Debatte um Freilassung:Fremde, ferne Mörder

Warum es für das Befinden eines Hinterbliebenen fast unwichtig ist, ob ein RAF-Terrorist in Haft bleibt oder frei kommt. Ein Beitrag von Michael Buback, dem Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback.

Michael Buback

Es ist gut und richtig, dass Angehörige der Opfer an Entscheidungen über die Begnadigung von Mördern nicht beteiligt sind. Mein Beitrag könnte sich auf diesen Satz beschränken. Wenn ich dennoch weiter schreibe, so tue ich es, weil ich mehrfach und nachdrücklich zu einer ausführlicheren Stellungnahme aufgefordert wurde und weil ich zu der kleiner werdenden Gruppe von Menschen gehöre, die noch ausgeprägte Erinnerungen an die Ereignisse vor 30 Jahren haben.

Debatte um Freilassung: Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback

Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback

(Foto: Foto: dpa)

Hierzu bedarf es keines besonders guten Gedächtnisses. Das Geschehen ist in mein Bewusstsein eingemeißelt, wie dies wohl bei den meisten Menschen der Fall ist, die Angehörige durch Verbrechen verloren haben.

Eine Besonderheit bei der Tötung meines Vaters liegt darin, dass diejenigen, die ihn und seine beiden Begleiter, Georg Wurster und Wolfgang Göbel, ermordet haben, ihre Opfer nicht persönlich kannten. Sie haben den Generalbundesanwalt über seine Funktion in einem von ihnen abgelehnten und gehassten Staat als schrecklich definiert, ihn in blindem Fanatismus, maßloser Arroganz und enormer Grausamkeit nach eigenen verqueren Maßstäben zum Tode bestimmt und umgebracht, ohne Rücksicht auf das Leben seiner Begleiter, die - wie auch er - völlig unschuldig waren.

Attentat galt dem Staat

Das Attentat galt primär dem Staat Bundesrepublik Deutschland, dem die Terroristen einen in führender Position in der Strafverfolgung tätigen Beamten "wegschossen". Es mag den Hass der Terroristen auf diesen Generalbundesanwalt gestärkt haben, dass er die enormen Gefahren des Terrorismus frühzeitig erkannte (was man von einem in der Verfolgung von Staatsschutzdelikten so erfahrenen Beamten übrigens erwarten durfte) und dass er deutlich auf die möglichen Gefahren hinwies.

Wie recht er mit seinen Warnungen hatte, zeigen viele nachfolgende Ereignisse. Die allgegenwärtige Bedrohung durch den Terrorismus nehmen wir nicht nur fast täglich in den Nachrichtensendungen wahr. Bei jeder Flugreise sind wir mit den Konsequenzen der terroristischen Gewalt konfrontiert. Führende Politiker in freiheitlich-demokratischen Ländern sind gezwungen, unter intensivem Personenschutz zu leben.

Sie müssen oft in von der Öffentlichkeit abgeschirmten Bereichen, hinter Sicherheitszäunen und Schutzwänden, arbeiten, wobei in einigen Fällen der äußerlich wahrnehmbare Festungscharakter an den von Gebäuden erinnert, wie sie für Inhaftierte vorgesehen werden. Dass es inzwischen immer mehr Terroristen gibt, die in ihrem Fanatismus bereit sind, neben fremdem auch das eigene Leben zu zerstören, macht die Planung und Durchführung von Maßnahmen gegen terroristische Brutalität besonders schwierig.

Wenig Interesse an Prozessen

Der Umstand, dass mein Vater nicht als Privatperson getötet wurde - die er für uns ausschließlich war -, sondern als Repräsentant der Justiz in der Bundesrepublik, hat uns geholfen, die schlimmen Ereignisse zu verarbeiten. Er hat auch bewirkt, dass mir seine Mörder sehr fern und fremd sind. Ich habe mich kaum für die Prozesse und die Verurteilungen interessiert. In diesem Sinne liegt mir auch nicht daran, in irgendeiner Weise zu versuchen, die Haftdauer der Mörder zu beeinflussen.

Es ist für mein Befinden nahezu unerheblich, ob Christian Klar - der unter anderem wegen des gemeinschaftlichen Mordes an meinem Vater verurteilt wurde - bis zum Ablauf der Mindesthaftdauer in etwa zwei Jahren in Haft bleibt, oder ob er durch einen Gnadenerweis des Bundespräsidenten früher in Freiheit gelangt. Wenn von kompetenter Seite mit hinreichender Sicherheit prognostiziert wird, dass keine Gefahr mehr von ihm ausgeht, und wenn er seine Verbrechen einsieht und bereut, wird es von meiner Seite gewiss keinen Einwand gegen eine Begnadigung geben.

Ablauf der Tat weiter unklar

Es gibt jedoch einen anderen Gesichtspunkt, der mich bewegt und belastet. Noch immer sind meines Wissens der Ablauf des Verbrechens und die Art der Beteiligung der einzelnen Täter nicht geklärt. Wer war der Lenker des Motorrads, und wer der Schütze?

Man mag einwenden, dass dieses Wissen die Tat nicht ungeschehen macht und dass die Täter ja rechtskräftig wegen Mord verurteilt sind. Für mich als nahen Angehörigen ist es aber doch wichtig, den Ablauf der Tat genau zu kennen, um besser und leichter einen Schlussstrich ziehen zu können - so wie Angehörige von Unfallopfern die zum Tod führenden Ereignisse möglichst genau erfahren möchten, um das Geschehene besser verarbeiten zu können.

Kurz nach dem Tod meines Vaters veröffentlichte ein RAF-Sympathisant unter dem Pseudonym "ein Göttinger Mescalero" einen Text unter der Überschrift "Buback - ein Nachruf", der von meiner Familie und von vielen anderen als unsäglich empfunden wurde. Ich habe es als Erleichterung empfunden, als sich der Verfasser mehr als zwei Jahrzehnte später in einem Brief an mich offenbarte. Dies habe ich ihm auch geschrieben, wobei mir das Abfassen des Briefes nicht leicht fiel und ich es mir gewünscht hätte, dass weniger klangvolle Anreden als "Sehr geehrter Herr H." nutzbar gewesen wären.

Es stört mich, dass ich nicht weiß, wer meinen Vater erschossen hat, und es verwundert mich, dass ein Täter ohne Bekenntnis zu seiner Tat und ohne Reue eine Begnadigung erwartet und dass er nicht zur Klärung des Ablaufs einer Tat beiträgt, für die er bereits eine seit etwa 24 Jahren andauernde Haft verbüßt hat.

Es wäre zu hoffen, dass das Gnadengesuch einige dieser für Angehörige wichtigen Informationen zur Tat enthält. Die Bereitschaft, solche Fakten mitzuteilen, kann und soll nicht Vorbedingung eines Gnadenerweises sein. Sie wäre aber ein Hinweis darauf, dass sich Christian Klar der Gesellschaft, in der er möglichst bald wieder frei leben möchte, angenähert hat, nachdem er sich durch seine Taten sehr weit von ihr entfernt hat.

Michael Buback, Professor für Technische und Makromolekulare Chemie in Göttingen, ist der Sohn des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, der 1977 von der RAF ermordet wurde.

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