Debatte um Jugendkriminalität:Das Gebrüll wird immer lauter

Der Streit über Jugendgewalt erinnert an eine Unterschriftenaktion von 1999 in Hessen, bei der Koch seiner Linie bis zuletzt treu blieb. Damals hatten sich die Meinungsforscher mit ihren Prognosen verkalkuliert.

Stefan Braun

Der Streit über gewalttätige Jugendliche kennt derzeit kaum noch Grenzen. Doch was kraftstrotzend und wutschnaubend daherkommt, ist vor allem einer großen Unsicherheit geschuldet. Denn tatsächlich kann derzeit niemand, nicht bei der SPD, nicht bei der CDU, nicht in anderen Parteien, vorhersagen, wie der Konflikt sich am Ende beim Wähler auswirken wird.

Es gibt kaum echte Trends und noch weniger sichere Aussagen. Es gibt nur eines: Die historische Erfahrung, dass sich die Meinungsforscher in einem ähnlichen Fall - der Unterschriftenaktion 1999 in Hessen - bis kurz vor Schluss heftig verkalkulierten.

Damals gab es bis eine Woche vor dem Wahlsonntag, dem 7. Februar 1999, zahlreiche Umfragen. Und die Meinungsforscher lagen durchweg falsch. Alle bekannten Institute nämlich sahen die SPD bei 40 Prozent bis 42 Prozent, die CDU bei 36 bis 39 Prozent, die Grünen bei neun bis elf und die FDP bei sechs bis acht.

Das Ergebnis all dieser Daten: Bis eine Woche vor Schluss sah das regierende rot-grüne Bündnis unter Hans Eichel wie ein ziemlich sicherer Sieger aus. Kein Institut erkannte, welche massive Kraft die Koch'sche Unterschriftenaktion - gekoppelt mit anderen, nicht so stark wirksamen Themen - tatsächlich entwickelt hatte.

Die Mauer politischer Korrektheit brach

Wie heute hatte sich auch damals Protest gegen Kochs Linie erhoben, wie heute hielt der damalige Fraktionschef Koch an der einmal eingeschlagenen Linie fest. Dirk Metz, damals Sprecher der Fraktion, heute in der Landesregierung, sagte Ende Januar 1999: "Irgendwann muss die Mauer der politischen Korrektheit ja brechen."

Sie brach. Am Wahltag bekam die hessische CDU 43,4 Prozent, das waren zum Teil sechs Prozent mehr als ihr noch eine Woche zuvor vorausgesagt worden war. Die Sozialdemokraten landeten bei 39,4 Prozent, die Grünen bei gut sieben und die FDP bei gerade mal 5,1 Prozent.

Fasst man die Lehren von damals zusammen, dann gelang es Koch zum einen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren; zum anderen verlor auch die SPD. Vor allem aber mussten die kleinen Parteien Verluste hinnehmen. Die Grünen hatten auf ein zweistelliges Ergebnis gehofft, die Liberalen auf sieben bis acht Prozent. Daraus ist in beiden Fällen nichts geworden.

Wie viel sich daraus für die Landtagswahl am 27. Januar ableiten lässt, ist mit Blick auf die letzten Umfragen völlig offen. Sichere Prognose? Ausgeschlossen. Wer einen Trend sucht, der kann immerhin eines registrieren: Dass Koch vor einem halben Jahr gut dastand, rund um Weihnachten ziemlich in der Bredouille saß und derzeit wahrscheinlich mit einer schwarz-gelben Mehrheit regieren könnte.

Winzige Trends, keine Sicherheiten

Alles freilich sind sehr knappe Werte. Demnach hätte Koch bei mehreren Umfragen Mitte Dezember keine Mehrheit mehr gehabt für ein Regierungsbündnis mit der FDP. Damals kam die CDU auf 40 Prozent, die FDP auf sieben, zu wenig, um gegen SPD (34), Grüne (9) und Linkspartei (6) regieren zu können.

Nimmt man eine Umfrage aus der jüngsten Vergangenheit, wird das Bild etwas anderes. Diese Woche veröffentlichte die ARD eine, in der es für Schwarz-Gelb reichen würde: mit 40 Prozent der Wählerstimmen für die CDU und 9 Prozent für die FDP. Die SPD käme auf 35 und die Grünen auf neun.

Der Vorsprung freilich geht auf ein anderes Phänomen zurück: Die Linkspartei ist seit Monaten erstmals unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Das könnte bedeuten, dass die Zuspitzung der Diskussion jene Partei gefährdet, die seit Wochen mit keinem eigenen Thema mehr auftaucht. Winzige Trends, keine Sicherheiten.

Schaut man sich schließlich Umfragen zu den Inhalten der Kampagne an, dann zeigt sich zweierlei: Eine Mehrzahl der Menschen neigt Kochs These zu, dass mehr Härte im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern sinnvoll sei und die Möglichkeit schärferer Gesetze genutzt werden sollte. In einer Umfrage für den Spiegel sprechen sich 52 Prozent für mehr Härte und 65 Prozent für schärfere Gesetze aus.

Zugleich erkennen sehr viele Menschen in Kochs Forderungen eine ausschließlich taktische Haltung. Rund zwei Drittel der Befragten geben das an. Das war 1999 nicht anders. Damals freilich war Koch einer junger Spund und Oppositionspolitiker. Jetzt versucht ein Regierungschef den gleichen Trick. Das könnte im Publikum anders ankommen.

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