De Maizières Vorschläge:Wie auf Bestellung

Dass seine Ideen umgehend auf Widerspruch stoßen würden, dürfte der Innenminister geahnt haben. Warum trägt er sie dann trotzdem vor? Der Mann meint es ernst.

Von Stefan Braun und Christoph Hickmann

Diesen Sturm müsste Thomas de Maizière eigentlich geahnt haben. Alles andere wäre naiv oder blauäugig. Kaum hatte der Bundesinnenminister seine neuen Ideen zur Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden und zu einer koordinierteren Abschiebepraxis öffentlich gemacht, da hagelte es am Dienstag Kritik. Und zwar aus allen Himmelsrichtungen, geografisch wie politisch. De Maizière hatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgeschlagen, im Kampf gegen den Terror und die rasch wachsende Cyber-Kriminalität die Begrenzungen durch föderale Strukturen zu lockern. Und schon schimpften Grüne und Linke, ärgerten sich Sozialdemokraten und Christsoziale, kam Protest aus dem Norden, dem Westen und dem bayerischen Süden. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wehrte sich gegen Fusionspläne ebenso wie sein bayerischer CSU-Kollege Joachim Herrmann. Hessens CDU-Innenminister Peter Beuth sprach von "Unsinn". Nur der CDU-Innenexperte Clemens Binninger sicherte de Maizière pflichtgemäß "seine volle Unterstützung" zu. Die Sicherheitsbehörden der Länder seien im Kampf gegen den Terror an Grenzen gestoßen. Deshalb sei "nur konsequent", was Maizière wolle.

Gabriel will den Eindruck vermeiden, dass die SPD Gefahren nicht entschlossen begegnet

Gut möglich, dass die erste große Welle der Ablehnung fast alle Ideen unter sich beerdigt. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Details. Der Innenminister plädiert dafür, den Sicherheitsbehörden des Bundes mehr Kompetenzen im Kampf gegen Terroristen zu geben. Das gilt vor allem für das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz. De Maizière fordert, dem BKA beim Umgang mit sogenannten Gefährdern eine stärkere Rolle zur Koordinierung der Landespolizei-Behörden zu geben. Er verweist darauf, dass es bis heute keine einheitlichen Regeln zur Überwachung von Gefährdern gebe.

Noch umfassender sind seine Ideen für den Verfassungsschutz. Hier schlägt er vor, die "gesamte Aufgabe in die Bundesverwaltung zu übernehmen". Der Ruf danach ist nicht neu; die Reaktionen der Bundesländer sind es ebenso wenig. De Maizières Begründung: "Kein Gegner unserer Verfassung strebt die Beseitigung der Verfassung in nur einem Bundesland an." Bisher wehrten sich die Länder immer, auf eigene Verfassungsschützer zu verzichten - unabhängig davon, ob sie überhaupt die Mittel haben, um im Kampf gegen Cyber-Attacken oder islamistische Netzwerke genug Leute und Technik einsetzen zu können.

Flughafen Frankfurt fährt Sicherheitsmassnahmen hoch

"Schrittweise eine echte Bundes-Polizei": Der Innenminister will, dass Bundespolizisten künftig mehr tun als beispielsweise Flughäfen zu schützen.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Zum Bereich der Sicherheit gehört auch die Forderung, die polizeiliche Schleierfahndung, bislang beschränkt auf ein Gebiet von 30 Kilometern bis zur Grenze, auf das gesamte Bundesgebiet ausdehnen zu können. Die Bundespolizei müsse auf den Hauptverkehrswegen in ganz Deutschland fahnden dürfen. Daran angehängt verlangt de Maizière, dass nicht nur die Polizeien der Länder, sondern auch die Bundespolizei bei der Ermittlung sich illegal im Land befindender Menschen volle Zuständigkeit erhalte. Was eher klein klingt, birgt großen Sprengstoff: De Maizière will "schrittweise eine echte Bundes-Polizei". In die gleiche Richtung zielt sein Ruf, dem nationalen Cyber-Abwehrzentrum in "komplexen Schadenslagen" die Federführung aller Bemühungen bundesweit zu überlassen. Im Extremfall hieße das, dem Zentrum Eingriffsrechte in Unternehmen und private Haushalte zu gewähren.

Und damit nicht genug: Auch mit Blick auf Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber macht er weitere Vorschläge. So plädiert der Minister dafür, sowohl bei den Beschlüssen zur Ausweisung als auch bei der tatsächlichen Ausführung von Abschiebungen die Behörden der Länder zu bündeln, möglichst verknüpft mit einem gemeinsamen Zentrum in Berlin, das Rückkehr, Ausreise oder Abschiebung koordinieren könnte. Außerdem möchte er jene abgewiesenen Asylbewerber an einem Ort zusammenlegen, die - wie er es schreibt - "das Ausreisehindernis selbst zu vertreten haben". Schließlich will de Maizière "Bundesausreisezentren" in der Nähe von Flughäfen. An diese könnten die Länder Ausreisepflichtige übergeben.

