Debatte im Bundestag:Bundestag winkt Betreuungsgeld durch - Opposition zürnt

Am Ende gab es nur eine Handvoll Abweichler aus den eigenen Reihen: Der Bundestag hat mit der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition das umstrittene Betreuungsgeld beschlossen. SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück hatte das Gesetz zuvor als "Schwachsinn" kritisiert - und angekündigt, es werde nur eine sehr kurze Halbwertszeit haben.

Bundestag Merkel Steinbrück

Als "rückwärtsgewandt" und "schwachsinnig" bezeichnet SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in der Bundestagsdebatte das Betreuungsgeld.

(Foto: dpa)

Das Betreuungsgeld kann kommen: Der Bundestag hat mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP die Einführung der umstrittenen Familienleistung beschlossen. Für das Betreuungsgeld votierten in namentlicher Abstimmung 310 Abgeordnete.

Union und FDP haben zusammen 330 der 620 Sitze. Mehrere Abgeordnete aus der Koalition hatten zuvor bekräftigt, dem Gesetz nicht zuzustimmen, darunter die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP). Auch fünf Unionsabgeordnete hatten ihr Nein angekündigt. Insgesamt gab es 282 Stimmen gegen das Gesetz und zwei Enthaltungen.

Nach dem Willen der schwarz-gelben Koalition sollen Eltern ab August 2013 zunächst 100 Euro und später 150 Euro im Monat erhalten, wenn sie ihre Kinder im Alter von 13 bis 36 Monaten zu Hause betreuen.

Die SPD will das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen oder bei einer Regierungsübernahme sofort wieder abschaffen. Grüne und Linke erwägen ebenfalls eine Klage.

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte das Betreuungsgeldgesetz in der Debatte vor der Abstimmung als "schwachsinnig" abgelehnt. Es entspreche einem rückwärtsgewandten Gesellschaftsbild, "das eher in die Biedermeieridylle passt als ins 21. Jahrhundert".

Steinbrück stellt sich gegen Merkel breiter auf

Es werde außerdem von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt, sagte er in der abschließenden Debatte zu der familienpolitischen Maßnahme im Bundestag. "Weniger Frauen werden eine eigene Berufsbiografie schreiben, weniger Kinder werden Chancen auf frühe Bildungsförderung haben", so der SPD-Politiker, der sich bisher vor allem als Finanz- und Wirtschaftsfachmann positioniert hat. Indem er bei der Debatte um das Betreuungsgeld als Hauptredner der SPD auftrat, wollte sich Steinbrück im Duell mit Kanzlerin Merkel breiter aufstellen.

Der SPD-Kanzlerkandidat verwies darauf, dass das Betreuungsgeldgesetz auch in der Koalition heftig umstritten sei. Nach mehreren vergeblichen Anläufen versuchten Union und FDP nun "unter einem Höchstmaß der Selbstdisziplinierung" und unter "Selbstverleugnung" bei den Liberalen das Gesetz durchzudrücken. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Betreuungsgeld nur aus reinem Machtkalkül durchgesetzt, um ihre Regierung bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr zu erhalten, sagte Steinbrück.

Mit einer SPD-geführten Regierung werde der Gesetzentwurf allerdings "die kürzeste Halbwertszeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben", hatte Steinbrück am Morgen im Deutschlandfunk gesagt.

Die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Dorothee Bär, hatte in einem Interview mit dem Nachrichtensender Phoenix vor der Debatte das Betreuungsgeld verteidigt: "Der Staat ist nicht der bessere Erzieher. Eltern brauchen die Wahlfreiheit, sich entscheiden zu können, wo ihre Kinder am besten aufgehoben sind." Bär wolle eine "Lobbyistin sein für Eltern, die ein anderes Modell wählen" als die öffentliche Betreuung.

Grüne sehen im Betreuungsgeld "Wahlkampfhilfe" für die CSU

Eine Umfrage des ARD-Deutschlandtrends hatte ergeben, dass 59 Prozent der Befragten das Betreuungsgeld ablehnen, während 39 Prozent dafür sind. Unter den Anhängern der Union ist das Meinungsbild gespalten: Hier beträgt das Verhältnis von Befürwortern und Gegnern 51 zu 48 Prozent.

Die Grünen sehen im Betreuungsgeld den Versuch, Wahlkampfhilfe für die CSU zu leisten. "Für diesen teuren Irrweg sollen wir alle bezahlen", sagte Fraktionschef Jürgen Trittin bei seiner Rede im Bundestag. Das Betreuungsgeld sei "kinderfeindlich, frauenfeindlich, familienfeindlich und wirtschaftsfeindlich", sagte er. Gut ausgebildete Frauen würden durch die Leistung vom Arbeiten abgehalten.

Der FDP-Abgeordnete Patrick Meinhardt hat den Sozialdemokraten dagegen "kollektiven Gedächtnisverlust" vorgeworfen. Er erinnerte an Beschlüsse der schwarz-roten Koalition zum Krippenausbau und Einführung einer monatlichen Zahlung an Familien, die ihre Kinder zu Hause betreuen lassen. Es sei an "Unverfrorenheit nicht zu überbieten", wenn SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der damals als Finanzminister die Beschlüsse als "vernünftigen Kompromiss" gewürdigt habe, jetzt von "Schwachsinn" spreche. Steinbrück habe damit den "ehrlichen Anspruch verwirkt, auf dieser Regierungsbank Platz zu nehmen", sagte Meinhardt.

Die Linke-Abgeordnete Diana Golze kritisierte "das Gerede von Wahlfreiheit". Eltern kleiner Kinder hätten keine freie Wahl zwischen Kita-Betreuung und anderen Möglichkeiten, solange es nicht genügend Plätze in öffentlichen Einrichtungen gebe.

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