Das System Putin:Hurra auf den Präsidenten

Russian President Vladimir Putin visits Severomorsk

Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Nordmeerflotte in Seweromorsk bei Murmansk.

(Foto: dpa)

Er gibt den harten Kerl. Bisher hat Präsident Wladimir Putin es verstanden, die Russen hinter sich zu scharen. Doch die Sanktionen treffen sein Regime. Im Kreml wächst der Druck.

Von Julian Hans, Moskau

Am Sonntag war endlich wieder ein Termin, den Wladimir Putin genießen konnte. Mit dunkler Pilotenbrille nahm der russische Präsident bei strahlendem Sonnenschein im Nordmeerhafen Seweromorsk die Parade zum Tag der Marine ab. Effektvoll feuerte ein neu in Dienst gestelltes Kriegsschiff einige Salven auf das Ufer, die Matrosen antworteten auf Putins Gruß mit einem dreifachen Hurra!

Solche Reaktionen bekommt er in jüngster Zeit selten. In den Telefonaten mit westlichen Regierungschefs ist der Ton schärfer geworden und die Stimmung eisig. Als selbst nach dem Tod von 298 Insassen der Boeing 777 der Malaysia Airlines kein entschiedenes Zeichen aus dem Kreml kam, sich von den Kämpfern loszusagen, die die Maschine allen seriösen Indizien zufolge über der Ostukraine abgeschossen haben, ist auch in Brüssel die Entschlossenheit zu harten Sanktionen gegen Russland da.

Entsprechend schien Putin bei seinen jüngsten Auftritten vor der Parade nervös und angespannt zu sein. Nach einer Reihe nächtlicher Telefonate forderte er vergangene Woche in einer offensichtlich eilig improvisierten Videobotschaft eine unabhängige Aufklärung des Vorfalls und musste dabei sichtlich um Worte ringen. Die Botschaft erschien um 1.40 Uhr Moskauer Zeit auf der Website des Kremls und richtete sich offenbar eher an die westliche Öffentlichkeit und die Amerikaner, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Bett waren, als an die Russen und die prorussischen Kämpfer in der Ukraine. Zwei Tage später wirkte Putin bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates ziemlich hölzern.

Tödlich sind die Sanktionen nicht

Einige Beobachter nahmen diese Szenen als weiteres Indiz dafür, dass Putin nun offenbar auch in seinem eigenen Haus in Bedrängnis gerät. Schon in der Woche davor hatte die Agentur Bloomberg berichtet, angesichts neuer Sanktionsdrohungen und der zunehmenden Isolierung rumore es unter russischen Unternehmern. "Die Wirtschaftselite ist verschreckt", zitierte Bloomberg Igor Bunin, den Leiter eines Moskauer Zentrums für Polittechnologie. Die 19 reichsten Russen haben laut Bloombergs "Milliardärs-Index" durch die Krise bereits 14,5 Milliarden Dollar verloren. Der Economist rechnete vor, die Marktkapitalisierung russischer Großunternehmen könnte doppelt so hoch liegen, das Land liege in der Beliebtheit der Anleger noch hinter Iran und Simbabwe.

Doch muss das Putin kümmern? Für ihn steht eine andere Währung so hoch wie lange nicht mehr. 86 Prozent der Russen unterstützen laut der jüngsten Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts den Kurs des Präsidenten - ein Ergebnis, bei dem sich ein Politiker zwei Mal überlegt, ob er eine Kehrtwende macht. Dafür, dass sich das ändern könnte, wenn die EU in diesen Tagen erstmals auch Handelsverbote gegen Rüstungsgüter, und Einschränkungen für die Kapitalmärkte und den Handel mit Technologien zur Öl- und Gasförderung verkündet, gibt es keine Anzeichen.

Im vertraulichen Gespräch indes räumen hochrangige Mitarbeiter der Präsidialverwaltung ein, dass die Furcht vor Sanktionen groß ist. "Wer behauptet, Sanktionen machten uns nichts aus, ist ein Vollidiot", sagt einer, der täglich mit Putin in Kontakt ist. Diese würden "sehr schmerzhaft" für Russland sein und das Land wohl in eine dauerhafte Rezession stürzen. "Aber sie wären nicht tödlich." Russland müsse sich eben auf andere Märkte umorientieren.