Die Reaktionen: breite Ablehnung, selbst dort, wo Härte sonst sehr gefragt ist. Selbst die CSU rief am Dienstag Stopp. Dass der Bund auch Bayern Kompetenzen entziehen will, kommt für sie nicht infrage. Minister Herrmann hat das intern offenbar schon deutlich gemacht. Und CSU-Chef Horst Seehofer will es an diesem Mittwoch, zu Beginn der Landesgruppen-Klausur, "unmissverständlich deutlich machen", heißt es in Parteikreisen.

Und die SPD? Deren Vorsitzender Sigmar Gabriel sagte zu den Ideen: "Herr de Maizière macht einen Vorschlag, der nichts anderes bedeutet als eine große Föderalismuskommission." Deshalb halte er den Vorstoß nicht für die richtige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Man könne zwar über "alles diskutieren" - doch die letzten Reformen dieser Art hätten Jahre gebraucht. So viel Zeit habe man nicht.

Deutsche Sicherheitsarchitektur

Die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik ist von föderalem Geist geprägt. Bund und Länder unterhalten parallele, mitunter konkurrierende Behörden.

Landespolizei:

Laut Grundgesetz ist die Polizeiarbeit zunächst einmal Ländersache. Deshalb unterhält jedes Bundesland eine eigene Polizei. Zusammengenommen beschäftigen die jeweiligen Landespolizeibehörden eine Viertelmillion Menschen.

Bundespolizei:

Die Polizei des Bundes, 2005 aus dem einstigen Bundesgrenzschutz hervorgegangen, zählt gegenwärtig 41 000 Bedienstete. Außer dem Schutz der Grenzen, des Luft- und Bahnverkehrs zählt die Unterstützung der Länder beim Schutz von Großveranstaltungen und bei der Kriminalitätsbekämpfung zu ihren Aufgaben. Der selbstbewusste Slogan auf ihrer Webseite lautet: "Wir sind Sicherheit."

LKA:

Jedes Bundesland unterhält ein eigenes Landeskriminalamt, dessen Ausstattung sehr unterschiedlich ist: Bayern beschäftigt 1800 Mitarbeiter, das Saarland nur 430.

BKA:

Das Bundeskriminalamt mit Sitz in Wiesbaden, 1951 gegründet, soll die Verbrechensbekämpfung in Deutschland koordinieren. Es beschäftigt 5500 Mitarbeiter.

Landesamt für Verfassungsschutz:

In sieben Bundesländern gibt es eigenständige Verfassungsschutzbehörden, in den übrigen neun ist der Verfassungsschutz eine Abteilung im jeweiligen Innenministerium. Bundesamt für Verfassungsschutz: Aufgabe ist die Überwachung und Enttarnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen in Deutschland. Die Behörde mit Sitz in Köln beschäftigt mehr als 2800 Mitarbeiter. Das Grundgesetz gebietet die organisatorische Trennung von Verfassungsschutz und Polizei. SZ

Damit vermied es Gabriel, sich inhaltlich im Einzelnen zu den Vorschlägen zu äußern. Er weiß, wie gefährlich seiner Partei Debatten über innere Sicherheit werden können. Der unter SPD-Funktionären verbreitete Reflex, auch im Angesicht realer Bedrohungen erst mal vor einem allzu starken Staat zu warnen, bietet aus Gabriels Sicht der Union immer wieder die Chance, die Sozialdemokraten als verantwortungslose Gesellen hinzustellen: Denen sei die Sicherheit der Bürger eben nicht ganz so wichtig. Deshalb zwang er die Partei 2015 gegen heftige Widerstände auf seinen Kurs pro Vorratsdatenspeicherung.

Der Vizekanzler weiß, dass die SPD mit dem Thema Sicherheit keine Wahl gewinnen wird. Dazu wird es traditionell zu stark mit der Union verbunden. Ihm ist aber bewusst, dass die SPD weiter verlieren könnte, wenn der Eindruck entstünde, sie wolle den aktuellen Gefahren nicht entschlossen entgegentreten. Aus diesem Bewusstsein heraus ist auch sein aktuelles Papier zum Thema entstanden, das der SPD-Chef via "Tagesschau" öffentlich machte: "Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit", so ist es überschrieben.

Darin benennt Gabriel die Gefahren, die der SPD aus seiner Sicht in einer überhitzten Debatte drohen - etwa die "reflexhafte Abwehr einer sicherheitspolitischen Diskussion". Statt in diese Falle zu tappen, sollten die Sozialdemokraten "selbst eine aufgeklärte Diskussion über die Aufgaben in der inneren Sicherheit" führen. Die öffentliche Sicherheit sei "ein ursozialdemokratisches Thema" - schließlich sei Sicherheit "das Unterpfand der Freiheit". Daraus folge, dass es bei diesem Thema zwischen Union und SPD "Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede" gebe: "Zentraler Unterschied zur SPD ist es, dass CDU/CSU sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen konzentrieren", so das Papier.

Zwar sehe auch die SPD "gesetzlichen Handlungsbedarf", etwa "bei verstärkter Videoüberwachung öffentlicher Räume oder einer Verhängung von Abschiebehaft für ausreisepflichtige Gefährder". Trotzdem dürfe man Prävention und "die Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft" nicht vergessen. "Scheinlösungen" wie die Einführung von Transitzonen will Gabriel jedenfalls nicht mitmachen.

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