Debatte um den Brexit:16 Seiten Zugeständnisse

Debatte um den Brexit: Am dünnen Faden: Die EU und Großbritannien hält derzeit nicht allzu viel zusammen.

Am dünnen Faden: Die EU und Großbritannien hält derzeit nicht allzu viel zusammen.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Brüssel und London einigen sich darauf, das britische Sozialsystem zu entlasten. Das soll Cameron einen Sieg beim Referendum ermöglichen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Versprochen hat David Cameron seinen Bürgern nicht weniger als eine neue Grundlage für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Gemessen an diesem Anspruch ist der 16-seitige Entwurf, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag vorgelegt hat, ein wenig dünn. Dennoch enthält er - zumindest nach Auffassung in Brüssel - genügend Zugeständnisse, um Cameron einen Sieg im für Juni angepeilten Referendum über den Verbleib in oder das Ausscheiden aus der Europäischen Union zu ermöglichen.

Im Mittelpunkt steht dabei eine Entlastung des britischen Sozialsystems. Entschärft werden soll so ein Problem, das Großbritannien zumindest aus Brüsseler Sicht selbst geschaffen hat. Bei der Ost-Erweiterung der EU hatte es - anders als etwa Deutschland - auf eine Sonderregelung verzichtet, die Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten für bis zu sieben Jahre von der in der EU geltenden Freizügigkeit ausschloss. Arbeitssuchende etwa aus Polen machten sich daher in großer Zahl auf den Weg nach Großbritannien und profitierten dort wegen des Diskriminierungsverbots in der EU von denselben Sozialleistungen wie einheimische Beschäftigte. Tusk und die EU-Kommission haben in den bisherigen Verhandlungen eingeräumt, dass das zu besonderen Belastungen geführt und viele Migranten ins Land gelockt hat.

Der EU-Gipfel am 18. Februar entscheidet

Ein speziell auf Großbritannien zugeschnittenes Verfahren soll es dem Königreich nun ermöglichen, zumindest teilweise gegenzusteuern. So soll es Mitgliedstaaten gestattet sein, bei der Höhe des Kindergelds zu berücksichtigen, in welchem Staat die Kinder leben. Damit soll verhindert werden, dass etwa in Großbritannien arbeitende Rumänen für in der Heimat lebende Kinder die hohen britischen Zahlungen in Anspruch nehmen können.

Außerdem soll ein "Schutzmechanismus" eingeführt werden, der häufig auch "Notbremse" genannt wird. Es handele sich aber gerade nicht um eine Notbremse, wird in der Kommission betont, weil der Mechanismus nicht auf unvorhergesehene, sondern lang anhaltende Probleme reagiere. Im Falle hoher Zuwanderungszahlen soll er es möglich machen, Neuankömmlinge für vier Jahre von bestimmten Sozialleistungen auszuschließen. Die Voraussetzungen dafür müssen allerdings von der EU-Kommission festgestellt werden. Der Mechanismus wird überdies auf dem Wege der normalen EU-Gesetzgebung in Gang gesetzt. Er bedarf also der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der EU-Staaten sowie des EU-Parlaments. Die Kommission hat bereits eine Erklärung abgegeben, wonach die Bedingungen für den Mechanismus im Falle Großbritanniens erfüllt seien. Sofort greifen würde er aber nicht. Nach einem Ja der Briten im Referendum würde das Gesetzgebungsverfahren noch viele Monate beanspruchen.

Eine Dauereinrichtung soll der Schutzmechanismus überdies nicht werden. Er soll nur für einen bestimmten Zeitraum in Kraft sein und zwei Mal verlängert werden können. In Tusks Entwurf ist allerdings nur von "x, y und z Jahren" die Rede. Dies durch Zahlen zu ersetzen, soll den nun beginnenden Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. An diesem Freitag kommen die "Sherpas", die europapolitischen Chefberater aus den Hauptstädten, zusammen. Sie sollen den Boden bereiten für den entscheidenden Gipfel am 18. Februar. Für Kontroversen könnte dann auch noch einmal die von Cameron verlangte Neuordnung des Verhältnisses zwischen Euro- und Nicht-Euro-Staaten sorgen. Noch bis zwei Uhr morgens war am Dienstag verhandelt worden, um eine vor allem für Frankreich akzeptable Regelung zu finden. Nicht-Euro-Staaten sollen demnach zwar nicht einfach überstimmt werden, aber auch kein Vetorecht bekommen.

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