David Petraeus im Interview:"Das ist Krieg. Das ist schwer"

David Petraeus ist der Trouble-Shooter der US-Präsidenten, erst im Irak, dann am Hindukusch. Der Afghanistan-Kommandeur über Erfolge im Kampf gegen die Taliban, Abzugspläne und Verhandlungen mit den Islamisten.

S. Kornelius und T. Matern

Kabul, Hauptquartier der von der Nato geführten Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (Isaf). Der Oberbefehlshaber der westlichen Einheiten am Hindukusch, der amerikanische Vier-Sterne-General David Petraeus, kommt spät. Der Rückflug aus der Provinz Herat hatte sich wegen Schneefalls verzögert. Schnee ist gut, weil es zu wenig Niederschlag gibt in Afghanistan - und weil er die Kämpfe verlangsamt. Petraeus führt das Kommando mit Hilfe von sieben Telefonen und drei Computer-Monitoren auf seinem Schreibtisch. In den Konferenzräumen hängen gewaltige Bildschirme - der Krieg wird per Videokonferenz geführt. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zieht General Petraeus eine Bilanz des Schlüsseljahrs 2010, gibt einen vorsichtig optimistischen Ausblick und macht klar, dass ein Abzug von der Lage am Einsatzort abhängt - nicht von einem politischen Zeitplan.

Petraeus And Eikenberry Testify Before Senate Foreign Relations Committee

Vier Sterne trägt er auf der Schulter, die Ordensspange bedeckt die halbe Brust - David Petraeus, 58, ist einer der ranghöchten und höchstdekorierten Soldaten des US-Heeres. Seine Karriere verlief makellos: Er studierte an der Kaderschmiede West Point, arbeitete sich durch die Offiziersränge nach oben bis zum General. Im Irak-Krieg kommandierte er die 101. Luftlandedivision, später wurde er zunächst US-Oberbefehlshaber im Irak, dann für den gesamten Nahen Osten. Von ihm stammt der relativ erfolgreiche Plan zur Aufstandsbekämpfung im Irak. Im Juni 2010 ernannte US-Präsident Barack Obama Petraeus zum Oberbefehlshaber in Afghanistan.

(Foto: AFP)

SZ: 2010 war das Jahr der Konferenzen für Afghanistan. Was ist das Ziel für 2011? Naht das Ende des Einsatzes?

David Petraeus: 2010 war vor allem das erste Jahr, in dem die Isaf und das gesamte militärisch-zivile Unternehmen die richtigen Akzente gesetzt haben. Zum ersten Mal hatten wir die Instrumente zur Hand, um eine komplexe zivil- militärische Operation zur Aufstandsbekämpfung auszuführen. Vor allem hatten wir etwa 100 000 zusätzliche afghanische Soldaten im Einsatz und eine bedeutende Zahl ziviler Helfer. Das hat uns in den vergangenen sechs Monaten einen enormen Fortschritt beschert. Am Ende des Jahres haben wir den Vorwärtsdrang der Taliban in weiten, aber nicht in allen Teilen des Landes aufgehalten. In einigen wichtigen Gegenden haben wir ihn umgekehrt, etwa in Schlüsseldistrikten der Provinz Kandahar.

SZ: Was macht Sie so sicher, dass die Taliban sich nicht nur aus taktischem Kalkül zurückgezogen haben?

Petraeus: Sie haben heftig gekämpft und kämpfen immer noch, um nicht noch mehr zu verlieren. Wir wissen aus internen Taliban-Befehlen, dass die Quetta-Schura, die Spitze der Taliban, ihrer militärischen Führung befohlen hat, nach Afghanistan zurückzukehren und auch im Winter weiterzukämpfen, statt sich in Pakistan zu sammeln.

SZ: Es gibt also in diesem Jahr keine Kampfpause im Winter?

Petraeus: Die Gewalt ist deutlich zurückgegangen, aber lange nicht so deutlich wie in den Jahren zuvor. Das liegt daran, dass es ein relativ milder Winter ist, in Kabul liegt kein Schnee. Außerdem befiehlt die Führung der Taliban die Fortsetzung der Kämpfe. Und drittens sind wir wegen unserer neuen Stärke jetzt in vielen Gegenden präsent, die bisher von den Taliban kontrolliert wurden. Wir werden die sicheren Regionen ausdehnen, weiter kämpfen und Kapital aus unseren Erfolgen schlagen.

SZ: Aber da haperte es doch in der Vergangenheit. Sie wollten arbeitsfähige Regierungseinheiten in die befreiten Gebiete bringen und sind gescheitert.

