Debatte um "Herdprämie":Warum das Betreuungsgeld in Skandinavien ein Reinfall ist

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Skandinavien hat gute Erfahrungen mit dem Betreuungsgeld gemacht - behaupten Verfechter der umstrittenen Zuwendung. Eine Studie zeigt jedoch: Die "Herdprämie" wirkt sich in Schweden und Finnland negativ auf die Gleichberechtigung aus - und hält Zuwandererfamilien davon ab, ihre Kinder in eine Kita zu schicken.

Corinna Nohn

Wenn es um Kitas, Bildung und Frauenförderung geht, gilt Skandinavien als Vorbild schlechthin, insbesondere Schweden, wo sich Deutschland unter anderem das gehaltsabhängige Elterngeld abgeschaut hat.

In Skandinavien wird Betreuungsgeld schon bezahlt, die Erfahrungen damit sind nicht sonderlich gut. (Foto: dapd)

Auch beim Betreuungsgeld, das die Bundesregierung im kommenden Jahr einführen möchte, ziehen Befürworter gerne den Vergleich zu den nördlichen Ländern - gerade erst hat die bayerische Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) drei Tage in Stockholm verbracht, um sich ein Bild von der schwedischen Familien- und Sozialpolitik zu machen. Schon seit 2008 gibt es in Schweden Betreuungsgeld, das "vårdnadsbidrag", Norwegen hat seit 1998 das "kontantstøtte" und Finnland bereits seit 1985 das "kotihoidontuki".

Damit hat sich jetzt eine aktuelle Meta-Studie befasst, die zusammenfasst, wie sich staatliche Zuwendungen an Eltern auswirken: In der Praxis bewahrheiten sich die Befürchtungen der Betreuungsgeld-Gegner. Es wirkt sich nachteilig auf die Geschlechtergerechtigkeit aus, es behindert die Erwerbstätigkeit von Müttern und bremst den Ausbau der Betreuungsangebote - und es hält vor allem Zuwandererfamilien davon ab, ihre Kinder in eine Kita zu schicken.

Interessante Schlüsse auch für Deutschland

Es ist zwar wenig verwunderlich, dass das veröffentlichte Ergebnis der Studie für das Betreuungsgeld negativ ausfällt. Die Autorin Anne Lise Ellingsæter, Professorin für Soziologie am Institut für Soziologie und Humangeografie an der Universität Oslo, hat die Studie im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigt. Und die Sozialdemokraten halten nichts vom Betreuungsgeld.

Dennoch lassen die Ergebnisse interessante Schlüsse auch für Deutschland zu, wo die Diskussion seit Wochen leidenschaftlich, teilweise erbittert geführt wird - auch innerhalb der Koalition. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) erarbeitet trotz aller Kritik gerade einen Gesetzentwurf.

Pauschal können die Ergebnisse aus Skandinavien allerdings nicht übertragen werden, weil die Bedingungen von den in Deutschland vorgesehenen abweichen: Hier soll der Zuschuss an Eltern gezahlt werden, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken. Anfangs soll das Betreuungsgeld monatlich 100 Euro, von 2014 an 150 Euro betragen. In Finnland, Norwegen und Schweden ist das Betreuungsgeld deutlich höher: Je nach Alter und Einkommen der Eltern beträgt es zwischen 320 (Finnland) und umgerechnet etwa 430 Euro (Norwegen) monatlich.

In allen drei Ländern sind die Zuschüsse aber grundsätzlich daran gebunden, dass keine staatliche Kinderbetreuung genutzt wird. Die Leistung ist also, wie auch von Christine Haderthauer angeführt, eine finanzielle Entschädigung dafür, dass öffentliche Angebote nicht genutzt werden, "was an und für sich schon eine äußerst ungewöhnliche Begründung für eine Sozialleistung ist", wie die Autorin der Studie schreibt.

Die umfassende Forschungslage in Norwegen und Finnland, so fasst es die Autorin zusammen, lässt jedenfalls den Schluss zu: Das Betreuungsgeld verringert die Teilnahme von Müttern am Arbeitsmarkt - vor allem in Finnland, wo "Teilzeitarbeit keine Alternative" und nur selten anzutreffen sei. Aber auch in Norwegen, das seit 2005 das Angebot an Kita-Plätzen enorm ausgebaut hat, wird mit einem steigenden negativen Effekt auf die Erwerbstätigkeit von Müttern gerechnet, und zwar "stärker bei Müttern mit asiatischer und afrikanischer Herkunft".

