Debatte um NSA-Datensammelwut:Warum die Überwacher gebändigt werden müssen

Hinweise auf US-Überwachung von Merkels Handy

Internet-Überwachung: Eine neue Studie kritisiert Politik und Geheimdienste

(Foto: dpa)

Hilft exzessives Datensammeln beim Kampf gegen den Terror? Eine Studie belegt, wie fadenscheinig diese Rechtfertigung ist. Die NSA-Spionage brachte demnach so gut wie nichts, die Kritik an einem deutschen Politiker ist vernichtend: "Er ist der NSA einfach auf den Leim gegangen."

Von Jan Heidtmann

Es war natürlich nur ein Zufall, aber über die Weihnachtstage ereignete sich in der Affäre um die NSA ein kurioser Zirkelschluss. Als Lektüre hatte sich Barack Obama die Vorschläge zur Reform des Geheimdienstes mit in die Ferien genommen - nach Hawaii. Also genau an den Ort, von dem aus Edward Snowden, der die NSA-Affäre im Frühsommer ausgelöst hatte, Millionen geheimer Daten kopiert hatte.

An diesem Freitag nun wird der US-Präsident das Ergebnis seiner Überlegungen zur Reform der NSA präsentieren. So will Obama wieder die Initiative in der zermürbenden Diskussion um den Auslandsgeheimdienst zurückgewinnen. Schon jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass sich die Arbeit der NSA zwar ändern wird, aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden soll.

Folgt man einer soeben erschienenen Studie der New America Foundation, einem liberalen Think Tank mit Sitz in Washington D.C., wäre aber genau das notwendig.

Anteil der NSA verschwindend gering

Die kleine aber präzise Untersuchung räumt kurzerhand mit fast allem auf, was NSA, US-Regierung aber auch das letzte Kabinett Merkel über die Arbeit des Geheimdienstes behauptet haben. Angeleitet wurde die Studie von dem Journalisten Peter Bergen, einem Experten für radikale Islamisten. Bergen hat 1997 als erster westlicher Berichterstatter Osama bin Laden interviewt und deckte die Verbindungen zwischen dem CIA und der Familie bin Laden auf, derzeit leitet er unter anderem das Forschungsprogramm Nationale Sicherheit bei der New America Foundation. Die schlichte Frage, die sich Bergen und sein Team gestellt haben, lautet: Haben die gigantischen Ausspähungen der NSA tatsächlich Terroristen gestoppt? (Titel der Studie: Do NSA's Bulk Surveillance Programs Stop Terrorists?)

Um die Frage beantworten zu können, wurden die Fälle von 225 Personen ausgewertet, die wegen ihrer vermuteten Verbindungen zu islamischen Terroristen seit dem 11. September 2001 verfolgt, angeklagt oder auch getötet worden sind. Vorausgesetzt, ihre mutmaßlichen Aktivitäten waren gegen die USA gerichtet. Dafür haben die Rechercheure Gerichtsprotokolle, Medienberichte und andere Quellen ausgewertet. Die Antwort in Kurzfassung: Traditionelle Ermittlungsarbeit - Informanten, Recherchen im Milieu, Erkenntnisse von FBI oder CIA - halfen im allergrößten Teil der Fälle, diese aufzuklären. Der Anteil der NSA war verschwindend gering.

Groteskes Missverhältnis

Mit dem Patriot Act, der nach dem 11. September erlassen wurde, ist die NSA befugt, Metadaten der Telekommunikation innerhalb der USA auf Verbindungen zu radikalislamischen Terroristen zu prüfen und zu speichern. Dabei geht es um Milliarden von Verbindungsdaten. Denen steht - wie Bergen und seine Leute zeigen - nur ein einziger Fall gegenüber, bei dem potenzielle Sympathisanten der al-Qaida mithilfe dieser Informationen dingfest gemacht werden konnten.

Aber nicht nur bei den inländischen Ausspähungen der NSA stehen die Menge der erhobenen Daten und die Erkenntnisse in einem grotesken Missverhältnis. Seit 2008 darf die NSA auch offiziell Bürger anderer Staaten, abhören, solange sich diese nicht in den USA aufhalten. Auch hierbei geht es um Milliarden von Daten. Kurz nachdem Edward Snowden erstmals an die Öffentlichkeit gegangen war, präsentierte die US-Regierung daher die Namen von fünf radikalen Islamisten, die nach eigenen Aussagen durch NSA-Ermittlungen gestoppt wurden. Die Studie untersucht auch diese Fälle genauer, und es stellt sich schnell heraus, dass der Einfluss der NSA hier ebenfalls gering war.

"Anders als immer wieder behauptet, hat die Massenüberwachung der NSA nur in sehr wenigen Fällen tatsächlich den Anstoß zu Ermittlungen gegeben", sagt Tim Mauerer, einer der Mitarbeiter der Studie. Dennoch wollen die Verfasser die NSA nicht abschaffen. Die Untersuchung ist ein Plädoyer dafür, dass sich der Geheimdienst wieder auf seine ursprüngliche Aufgabe, das zielgerichtete Ausspähen von Verdächtigen, besinnt. "Die NSA verfügt über technische Möglichkeiten, die kein anderer Dienst in der Welt hat", sagt Maurer. "Keiner kann sie kontrollieren und so hat sich die NSA verselbstständigt."