Petraeus: Das war vielleicht die Einschätzung von vor vier Monaten. Ich würde sie heute nicht mehr teilen. In Marjah zum Beispiel hat gerade die Oberschule geöffnet - zum ersten Mal nach sechs Jahren. Überhaupt gehen so viele Kinder, Mädchen eingeschlossen, zur Schule wie seit fünf Jahren nicht mehr. Heute gibt es auf zwei Märkten in der Stadt Lebensmittel statt Drogen und Waffen zu kaufen. Es ist korrekt, dass es früher ein paar voreilige Siegesmeldungen gab, und manchmal war die Sprache nicht richtig gewählt. Heute haben wir einen guten Distrikt-Verwalter und gute Beamte. Die sind nicht leicht zu finden für die bisher gewalttätigsten Regionen im Land. Da leuchten die Lichter in Kabul heller.

SZ: Im Norden scheint sich die Lage ebenfalls gebessert zu haben. Ist das dem großen US-Kontingent zu danken, den Milizen oder der Bundeswehr?

Petraeus: Einer Kombination von allem. Die Deutschen sollten auf ihre Männer und Frauen in Uniform, ihre Diplomaten und ihre zivilen Helfer sehr stolz sein - vor allem auf die konventionellen Einheiten und die Spezialkräfte. Zum ersten Mal in der modernen deutschen Militärgeschichte beteiligen sich zwei Bataillone mit beeindruckenden Ergebnissen an der Aufstandsbekämpfung. Die Vertreibung der Taliban aus Kundus wurde ergänzt durch die afghanische Polizei-Initiative mit jetzt 3000 Mitgliedern. Mit einer Reihe von Vorsichtsmaßnahmen haben wir sichergestellt, dass es sich hier eben nicht um Milizen oder Armeen von Warlords handelt. Sie stehen unter Kontrolle des Innenministeriums. Es gibt zwar noch Milizen im Norden, aber es wurden Befehle erteilt, sie zu demobilisieren. Die Dynamik der Taliban jedenfalls ist auch im Norden gestoppt.

SZ: Ist das vor allem das Ergebnis gezielter Angriffe auf die Kommandostruktur durch US-Spezialeinheiten?

Petraeus: Es waren die deutschen Kräfte, die den größten Anteil in Kundus und Bagram trugen. Die US-Truppen sind über den ganzen Norden verteilt. Nebenbei gibt es noch ein paar sehr kompetente afghanische Einheiten von Polizei und Militär. Also: Das war eine Teamleistung, ganz klar, geleitet von einem brillanten Regionalkommandeur.

SZ: In Deutschland wird dieser Stolz nicht geteilt. Die Mehrheit der Bürger hätte die Soldaten lieber heute als morgen draußen aus Afghanistan.

Petraeus: Vermutlich aus denselben Gründen, die auch andere Menschen frustriert haben. Dies hier ist für viele beteiligte Nationen der längste Krieg in ihrer Geschichte. Auch in meinem Land ist die öffentliche Unterstützung kontinuierlich zurückgegangen. Die Unzufriedenheit ist verständlich.

SZ: Diese Unzufriedenheit drückt sich im Wunsch nach einem schnellen Abzug aus. Der Bundestag wird nächste Woche ein Mandat debattieren, in dem ein erster Abzug für Ende dieses Jahres in Aussicht gestellt wird. Ist das hilfreich?

Petraeus: Zunächst liegt es am Bundestag, dies zu diskutieren und zu entscheiden. Der zivile Repräsentant der Nato und ich werden Ende Februar eine Empfehlung aussprechen, in welchen Gegenden wir den Beginn der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Kräfte für möglich halten. Dabei müssen wir auf die Prinzipien der Übergabe achten: Wir wollen unsere Truppen ausdünnen, nicht einfach die Sache aus der Hand geben. In einigen Fällen werden wir auf der Ebene der Distrikte anfangen, in anderen Fällen auf der Provinzebene. All das wird in einem Tempo geschehen, das von den Bedingungen vor Ort diktiert wird.

"Militäraktionen müssen politisch begleitet werden"

SZ: Feste Daten sind also künstlich? Alles hängt an den Bedingungen vor Ort?

Petraeus: Es ist verständlich, dass Regierungen Termine vorgeben. Meine eigene Regierung hat neben einer Aufstockung um fast 70.000 Soldaten angekündigt, dass die "verantwortungsvolle Reduzierung" der Einheiten je nach Lage vor Ort im Juli dieses Jahres beginnen soll. Es ist das Privileg der politischen Führer, diese Schritte zu diskutieren.

SZ: Eilt der politische Wille den militärischen Zwängen voraus?