In Schweden, wo 2011 nur 2,5 Prozent der Eltern das Betreuungsgeld nutzten, sind ähnliche Wirkungen zu beobachten: 92 Prozent aller Antragsteller waren Frauen, Einwanderer waren deutlich überrepräsentiert. Schätzungen zufolge sind mehr als die Hälfte der Frauen, die das Betreuungsgeld erhalten, "ökonomisch von ihrem Partner abhängig".

Auch in Deutschland wird heftig darüber diskutiert, ob das Betreuungsgeld nicht gerade finanziell schlechter gestellte oder sogenannte Problemfamilien dazu animiere, ihre Kinder zu Hause zu lassen, obwohl es in diesen Familien sinnvoll wäre, dass die Kinder möglichst früh zusätzliche Förderung erhalten. Deshalb will Familienministerin Schröder nun die Auszahlung des Betreuungsgeldes in Deutschland daran koppeln, dass die Eltern die vorgeschriebenen Vorsorgetermine beim Arzt wahrnehmen.

Grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage, ob das Betreuungsgeld tatsächlich der Wahlfreiheit dienen kann, wie es Haderthauer & Co. in Deutschland, aber auch die jeweiligen Regierungen in Skandinavien, die die Leistung einführten, immer propagierten. Denn es gibt deutliche Hinweise darauf, dass das Betreuungsgeld nicht nur Familien mit klarer Rollenteilung das Leben erleichtert, sondern dass es die Entscheidungen der Familien in eine bestimmte Richtung lenkt.

Denn obwohl das Betreuungsgeld in den genannten Ländern im Prinzip "genderneutral" sei, sich also an Mütter wie Väter richte, sei die Nutzung "in hohem Maße geschlechtsspezifisch": "Grundsätzlich zeigen Studien aus allen drei Staaten, dass sich das Betreuungsgeld negativ auf die Gleichberechtigung der Geschlechter auswirkt, sowohl in Bezug auf die genderneutrale Arbeitsteilung in Familien, als auch auf die Gendergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt." In Finnland trage die Leistung zudem dazu bei, die Arbeitsteilung bei der Kinderbetreuung zu verstärken und die Position von Frauen in der Gesellschaft insgesamt zu schwächen.

Das Betreuungsgeld führe auch zu einer längeren Abwesenheit von Frauen im Beruf, "es hat die Teilnahme von Müttern am Arbeitsmarkt verringert". Das widerspricht dem Ziel der deutschen Familienpolitik, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern.

Nun kann man argumentieren, dass das ja eine individuelle Entscheidung ist. Aber die Autorin schreibt auch: Das Betreuungsgeld wirke sich in den Vorbildländern negativ auf die Chancen von Frauen aus, Arbeit zu finden; auch der Einfluss auf die zukünftige Rente von Frauen "ist ein weiterer Grund zur Besorgnis".

Wahlfreiheit?

Aufschlussreich ist die Entwicklung in Norwegen: Dort hat der Staat die Kinderbetreuung vor allem für unter Dreijährige stark ausgebaut und die Gebühren gesenkt. Viele Eltern beantragen das Betreuungsgeld nun als Überbrückungsleistung, während sie auf einen Kita-Platz warten. Denn dort werden, ähnlich wie in der Praxis in Deutschland, nur im Herbst Kinder in die Kita aufgenommen. Auch in Finnland greifen viele Eltern, die keinen Platz bekommen, notgedrungen auf das Betreuungsgeld zurück.

Das könnte auch in Deutschland passieren. Denn während 2013 zunächst 400 Millionen Euro, von 2014 an 1,2 Milliarden Euro jährlich für das Betreuungsgeld veranschlagt werden, hinkt der Kita-Ausbau hinterher. Die Regierung rechnet damit, dass 39 Prozent aller Eltern, die im August 2013 einen Anspruch auf einen Kita-Platz für ihre einjährigen Kinder haben, diesen auch nutzen. Experten halten diese Schätzung ohnehin für zu niedrig; überdies wird es längst nicht für jedes dritte Kind einen Platz geben - auch deshalb, weil schlicht Zigtausende Erzieher und Tagesmütter fehlen.

So viel zum Thema Wahlfreiheit.

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