Nadel im Heuhaufen, den man selbst angehäuft hat

Es ist der große Verdienst von Bergen und seinen Leuten exakt zu belegen, wie porös die Rechtfertigungen von Geheimdienst und Politik inzwischen sind. Und selbst wenn man es längst vermutet hat, ist es erschreckend so detailliert vorgeführt zu bekommen, wie selbstreferenziell das System der NSA funktioniert: Der Sinn der Überwachung ist die Überwachung. Eine Haltung, die die US-Politik seit dem 11. September zumindest teilweise beherrscht, begründet in dem Ur-Mythos der Anschläge auf das World Trade Center. Hartnäckig, schreibt Bergen, halte sich hier die Legende, dass die Attacken mit Überwachungsprogrammen wie Prism verhindert worden wären. Tatsächlich ist der Anschlag trotz vielfältiger Warnungen vor allem möglich gewesen, weil die Sicherheitsbehörden untereinander kaum Informationen ausgetauscht haben.

Aber die Legende lebt. Im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte der Sender Al Jazeera eine interne Liste von Argumentationsmustern, die die NSA nutzt, um ihre Arbeit zu rechtfertigen. Zentraler Punkt darin sind die Anschläge vom 11. September: "Ich erkläre Ihnen heute viel lieber diese Programme, als ein weiteres 9/11, dass wir nicht verhindern konnten", lautet einer der Textbausteine. Während der Anhörungen vor dem Geheimdienstausschuss im vergangenen Oktober verwendeten NSA-Chef Keith Alexander und US- Geheimdienstdirektor James Clapper diese und ähnliche Formulierungen mehr als ein Dutzend Mal. Immer mehr wirken die, die Komplotte aufdecken sollen, so, als spännen sie an ihrem eigenen Komplott.

Deutsche Regierung fahrlässig und hilflos

Unterstützt wurde die NSA auch durch die hilflose und mindestens fahrlässige Reaktion der letzten Regierung Merkel auf die Enthüllungen Edward Snowdens. Fragen des Datenschutzes und der Bürgerrechte wurden ebenfalls mit vermeintlichen Erfolgen der Überwachung runtergeredet. So brachte Barack Obama zu seinem Berlin-Besuch im vergangenen Juni die Zahl von mehr als 50 Bedrohungen durch radikale Islamisten mit, die die NSA habe abwenden können. Eine Zahl, die deutsche Regierungspolitiker eilfertig weiterverbreiteten. Ähnlich auch das Verhalten des Innenministers: Während seines Besuchs in Washington war Hans-Peter Friedrich gesagt worden, die NSA habe in Fällen geholfen Anschläge in Deutschland zu vereiteln. Zurück in Berlin, verbreitete er die vermeintliche Information auf einer Pressekonferenz, nur, um sie schon an nächsten Tag wieder zu relativieren. "Er ist der NSA einfach auf den Leim gegangen", sagt Co-Autor Maurer.

Wenn es um mehr Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden geht, nehmen es aber auch deutsche Politiker nicht so genau mit der Wahrheit. Als Sigmar Gabriel seine Kehrtwende zum Befürworter der Vorratsdatenspeicherung begründen wollte, behauptete er, allein durch die Datenspeicherung habe man in Oslo den Amokläufer Anders Breivik schnell ermitteln können. Nur: In Norwegen gab es damals keine Vorratsdatenspeicherung. Man hofft, dass es Gabriel nur nicht besser gewusst hat.

Gestern großer Lauschangriff, heute Prism

Denn, so sagt es Hansjörg Geiger, ehemals Chef des Verfassungsschutzes und auch des BND, die Politik muss den Forderungen der Geheimdienste "eine Grenze setzen. Sicherheitsbehörden rufen ständig nach neuen intensiven Eingriffen." Der Drang der Polizei und der Geheimdienste sei dabei deutlich von den technischen Möglichkeiten getrieben. Und was heute Spähprogramme wie Prism sind, war einmal der große Lauschangriff. Damit war auch die so genannte Wohnraumüberwachung verbunden, weshalb die damalige Bundesjustizministerin ihr Amt aus Protest niederlegte. "Die Wohnraumüberwachung galt damals als das große Ding. Heute ist das vollständig eingeschlafen", sagt Geiger. "Ich habe das Gefühl, dass man sich da manchmal berauscht."

So war interessant zu sehen, wie das Bundeskriminalamt im vergangenen Juni einen Fahndungserfolg recht geschickt vermarktete. Nachdem er mehr als 750 Mal auf fahrende Lastwagen geschossen hatte, wurde nach fünf Jahren Ermittlungsarbeit ein 57-jähriger Mann gefasst. In mehreren Hintergrundgesprächen erläuterte das BKA der Presse anschließend offen wie selten, wie sie dem Täter auf die Spur gekommen sind. Die Fahnder hatten ein eigenes System aufgebaut, um Daten zu sammeln. Dazu gehörte eine Armada von Kameras, um an sieben Autobahnabschnitten jede Menge Kennzeichen zu erfassen. "Wir haben die Nadel im Heuhaufen gefunden", beschrieb BKA-Chef Jörg Ziercke den Coup. Dass das BKA den Heuhaufen überhaupt erst aufgehäuft hatte, darüber wurde dann kaum noch gesprochen.

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