Petraeus: Ehrlicherweise glaube ich, dass der politische Wille vom Fortschritt vor Ort abhängt. So war es auch im Irak. Als wir dort die Truppenzahl erhöht haben, war die Unterstützung in den USA abgestürzt. Dank der heroischen Leistung der Soldaten und der Iraker konnten wir Zeit in Washington gewinnen.

SZ: Ist der Juli als Abzugsdatum also umkehrbar, oder müssen Sie Ihrem Oberkommandierenden, Präsident Barack Obama, folgen?

Petraeus: Unsere Absicht ist es, der Politik zu folgen. Ich habe die Politik unterstützt, als sie verkündet wurde. Ich habe seitdem immer geglaubt, dass ich die Politik umsetzen kann. Am Ende wird ein Kommandeur jedoch seinen bestmöglichen professionellen, militärischen Rat geben. Dazu wurde ich auch aufgefordert, als ich mit Präsident Obama im Oval Office saß und er mich - ein wenig überraschend - bat, Kommandeur in Afghanistan zu werden.

SZ: Die Afghanen haben aber den Eindruck, der Westen verlasse sie.

Petraeus: Im Gegenteil, die Menschen wissen, dass wir sie nicht alleine lassen. Sie haben den Lissabonner Nato-Gipfel genau verfolgt, auch die Botschaften von US-Vizepräsident Joe Biden oder Ihrem Außenminister. Etwa, dass Deutschland auch nach 2014 beteiligt bleiben würde. Das haben die Afghanen klar und deutlich verstanden. Ebenso, dass alles, was wir tun, von der Lage vor Ort abhängt.

SZ: Können Sie dem Weißen Haus heute schon eine Zahl nennen, wie viele Soldaten im Juli abgezogen werden?

Petraeus: So weit sind wir noch nicht. Wir werden sehen, wie die Situation kurz vor dem Juli ist.

SZ: Wann, glauben Sie, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um mit den Taliban über ein Ende der Kämpfe in Afghanistan zu verhandeln?

Petraeus: Zwei Dinge müssen Sie unterscheiden: Erstens gliedern wir versöhnungsbereite Taliban aus der mittleren Kommandoebene und Kämpfer wieder in die Gesellschaft ein. Die ranghohen Anführer der Taliban verstecken sich ja in Pakistan. Sie führen eher aus dem Hintergrund. Ein Afghane hat mir gesagt: Das sind Luxus-Anführer. Die einfachen Kämpfer haben mit dem Winter zu tun, sie sind in harte Kämpfe verwickelt - aber die Anführer sitzen in luxuriösen Behausungen außerhalb des Landes, rufen ihre Männer auf dem Mobiltelefon an und fordern sie auf, bis zum letzten Mann zu kämpfen.

SZ: Dennoch wird man irgendwann mit ihnen reden müssen.

Petraeus: Eines nach dem anderen. Das Geld für die Wiedereingliederung ist gerade erst freigegeben worden. Der afghanische Hohe Friedensrat hat seine Arbeit aufgenommen, es gibt mindestens ein Dutzend Friedens- und Reintegrationsprogramme. Das ist die Realität. Die Zahlen sind noch immer bescheiden. Dann gibt es den Versöhnungsprozess, eine afghanisch geführte Angelegenheit. Jüngst hat der Hohe Friedensrat Entscheider in Pakistan getroffen, Offizielle aus Pakistan waren in Kabul.

SZ: Es geht hier um die Frage, ob hochrangige Taliban-Führer die Aussöhnung mit der afghanischen Regierung wollen.

Petraeus: Wir unterstützen das voll. Aufstände enden nicht, indem man die bösen Jungs tötet, gefangen nimmt oder vertreibt. Typischerweise versöhnen sie sich, so wie wir das mit unseren irakischen Partnern getan haben. So war es auch beim Nordirland-Konflikt.

SZ: Wer aber redet derzeit mit wem? Die Nato hat kürzlich einen angeblich hochrangigen Taliban nach Kabul gebracht - der Mann stellte sich als Hochstapler heraus.

Petraeus: Das war bekannt. Von vornherein gab es große Zweifel.

"Es istr leicht, viel zu versprechen"

SZ: Aber warum haben Sie sich dann eingeschaltet?

Petraeus: Das war eine afghanische Initiative, unterstützt von manchen Truppensteller-Ländern. Aber beim zweiten Mal ist der Mann nicht einmal mehr nach Kabul gebracht worden - weil seine Identität feststand. Die Isaf wusste von allem.

SZ: Von außen bleibt der Eindruck, dass die in Kabul nicht wissen, mit wem sie da eigentlich reden.

