel gebaut. Einer seiner Stellvertreter empfahl erst kürzlich wieder die NSDAP als Vorbild einer "ultramodernen Massenpartei". Ein Mann, der einst eine Bombe vor einen Döner-Stand legen ließ, sitzt im Parteivorstand. Und unter dem Alias-Namen "Junker Jörg" fand sich in einem geschlossenen Internetforum gar eine Anleitung zur Herstellung von Sprengstoff. "Junker Jörg", so nannte sich im Netz vor einem Dreivierteljahr auch der NPD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt.

Das klingt nicht nur gefährlich, das ist es auch. Einen Verein, in dem sich solche Leute tummeln, hätte das Bundesinnenministerium längst verboten. Aber die NPD ist kein Verein. Sie ist eine Partei und daher stehen vor einem Verbot hohe Hürden - und die höchste dieser Hürden steht immer noch: Nach wie vor beobachten die Verfassungsschutzämter die NPD mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

Nach wie vor rekrutieren sie V-Leute, die ihnen aus den Zirkeln der Partei berichten können. Das ist ihre Aufgabe. Aber ein Verbot scheiterte 2003 eben daran, dass drei Verfassungsrichter die Durchdringung der NPD-Führung durch staatlich geführte Spitzel für unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verbotsverfahren erklärten. Der demokratische Staat war blamiert, die Extremisten triumphierten - und das darf sich nicht wiederholen.

Der einzige Weg, dieses höchstrichterliche Gebot zu umgehen, wäre der Abzug aller V-Leute aus den NPD-Führungsgremien. Das wäre bei einem gemeinsamen Vorgehen des Bundes und aller Länder möglich. Aber wäre es wünschenswert? Gerade die jetzt so schockierende Entdeckung einer Terrorzelle spricht dagegen.

Noch ist zwar nicht klar, warum die thüringischen Staatsschützer drei Bombenbauer aus dem Blick verloren. Doch das Untertauchen des Trios zeigt, wie notwendig es grundsätzlich ist, die rechtsextremistische Szene stärker zu überwachen, auch mit V-Leuten. Dass der Staat die NPD weiter erdulden muss, ist der Preis, um zu erfahren, was hasserfüllte Rechtsextremisten vorbereiten. Es könnte, im schlimmsten Fall, ja Mord sein.

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