Debatte um Atomkraft:Krümmel und die Wahl

Der Betreiber Vattenfall hat die Hochrisiko-Technik Kernenergie nicht im Griff. Für die SPD ist das ein vorzügliches Thema im Wahlkampf - falls es die Bevölkerung noch immer bewegt.

Wolfgang Roth

Der Energiekonzern Vattenfall kann überhaupt kein Interesse daran haben, im September eine von der Union und der FDP gebildete Bundesregierung zu verhindern. Trotzdem ist das Unternehmen gerade dabei, just die Wahlchancen jener Parteien zu gefährden, die sich für eine Änderung des Atomgesetzes, sprich: für längere Laufzeiten der Reaktoren einsetzen.

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(Foto: Foto: dpa)

Man sollte tunlich den Katastrophenjargon von Kernkraftgegnern vermeiden, der aus jedem Störfall einen Beinahe-GAU macht. Aber wenn der Betreiber einer Atomanlage nach dem Brand eines Transformators zwei Jahre lang an der Behebung des Fehlers arbeitet; wenn nach all der Zeit des Stillstands ein Kurzschluss ausgerechnet an einem Transformator die Stromerzeugung wieder abwürgt - dann spricht das für alles Mögliche, aber nicht dafür, dass der Betreiber das Instrumentarium einer Hochrisiko-Technik im Griff hat.

Für Umweltminister Sigmar Gabriel ist das ganz wunderbar, denn es gibt sonst nicht so viele Felder, auf denen die SPD der Konkurrenz das Wasser abgraben könnte. Die Zukunft der Kernenergie ist so ein Thema, das den einen oder anderen Wähler der Union dazu bewegen könnte, sein Kreuz anderswo zu setzen.

Die Sozialdemokraten sind, was die Verlängerung der Laufzeiten angeht, keineswegs ein monolithischer Block; zumal unter den Europa-Abgeordneten gibt es durchaus Befürworter, die das auch offen sagen. Den anderen aber ist klar, dass ein so vorzügliches Wahlkampfthema nicht verschenkt werden kann - wenn sie nicht sowieso vom Ausstiegskurs überzeugt sind.

Seit das ganze Ausmaß der Schlampereien und Wassereinbrüche im angeblichen Forschungsbergwerk Asse bekannt geworden ist, tun sich die Befürworter eines Endlagers im Salzstock von Gorleben zu allem Überfluss auch noch schwerer damit, an diesem Standort festzuhalten.

Für Gabriel ist das ein guter Moment, um da weiterzumachen, wo sein Vorgänger Jürgen Trittin von den Grünen schon vorgebohrt hat: Pannen und Versäumnisse in einem Kernkraftwerk sind ein Anlass, um die Zuverlässigkeit der Landesbehörden bei der Überwachung der Reaktoren in Zweifel zu ziehen.

Auf dieser Basis kann wieder jene Kompetenz eingefordert werden, die der Bund im Wege der Auftragsverwaltung abgegeben hat. Das setzt allerdings in der nächsten Legislaturperiode eine Änderung des Atomgesetzes voraus, an dem die SPD vermutlich lieber nicht rütteln wird, um keine Debatte über die Laufzeiten zu eröffnen. Es bleibt die Möglichkeit, im Einzelfall per Weisung in die Aufsicht der Länder hineinzuregieren; davon haben Gabriels Vorgänger Töpfer und Merkel einige Male Gebrauch gemacht, um den hinhaltenden Widerstand von Ministern wie Joschka Fischer in Hessen zu brechen.

Gleichwohl sind die zentralen Eingriffsmöglichkeiten in der Atompolitik begrenzt, und der bayerische Umweltminister Markus Söder hat auch recht, wenn er auf die ebenso begrenzten Kompetenzen des Bundesumweltministeriums hinweist. Das wäre von seiner personellen Ausstattung her überfordert, die umfassende Aufsicht über die Reaktorkomplexe in fünf Ländern wahrzunehmen. Daran ändert auch die Zuarbeit der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) nichts, denn deren Gutachten müssen bewertet und gewichtet werden.

Das ist allerdings auch eine Folge der bisherigen Aufgabenverteilung und ließe sich ändern. Im Übrigen sollte Söder den Mund nicht zu voll nehmen, weil auch das Land Bayern sich in der Vergangenheit verweigerte, als die Internationale Atomenergie-Behörde in Deutschland etwaigen Mängeln in der Atomaufsicht nachspüren sollte. Nur Baden-Württemberg war bereit, sich einem solchen Sicherheits-Check zu stellen.

Das sagt viel aus über die verbreitete Intransparenz und über die Angst vor einheitlichen Bewertungsmaßstäben. Die deutsche Bevölkerung kann darauf vertrauen, dass Zustände wie in Tschernobyl hier nicht möglich sind. Mit der mantra-artigen Beschwörung, deutsche Kernkraftwerke seien die sichersten der Welt, ist es aber nicht getan - im Gegenteil, sie ist hochriskant. Dies ist eine Technik, bei der jeder Störfall Anlass sein muss, die Sicherheitsphilosophie zu überdenken.

Auf den Reaktor in Krümmel könnte Deutschland verzichten, ohne dass die Lichter ausgehen. Die Stromexporte übersteigen die Importe seit Jahren, der Überschuss liegt in der Größenordnung von ein bis zwei Kernkraftwerken. Ein Problem ist, dass nach dem Ausstiegsplan vorher noch eine ganze Reihe anderer Anlagen stillgelegt werden müsste.

Schon in der nächsten Wahlperiode des Bundestags wären drei, vier oder fünf Blöcke an der Reihe, darunter beide Reaktoren in Biblis. Diese Lücke zu füllen, ist nicht leicht, aber zu schaffen; es erfordert weitere Anstrengungen für mehr Effizienz und erneuerbare Energiequellen, um gleichzeitig die angepeilten Ziele im Klimaschutz zu erreichen.

Sollten Union und FDP aber auch nach der Krümmel-Panne offensiv mit längeren Laufzeiten werben und damit Erfolg haben, ließe das nur einen Schluss zu: Das Thema Kernenergie bewegt die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr so wie früher. Wenn aber doch, war es ein wahltaktischer Kurzschluss.

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