Petraeus: Eindrücke sind häufig falsch, und das war in diesem Fall so. Es gab von Anfang an große Zweifel über die wahre Identität dieses Mannes. Aber es wurde entschieden, dass man es trotzdem versuchen sollte, nur um zu sehen, was bei der Taliban-Führung passiert.

SZ: Zurück zum Kern: Wann beginnen die ernsthaften Versöhnungsgespräche - ist bereits jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen?

Petraeus: Es gibt viele Initiativen, aber darüber rede ich nicht.

SZ: Sie haben von den Luxus-Behausungen der Taliban-Führer gesprochen. Wer stellt die eigentlich zur Verfügung?

Petraeus: Es ist schwer zu sagen, woher das Geld kommt. Die Taliban haben verschiedene Quellen: illegale Geschäfte, Drogen-Industrie, Spenden von außerhalb der Region und vielleicht Unterstützung aus der Region.

SZ: Was tun Sie gegen die Unterstützung aus der Region, etwa aus Pakistan?

Petraeus: Wenn wir über Pakistan reden, dann sollten wir zunächst feststellen: Das pakistanische Militär hat beeindruckende Operationen gegen Aufständische durchgeführt, die eine Gefahr für die Existenz Pakistans darstellen. Wir stehen ständig im Austausch mit der pakistanischen Militärspitze. Wir arbeiten an gemeinsamen Operationen. Jüngst haben wir eine gemeinsame Operation auf ihrer Seite der Grenze koordiniert - wir waren der Amboss, sie waren der Hammer. Etwa 35 Aufständische sind über die Grenze gekommen und wurden auf der Isaf-Seite getötet. Und in Kunar haben wir eine Reihe Aufständischer in Richtung Pakistan gedrängt, viele wurden getötet. Um fair zu sein: Das pakistanische Militär hat eine Reihe von Stöckchen ins Hornissennest gesteckt - außerdem wurden ihre Truppen durch die tragische Flut gebunden.

SZ: Pakistan verfolgt längst nicht alle Taliban - vor allem nicht die, mit denen die Nato in Afghanistan zu tun hat.

Petraeus: Das weiß die pakistanische Führung selbst.

SZ: Was für Garantien braucht Pakistan, dass es keine Gefahr mehr aus Afghanistan wittert?

Petraeus: Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat mit Pakistans Führung über die nachvollziehbaren pakistanischen Bedenken bezüglich des indischen Einflusses in Afghanistan gesprochen. Mit der Zeit, hoffe ich, wird es durch einen konstruktiven Dialog, durch vertrauensbildende Maßnahmen, durch den schwindenden Einfluss der Taliban besser in der Zusammenarbeit werden.

SZ: Gibt es für Sie einen perfekten Plan, der zu einem Abzug der Kampftruppen im Jahr 2014 führen kann?

Petraeus: Die militärischen und politischen Ziele habe ich alle benannt. Militäraktionen sind nötig, aber sie reichen nicht aus, sie müssen politisch begleitet werden. Vor allem aber müssen wir als Erste mit der Wahrheit herauskommen. Wir müssen übergroße Versprechungen vermeiden. Das Ziel ist, weniger zu versprechen und mehr zu liefern.

SZ: Die Uhren ticken anders in Washington und in Kabul. Spie lt am Ende die Zeit den Taliban doch in die Hände?

Petraeus: Wir müssen unsere afghanischen Partner in die Lage versetzen, von 2014 an selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Es geht nicht darum, Afghanistan in zehn oder weniger Jahren in die Schweiz zu verwandeln. Aber wir wollen Afghanistan an einen Punkt bringen, an dem es mehr und mehr für sich selbst sorgt. Als ich 2005 ins Land kam und eine Einschätzung vornahm, hieß es: Das hier ist der gute Krieg. Irak galt als der schlechte Krieg. Meine Einschätzung war damals schon, dass Afghanistan der längste Krieg werden würde.

SZ: Zur Zeit ist die Euphorie im Westen über die vermeintlichen militärischen Erfolge in Afghanistan aber fast mit Händen zu greifen.

Petraeus: Es ist leicht, zu viel zu versprechen. Hier in Afghanistan lebt man wie in einer Achterbahn. Man kann wunderbare Höhen erreichen, wenn Truppen siegreich sind - manchmal schneller als erwartet. Und gerade wenn man denkt, alles läuft gut, kommt ein Selbstmordattentäter um die Ecke, zerstört einen Checkpoint oder tötet afghanische Zivilisten. Das ist ein zähes Ding. Das ist Krieg. Das ist schwer. Was wir im Irak gesagt haben, trifft auch hier zu: Alles ist schwer, und zwar immer. Ich versuche weder Optimismus noch Pessimismus zu verbreiten, sondern Realismus.

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