·:Das tödliche Gespinst

Ein Jahr danach: Der Terror zeigt viele Gesichter und ist für Fahnder und Geheimdienste kaum zu greifen. Trotz des weltweiten Kampfes gegen den internationalen Terrorismus gelingt es der Al-Qaida-Gruppe, ihr Netz noch auszubauen.

Hans Leyendecker und Nicolas Richter

Ja, er sei ein Mitglied von Osama bin Ladens al Qaida gewesen. Ja, er habe in Bosnien und Tschetschenien gegen die Ungläubigen gekämpft. Ja, er habe von der Vorbereitung von Anschlägen gewusst.

Ja, er habe in Deutschland Freiwillige für den Heiligen Krieg rekrutiert und auch drei der vier Todespiloten vom 11.September, die aus Hamburg stammenden Mohammed Atta, Marwan al-Shehhi und Ziad Jarrah, habe er 1996 oder 1997 geworben.

Seit einem guten halben Jahr sitzt der 41 Jahre alte und 145 Kilogramm schwere deutsche Staatsbürger Mohammed Haydar Zammar, 41, in seinem Geburtsland Syrien in Haft. Er antwortet nur auf Vorhalte, sagt, es sei "Sünde", Glaubensbrüder zu belasten. Und er sei bereit, den Märtyrertod zu sterben.

Aber er redet. Zammar erzählt aus dem Innenleben der Terror-Holding einschließlich der deutschen Besonderheiten. Etwa 2000 Euro Sozialhilfe und Kindergeld habe er monatlich bekommen; die Hälfte davon sei für die achtköpfige Familie draufgegangen - mit den restlichen 1000 Euro habe er seine Aktivitäten als Glaubenskrieger bezahlt, vor allem zahlreiche Reisen nach Pakistan oder Afghanistan.

Nur in einem Punkt ist sich Zammar, gegen den in Deutschland seit Herbst vergangenen Jahres ein Ermittlungsverfahren läuft, ganz sicher: Von den geplanten Anschlägen auf New York und Washington will der Mann, den sie in der Hamburger Szene "Bruder Haymar" nannten und dessen deutscher Pass neulich in dem zerbombten Haus eines ehemaligen al-Qaida-Führers in Afghanistan gefunden wurde, nichts gewusst haben. Mudschaheddin-Ehrenwort.

Ein knappes Jahr nach den Terroranschlägen versuchen weltweit Fahnder und Geheimdienstler immer noch, die Hintergründe des Massenmordes aufzuhellen. "Wir sind seit dem 11. September ein gutes Stück bei unseren Ermittlungen weiter gekommen", sagt ein Staatsschützer des Bundeskriminalamtes: "Der Befehl zum Anschlag kam aus Afghanistan."

Vermutlich sei der flüchtige Kuwaiter Khalid Scheich Mohammed, der als enger Vertrauter bin Ladens gilt, der Chefplaner des Massenmordes gewesen, vermutet ein anderer hoher Sicherheitsexperte. Gleichwohl habe die Hamburger Gruppe um den Rädelsführer Atta eine "sehr wichtige Rolle gespielt". Die Vorbereitungen auf den Anschlag seien vermutlich bereits 1998 angelaufen.

Dass der perfide, perfekteste Terrorakt der Geschichte gelingen konnte, liegt auch am Versagen der Sicherheitsbehörden. Warnhinweise wurden nicht beachtet, FBI und CIA verzettelten sich in Kleinkriegen.

"Alle westlichen Zivilisationen, die ihre Macht genießen, sind in ihrem Innern sehr schwach" stand in einer spirituellen Anleitung für die Mörder vom 11. September.

Deutschen Ermittlern lagen früh Hinweise auf eine Szene radikaler Hamburger Muslime um Zammar vor. So interessierte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits 1997 für Zammars Verbindungen zu anderen Glaubenskriegern.

Zammars Telefon wurde monatelang von Nachrichtendienstlern abgehört. Mitte Februar 1999 bekamen die Lauscher mit, dass sich Zammar bei Atta und Co. in der Marienstraße 54 zu Hamburg aufhalte.

Zu der Gruppe gehörten Ramzi Binalshibh und Said Bahaji, die Logistiker des Anschlags vom 11. September, die heute noch weltweit gesucht werden. Aber die damaligen Beobachtungen reichten nicht aus für ein Ermittlungsverfahren.

Der Kampf gegen die Hydra des Terrorismus ist immer noch schwierig, und er wird sehr langwierig sein. In afghanischen Lagern sind in den neunziger Jahren bis zu 80.000 Glaubenskrieger ausgebildet worden. Aktivisten vom Schlage Zammar hatten Märtyrern in spe Schießkurse vermittelt.

Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste sind in den Lagern etwa 7000 Kämpfer speziell im großen Einmaleins des Terrorismus geschult worden. Die meisten von ihnen kamen aus Nordafrika, manche aber auch aus Frankreich oder Deutschland.

Durch die Bombardements der US-Luftwaffe sind die Lagergebäude zwar pulverisiert worden, aber die Organisation al Qaida ist nach übereinstimmender Ansicht westlicher Terrorismusexperten noch lange nicht zerstört. Sie soll sogar noch stärker motiviert sein, gegen die Amerikaner vorzugehen, weil die US-Armee al Qaida aus deren Zentrale in Afghanistan vertrieben hat.

Die meisten Top-Terroristen sind untergetaucht und gruppieren sich neu. Sie halten sich in Pakistan versteckt, sind in den Iran, in den Norden des Irak gezogen oder in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Sie halten untereinander Kontakt.

Manchmal per E-Mail, angeblich chatten sie sogar im Internet miteinander. Die Erklärung des US-Präsidenten George Bush - "wir kriegen die Killer, einen nach dem anderen" -, ist bislang eine Ankündigung geblieben. Verbürgt ist nur der Tod von bin Ladens Militärchef Mohammed Atef, der von einer Luftmine zerrissen wurde.

