Debatte:Jung und Struck für Zurückhaltung bei Auslandseinsätzen

Der Verteidigungsminister sagte, viele Abgeordnete seien der Meinung, die Grenzen seien erreicht. SPD-Fraktionschef Struck sieht das ähnlich: Er fragte, ob elf Jahre nach dem Bosnien-Krieg immer noch so viele Soldaten auf dem Balkan nötig sind.

Laut Bild am Sonntag stellte Struck die Frage, ob Einsätze nach einer gewissen Zeit noch berechtigt seien. Der Bosnien-Krieg sei seit 1995 vorbei und die Bundeswehr sei noch immer mit ihrem größten Kontingent dort.

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Peter Struck war von 2002 bis 2005 Verteidigungsminister

(Foto: Foto: ddp)

"Wir sollten allmählich das Ziel erreichen, dass unsere Soldaten Bosnien wieder verlassen können," sagte Struck laut Bericht. Viele Aufgaben dort könnten von Polizisten anderer europäischer Länder übernommen werden.

Auch im Kosovo bietet sich laut Struck die Chance der Truppenreduzierung. Voraussetzung sei allerdings eine Klärung des Status der nach Autonomie strebenden serbischen Provinz.

Jede eigene Verantwortung im Zusammenhang mit den Totenschändungen wies Struck von sich: "Hätte der Führungsstab oder gar ich davon erfahren, wäre das natürlich sofort bestraft worden", sagte Struck, der von 2002 bis 2005 Verteidigungsminister war.

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, zwar gebe es im Parlament noch eine breite Unterstützung für Auslandseinsätze. Aber manche Abgeordneten seien inzwischen der Auffassung, die Grenzen seien erreicht.

"Deshalb müssen wir Zurückhaltung üben, was Auslandseinsätze angeht," wurde der CDU-Politiker zitiert. Jede weitere Verpflichtung müsse sehr gut erklärt werden. Notwendig sei eine breite Diskussion über Sinn und Zweck dieser Einsätze.

Kongo-Einsatz könnte sich verlängern

Zurückhaltend äußerte sich Struck über das Ende des Kongo-Einsatzes. Einerseits gebe es das Versprechen, die Mission bis Weihnachten zu beenden. Andererseits könne man die Truppen nicht einfach herausziehen, wenn es die Situation im Kongo nach den Wahlen nicht erlaube und die EU für einen weiteren Verbleib votiere.

Die Präsidenten-Stichwahl im Kongo vom Sonntag zwischen Amtsinhaber Joseph Kabila und seinem Herausforderer, Vizepräsident Jean-Pierre Bemba, soll bis 19. November voll ausgewertet sein. Beide Kandidaten versicherten, das Ergebnis anzuerkennen.

Nach der Totenschändung durch deutsche Soldaten in Afghanistan sind laut Forsa-Umfrage im Auftrag von Bild am Sonntag und RTL 46 Prozent der Deutschen der Meinung, dass sich Deutschland bei Auslandseinsätzen zurückhalten solle. 50 Prozent hätten sich allerdings für das Gegenteil entschieden und vier Prozent hätten sich enthalten.

Grünen wollen mehr Soldaten

"Die Grünen fordern, dass mehr Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen müssen, als es die Bundesregierung vorsieht", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Wenn Deutschland bei einer Armee von 250 000 Männern und Frauen nicht mehr als 10.000 Soldaten im Ausland einsetzen kann, dann handelt es sich um gigantische Fehlplanung."

Unterstützung erhielten die Grünen von der FDP. "Der Anteil der Soldaten, der für Auslandseinsätze zur Verfügung steht, ist deutlich zu gering", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Werner Hoyer der Zeitung. "Wenn die Auslandseinsätze unsere vorrangige Aufgabe sind, dann müssen wir mehr als die maximal 10.000 Mann, die heute dafür möglich sind, einsetzen können."

Beckstein: Munition für weitere Radikalisierung

"Solche Vorfälle liefern islamistischen Extremisten Munition für weitere Radikalisierung", sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) der Bild am Sonntag.

Zudem äußerten Experten die Befürchtung, dass Bundeswehr-Soldaten nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Kosovo makabre Fotos von Toten gemacht haben könnten. Gerüchte, wonach Offiziere in Afghanistan seit längerem von den Fotos wussten, wies das Verteidigungsministerium zurück.

Minister Franz Josef Jung hat nach eigenen Angaben weiterhin keine Hinweise auf die Verstrickung von Truppenführern in den anstößigen Umgang von Soldaten mit menschlichen Knochen in Afghanistan. Der CDU-Politiker sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er hoffe, dass es bei solchen einzelnen Vorkommnissen bleibe und dass nicht die Bundeswehr insgesamt in Misskredit gerate.

Schäuble: Einfluss auf Sicherheitslage unklar

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, es lasse sich noch nicht konkret belegen, ob die Skandalfotos aus Afghanistan Einfluss auf die Sicherheitslage haben werden. In einem streng vertraulichen Bericht warnt das Verteidigungsministerium laut Bild am Sonntag auch vor Gewalt gegen die Afghanistan-Truppe.

Es sei "mit gewaltsamen Übergriffen nicht nur gegen deutsche, sondern auch gegen internationale zivile und militärische Kräfte und Einrichtungen insgesamt zu rechnen", zitierte das Blatt. Die Totenschändungen könnten "auch innerhalb Deutschlands weit reichende Folgen haben".

Merkel: Afghanen sollen besonnen reagieren

Bundeskanzlerin Merkel appellierte an die Menschen in Afghanistan, besonnen zu reagieren. "Die schnelle Aufklärung dieser abscheulichen und schockierenden Vorfälle, die Verteidigungsminister Franz Josef Jung durchgesetzt hat, wird ihre Wirkung beim afghanischen Volk hoffentlich nicht verfehlen."

Es komme darauf an, dass solche Vergehen nicht geduldet, sondern schonungslos verfolgt und bestraft werden, sagte Merkel dem Magazin Focus.

Der Truppenpsychologe Horst Schuh geht davon aus, dass es auch im Kosovo ähnliche Zwischenfälle gegeben haben könnte: "Ich habe selbst im Kosovo mitbekommen, dass junge Soldaten bei Exhumierungen oder in der Pathologie Fotos gemacht haben, die unter der Hand im Lager kursierten, ohne dass die Vorgesetzten offensichtlich davon etwas mitbekommen haben", sagte er der Bild am Sonntag.

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