Radikale Kräfte versuchen, Putin zu einem Einmarsch in die Ukraine zu drängen

Auch Putin selbst gibt sich unbeeindruckt von den drohenden Strafmaßnahmen. Er sei ohnehin dafür, ließ er am Montag wissen, Rüstungsimporte aus der Europäischen Union einzuschränken. Die russische Rüstungsindustrie sei "vollkommen" in der Lage, alles selbst zu produzieren. Russland müsse sich eben "gegen die Risiken von Vertragsbruch durch unsere europäischen Partner absichern".

Michail Fradkow, Ministerpräsident während Putins erster Amtszeit im Kreml, ist da insgesamt skeptischer: "Wenn Sanktionen den gesamten Finanzsektor treffen, bricht die Wirtschaft innerhalb von sechs Monaten zusammen", sagt er. Dass der Präsident unter großem Druck steht, bestätigt auch der Kreml-Insider. Radikale Kräfte versuchten, Putin zu einem Einmarsch in die Ukraine zu drängen. Rückenwind bekämen sie von der patriotisch aufgewiegelten Öffentlichkeit. Tatsächlich trägt das staatlich gelenkte Fernsehen dazu bei, dass diese Stimmung nicht abflaut. Mit Berichten über echte und erfundene Opfer von Kiews Anti-Terror-Offensive, über angebliche Wortbrüche europäischer Politiker und über die USA, die versuchten Europa und Russland zu entzweien.

Eine mächtige Opposition im Kreml sehen Moskauer Beobachter derzeit nicht. Putin habe sich bei Antritt seiner dritten Amtszeit im Mai 2012 mit Personen umgeben, die seinen Kurs mittragen, sagt die Elitenforscherin Olga Kryschtanowskaja, die bis vor zwei Jahren selbst Mitglied in Putins Partei Einiges Russland war. Sie habe keinen Grund anzunehmen, dass es im Führungszirkel zu einem Riss gekommen ist. "Es ist in unserer Gesellschaft nicht üblich, dass in der Machtelite diskutiert wird", das liege an der autoritären Tradition des Landes: "Entweder man macht mit, oder man geht." Natürlich gebe es in der Gesellschaft und auch im Kreml Unruhe. Einfache Bürger ebenso wie Oligarchen fürchteten um ihren Wohlstand. "Aber es gibt Momente, in denen die Menschen verstehen, dass es ein höheres Ziel gibt: die Wiedergeburt einer Großmacht." Auch die Personen aus Putins engstem Zirkel, die auf der Sanktionsliste der USA stehen, seien deshalb bereit, Nachteile zu ertragen.

Liberale finden im Kreml kaum noch Gehör

Vertreter des liberalen Flügels finden im Kreml dagegen kaum noch Gehör. Erst in der vergangenen Woche hatte der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Itar Tass gewarnt, es könnte die Russen im Schnitt bis zu einem Fünftel ihres Einkommen kosten, wenn das Land weiter auf Konfrontationskurs gehe und der Westen zusätzliche Sanktionen beschließe. Zwar fanden seine Worte ihren Weg in die Zeitungen und die Nachrichtenportale des Internets.

Das staatlich kontrollierte Fernsehen aber, über das mehr als 90 Prozent der Bürger sich ein Bild von der Welt machen, trug die Warnung des letzten liberalen Putin-Freundes nicht ins Land. Erst wenn solche Bedenken auch im Fernsehen auftauchten, wäre das ein Zeichen für einen möglichen Richtungswechsel, glaubt Kryschtanowskaja. Eine rechte, reaktionäre Opposition habe es zudem immer gegeben, auch wenn sie im Ausland weniger wahrgenommen werde als die liberale, westlich gesinnte Opposition. Die Konservativen machten Druck auf Putin, seitdem er vor 15 Jahren an die Macht gekommen ist. Nur gebe es heute aber kaum noch Liberale, die ein Gegengewicht bildeten.

Von einem Bruch in Putins Machtzirkel könne keine Rede sein, sagt denn auch der kremlnahe Politikberater Jewgenij Mintschenko. Es habe immer unterschiedliche Lager gegeben, zwischen denen Putin als Moderator auftritt. "Dass jetzt eine Opposition gegen den Präsidenten entsteht, glaube ich nicht. Das ist eine naive Hoffnung des Westens."

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