Debatte über Integration:"Die Rache heißt heute Sarrazin"

Kein Tag ohne Thilo Sarrazin. Der Bundesbanker und Autor doziert bei einer Diskussionsrunde des "Behördenspiegel" über Migration. Provokateur Sarrazin ist der Star, doch seine Kernthesen werden gemieden.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Moderatorin macht eine süffisante Bemerkung, doch der Star des Tages nickt nur müde. Annette Riedel vom Deutschlandradio Kultur sagt, sie verkneife sich jetzt das "Noch", nachdem sie ihren Gast als Bundesbanker und SPD-Mitglied vorgestellt hat. Da lacht der Saal.

-

Ein Mann und sein Rucksack: Thilo Sarrazin verlässt an diesem Montag ein Hörfunkstudio. Die Berliner Fotografen folgen dem Noch-Bundesbanker bis auf die Straße.

(Foto: AFP)

Thilo Sarrazin hat in den vergangenen Wochen öfter solche Scherze auf seine Kosten gehört - und wird sie noch oft hören, bis über seinen Verbleib in der SPD und im Vorstand der Bundesbank entschieden sein wird. Manche würden wohl sagen, dies geschiehe ihm recht. Er ist ja auch nicht gerade bekannt dafür, sich verbal besonders pfleglich mit gesellschaftlichen Randgruppen auseinanderzusetzen.

Sarrazin ist an diesen Montagvormittag in Berlin Gast auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Migration der eher Insidern bekannten Publikation Behördenspiegel. Dass Sarrazin eine Woche zuvor sein Buch Deutschland schafft sich ab vorgestellt hat, ist da wohl weniger Zufall als die unfassbare Meinungsschlacht, die sich rund um den Wälzer entwickelt hat. Für die einen ist Sarrazin ein Rassist, für die anderen einer, der endlich ausspricht, was ohnehin alle denken.

Klären, so viel sei vorweggenommen, wird sich das auf diesem Podium des Behördenspiegel nicht. Obwohl im völlig überfüllten Raum nach Kommentaren Sarrazins augenscheinlich mehr Menschen zustimmend mit dem Kopf nicken als nach den Beiträgen der andere Diskutanten.

Die scheinen bei dieser Veranstaltung nur den Status von Komparsen zu haben. Die CDU-Frau Rita Süssmuth sitzt neben Sarrazin: Sie will, sehr zum Missfallen Sarrazins, bei Migranten lieber das Motto "Fördern statt fordern" eingesetzt wissen. Aber immerhin hat es die frühere Bundestagspräsidentin geschafft, den Begriff "Einwanderungsland" in der CDU zu etablieren.

Mit Sevim Dagdelen ist auch eine Vertreterin der Linken dabei, die Wirtschaft wird vertreten durch BDI-Vize und Bitkom-Präsident August Wilhelm Scheer, die Wissenschaft durch den Migrationsforscher Klaus Bade. Aber gekommen sind die meisten Zuhörer an diesem Tag wohl nur wegen einer Person: Thilo Sarrazin, in seiner Hauptrolle derzeit eher Provokateur als Beamter.

Sarrazin ergibt sich der Moderatorin

Der 65-Jährige trifft auf eine Moderatorin, die alles versucht, damit Sarrazins härteste Thesen hier keinen Raum bekommen. Etwa die von der Erblichkeit von Intelligenz, weshalb bestimmte Volksgruppen vornehmlich aus islamischen Ländern wie der Türkei angeblich weniger schlau seien als jene Abkömmlinge der westeuropäischen Bildungseliten. Weil die aber zu wenig Kinder bekommen, während die erblich aber benachteiligten Gruppen eher zu viele Nachfahren zeugen, sei Deutschland drauf und dran zu verblöden. Glaubt jedenfalls Sarrazin.

Aber, wie gesagt, diese These wird hier nicht diskutiert. Bundesbanker Sarrazin versucht zwar hin und wieder, diesen Gedankengang zu artikulieren. Doch die Moderatorin wünscht sich, dass er sich eher zu wichtigen Themen wie anonymisierten Bewerbungen äußert und hakt so lange nach, bis Sarrazin sich endlich ergibt.

Gegen anonymisierte Bewerbungen könne ja niemand was haben, aber sie seien eben schon deshalb sinnlos, weil ja irgendwann - und zwar vor der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages - der Bewerber physisch vorm Chef stehen werde. Dann hat es sich mit der Anonymität.

Daten, nichts als Daten

Thilo Sarrazin glaubt nicht an Diskriminierung. Lehrer würden Kinder mit türkischem Namen auch nicht anders behandeln als andere Kinder, meint er. Ein Migrant mit gutem Abschluss der Ingenieurswissenschaft habe den Job schon sicher. "Integration durch Leistung", nennt Sarrazin das. Die Frage sei nur, warum bestimmte Gruppen offenbar nicht in der Lage seien, die geforderte Leistung zu bringen, andere aber sehr wohl. Womit er wieder bei seiner Kernthese wäre. Versuchen kann er es ja mal.

5. Demografie-Kongress

An dem Demografie-Kongress in Berlin nahm neben Thilo Sarrazin auch die CDU-Politikerin und die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth teil.

(Foto: dpa)

Die Linke Sevim Dagdelen bringt das ziemlich auf die Palme. Sie referiert über Daten, wonach bei gleicher Qualifikation deutschstämmige Bewerber klar bevorzugt werden und konstatiert einen "strukturellen Rassismus" in der deutschen Gesellschaft, woraufhin aus dem Publikum eine genervtes "Ohh nee" herüberschwappt. Mit einem Satz hat sie sämtliche Klischees über linke Migrantinnen erfüllt.

Je gebildeter, desto besser

Sarrazin bleibt dabei. Wer etwas leistet, wird nicht diskriminiert, wiederholt der Mann, der es just an diesem Tag als "Volksheld" auf den Titel des Spiegels geschafft hatte.

Migrationsforscher Bade erhellt die Situation: Beide hätten recht. Je höher der Bildungsabschluss, desto geringer die Diskriminierung. Mit anderen Worten: Ein studierter Migrant ist anerkannt, einer ohne Schulabschluss nicht. Warum manche Migrantengruppen mehr Abiturienten hervorbringen als andere, sagt er auch nicht. Das war auch schon die wichtigste Erkenntnis des Vormittages.

Dass Bitkom-Präsident Scheer am liebsten alle Einwanderungshürden abschaffen würde, um genug hochqualifizierte Mitarbeiter für seine Hightech-Unternehmen zu bekommen, überrascht kaum. Auch nicht, dass die Linke Dagdelen vielleicht das Ziel teilt, die Hürden abzuschaffen, aber sehr etwas dagegen hat, wenn Menschen nur als Teil der "Verwertungslogik im kapitalistischen System" gesehen werden. Rita Süssmuth sagt später das Gleiche, formuliert es nur anders: "Es sind Menschen gekommen, nicht nur Gastarbeiter."

Der Wissenschaftler Bade weiß natürlich schon seit langem, was schiefläuft in der Integrationspolitik. "Ich habe schon in den achtziger Jahren von defensiver Erkenntnisverweigerung auf diesem Gebiet gesprochen", sagt er und meint wohl die Politik. Die habe sich, wie Süssmuth bekennt, zu lange gedrückt vor dem Thema.

Das hat Folgen, weiß Forscher Bade, und deklamiert: "Die Rache heißt heute Sarrazin."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: