Debatte um EU-Freizügigkeit:EU-Kommissar warnt vor Hysterie

"Wir müssen Grundrechte wie die Freizügigkeit verteidigen": Die EU-Kommission lehnt in der Debatte um Armutsmigration Gesetzesänderungen ab und warnt vor Hysterie. Die deutsche Industrie befürchtet, dass Deutschland selbst unter der aufgeheizten Debatte leiden könnte.

In der Debatte um angebliche Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien hat die EU-Kommission Forderungen nach schärferen Regelungen zurückgewiesen. "Wir müssen unbedingt Grundrechte wie die Freizügigkeit verteidigen und dürfen auf Zuwanderung von Menschen nicht mit Hysterie reagieren", sagte EU-Sozialkommissar Laszlo Andor der Zeitung Die Welt. Das EU-Recht beinhalte "eine Reihe von Schutzklauseln gegen Missbrauch". "Wir wollen und wir brauchen darum keine neuen Gesetze, um die Freizügigkeit einzuschränken", sagte Andor.

Er räumte ein, dass in einigen Kommunen durch den Zuzug von EU-Migranten Belastungen entstehen könnten, etwa im Bildungsbereich, am Wohnungsmarkt oder bei den Sozialausgaben. Diese Probleme könnten etwa angegangen werden, "indem man einen Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen, die der Staat durch zugezogene ausländische Arbeitnehmer erhält, dafür verwendet". Zudem könnten die EU-Mitgliedstaaten künftig mindestens 20 Prozent des milliardenschweren EU-Sozialfonds für die Integration von EU-Migranten in den Städten und Gemeinden nutzen, sagte Andor.

"An Willkommenskultur arbeiten"

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor Schäden für die Wirtschaft. "Die Zuwanderung insgesamt darf nicht durch eine aufgeheizte politische Diskussion in ein schlechtes Licht gerückt werden", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der Neuen Osnabrücker Zeitung. Deutschland brauche angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren bis zu 1,5 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, um "Wachstum zu sichern und die Sozialsysteme zu stabilisieren".

Die mit Armutszuwanderung verbundenen Probleme seien vielschichtig, sagte Wansleben weiter. "Die Arbeitnehmerfreizügigkeit verbessert die Situation insofern, als Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nun einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen dürfen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten". Die aktuelle Diskussion zeige jedoch Handlungsbedarf in der deutschen Gesellschaft. "Wir müssen weiter an einer Willkommenskultur für Zuwanderer arbeiten, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagte Wansleben.

Hintergrund der Debatte in Deutschland ist, dass seit Mittwoch die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bürger der EU-Staaten Rumänien und Bulgarien gilt, für die es bislang übergangsweise Beschränkungen gab. Diese haben somit vollen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Die CSU fordert mit Blick auf die volle Freizügigkeit einen schärferen Kurs gegen Armutsmigranten und stößt damit teils auf scharfe Kritik.

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