Zudem wurde der bin-Laden-Vertraute Abu Zubayda, der Attentäter auf ihre Aufgaben vorbereitet haben soll, in Pakistan festgenommen. Bin Laden ist verschwunden, lebt aber möglicherweise noch.

Die meisten befragten Experten hängen der Theorie an, dass al Qaida etwa 500 Mitarbeiter hat, die auf Kontakte in aller Welt zurückgreifen könnten. Eine Annahme, mehr nicht. Aber "das Netzwerk ist viel dichter gewoben, als wir das im September 2001 vermutet haben", sagt ein deutscher Sicherheitsexperte.

"Jeder kennt irgendwie jeden und hilft jedem. Der eine transportiert für den anderen Geld, der andere falsche Pässe".

Bei der Zerschlagung von Terrorzellen in Europa zeigte sich, wie eng die Glaubenskrieger kooperieren. Die nach ihrem Kopf "Meliani" benannte Gruppe, die im Dezember 2000 in Frankfurt kurz vor einem geplanten Anschlag auf ein Ziel in Straßburg aufflog, hatte von Gleichgesinnten in London duplizierte Kreditkarten erhalten.

In Spanien wurde eine Gruppe um Abu Dahdah zerschlagen; diese Gruppe war vor allem dafür zuständig gewesen, junge Muslime für Trainingslager in Afghanistan zu rekrutieren. Die italienischen Behörden hoben in Mailand eine "Varese"-Zelle aus, die wiederum Helfer in München hatte.

Der Verfolgungsdruck ist stärker geworden. Auch in Frankreich nahmen die Ermittler eine Gruppe fest, die Anschläge auf die US-Botschaft in Paris geplant hatte. Aber die Verfolgten reagieren auf den Druck: Experten beobachten, dass die Zellen noch konspirativer arbeiten. Die Kämpfer wissen, dass sie belauscht werden und tauschen oftmals Mobiltelefone, um die Behörden zu verwirren.

Viele Spinnen weben ein großes Netz und die Fäden führen an viele Orte. In dieser Hierarchie der Terror-Holding gibt es keinen Mittelbau, sondern nur Oben und Unten. Es zeichnet sich immer das selbe Muster ab: Anschläge werden nach Erkenntnissen der Terror-Fahnder jahrelang ausgearbeitet. Kurz vor dem Anschlag muss ein Oberer den Segen geben.

Der Attentäter von Djerba etwa, der im April einen Anschlag auf die Synagoge auf der Ferienhalbinsel verübte, rief vor dem Mord noch in Pakistan sowie in der Schweiz und in Mülheim an der Ruhr an. Dort sprach er mit Christian G., den er aus Pakistan oder Afghanistan kannte.

Der Bundesnachrichtendienst hat eine Abschrift dieses Telefonats befreundeten arabischen Diensten vorgelegt - nach deren Analyse war G. der Führungsoffizier des Mörders, der sich in Deutschland die Genehmigung für den Mord erbeten habe. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Ulrich Kersten, sprach mit syrischen Kollegen über die Rolle von G., auch in diesen Gesprächen fiel der Begriff Führungsoffizier. Ein Beweis ist das nicht. Gegen G. läuft ein Verfahren der Bundesanwaltschaft.

Generation der Skrupellosen

Heute Karatschi, Dagestan oder Djerba - morgen Irgendwo. Die Terroristen der neuen Generation sind gefährlicher, skrupelloser als ihre Vorgänger. Sie halten es nicht einmal mehr für nötig, ihre Taten zu rechtfertigen. Ihr Terror kann von jedem ausgeübt werden, und er kann jeden treffen. Das löst an vielen Orten Paranoia aus.

Vor allem die amerikanischen Dienste überfluten ihre Regierung, aber auch die Behörden der Verbündeten, mit Berichten über angeblich verdächtige Vorgänge, weil sie in der ständigen Furcht leben, für den nächsten Anschlag mitverantwortlich gemacht zu werden. Die Bedrohung ist angeblich allgegenwärtig, aber die Quellen für die Warnhinweise sind oft trüb oder belanglos.

Auch in Deutschland wurden in den vergangenen Monaten immer wieder allgemeine Warnhinweise der Behörden publik. Angeblich geplante Angriffe auf ein Fährschiff oder auf Flugzeuge machten Schlagzeilen, hatten aber keinen realen Hintergrund.

In der kommenden Woche wird der Karlsruher Generalbundesanwalt, der ein knappes Dutzend Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Unterstützer der Hamburger Zelle betreibt, die erste Anklage im Zusammenhang mit dem 11. September auf den Weg bringen.

Der 28 Jahre alte Hamburger Elektronikstudent Mounir al-Motassadeq, der im vergangenen November in Untersuchungshaft kam, soll die Gruppe der Todespiloten unterstützt haben. Vor sechs Jahren unterschrieb er als Zeuge Attas Testament. Interessant ist, dass er seit 1998 eine notarielle Vollmacht für den Todespiloten Shehhi hatte und eine Art Statthalter der Piloten war, als die sich in den USA auf den Anschlag vorbereiteten. So kümmerte er sich um deren Geld- oder Mietangelegenheiten.

Der gebürtige Marokkaner, der sich von Mai bis August 2000 in Pakistan oder Afghanistan aufhielt, soll nach Meinung der Ankläger von der Existenz der terroristischen Vereinigung gewusst haben, ohne allerdings die Einzelheiten des Anschlags vom 11.September gekannt zu haben. Ein klassisches Muster für al Qaida: Das Ziel kennt nur der Attentäter und irgendjemand am Hindukusch.

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