Das schwierige Verhältnis zwischen Polen und Deutschen:Der fremde Nachbar

Im deutsch-polnischen Verhältnis werden noch immer Unterschiede betont und Vorurteile gepflegt. Die beiden Nachbarn mitten in Europa sind sich nicht spinnefeind, aber es verbindet sie auch keine innige Freundschaft. So etwas wie Normalität kann es angesichts der Vergangenheit wohl auch nicht geben.

Hans-Jörg Heims

Es ist schon in Vergessenheit geraten. Aber als am 9.November 1989 die Berliner Mauer fiel, da hielt sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nicht etwa in seinem Bonner Amtssitz auf.

Er reiste in jenen die Deutschen so aufwühlenden Tagen mit großem Gefolge durch Polen. Nur für einen Blitzbesuch im wiedervereinigten Berlin unterbrach Kohl die Visite im Nachbarland.

Eigentlich hätte sich ein deutscher Kanzler in jener historischen Stunde an keinem besseren Ort aufhalten können. Schließlich waren es die Polen, die Anfang der achtziger Jahre mit dem Streik auf der Danziger Lenin-Werft und der Geburt der von Lech Walesa angeführten Gewerkschaft Solidarnosc symbolisch den ersten Stein aus der Mauer geschlagen hatten.

Doch Dankbarkeit war, außer in Sonntagsreden, noch nie ein bestimmendes Merkmal in den Beziehungen zwischen beiden Staaten. Statt dessen werden bis in die Gegenwart Unterschiede betont und Vorurteile gepflegt. Die beiden Nachbarn Mitten in Europa sind sich nicht spinnefeind, aber es verbindet sie auch keine innige Freundschaft. So etwas wie Normalität kann es angesichts der Vergangenheit wohl auch nicht geben.

Anders als den Franzosen begegnet man den Polen distanzierter. Sie sind hier zu Lande als billige Arbeitskräfte, vorrangig zum Putzen, willkommen, und auch lässt sich mit Polen-Witzen schnell ein Lacher erzielen. Selbst in der DDR, wo stets die tiefe Freundschaft zum östlichen Nachbarn betont wurde, gab es starke Resentiments gegen alles Polnische, einzige Ausnahme blieb der im Nachbarland in Lizenz hergestellte Polski Fiat.

Als Anfang der achtziger in Polen Volk und Staatsführung aneinander gerieten, konnten sich die streikenden Arbeiter nicht auf die Unterstützung der Kollegen in der DDR hoffen. Dort empfanden viele Bürger sogar ein gewisses Verständnis, als die Nationale Volksarmee im Winter 1981 an die vereiste Oder vorrückte und auf den Befehl aus Moskau wartete, um den, wie es in der Propagandasprache hieß, "vom Klassenfeind gesteuerten Umsturzversuch" im Nachbarland niederzuschlagen.

Die Abriegelung der Grenze verhinderte nämlich, dass die Polen weiterhin das ohnehin nicht große Sortiment in DDR-Läden plünderten. So wurde selbst Zucker wegen polnischer Hamsterkäufe zeitweise knapp.

Obwohl der unmittelbare Nachbar scheint Polen für die meisten Deutschen immer noch ein fremdes, fernes Land zu sein. Und das ungeachtet vieler gegenseitiger Anstrengungen im wirtschaftlichen, kulturellen und touristischen Bereich. Es existieren Städtepartnerschaften und eine gemeinsame Universität, die Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Und langsam spricht sich in Deutschland auch herum, wie schön es an der polnischen Ostseeküste, der Masurischen Seenplatte oder in den Karpaten ist. Aber es ist ein mühsamer Annährungsprozess, bei dem immer wieder alte Konflikte aufbrechen.

"Wenn es einen grundlegenden Streitpunkt zwischen Polen und Deutschen gibt, dann ist es die Vergangenheit", schrieb der Historiker Jan Piskorski in der Neuen Züricher Zeitung. Derzeit werfen einflussreiche Intellektuelle, wie etwa der Präsidentenberater Marek Cichocki, den Deutschen vor, die Geschichte umschreiben zu wollen, aus einem Volk der Täter, ein Volk der Opfer zu machen. Festgemacht wird dieser historische Revisionismus unter anderem an Fernsehfilmen wie dem ARD-Zweiteiler Die Flucht.

Dabei sollte mit dem am 17.Juni 1991 geschlossenen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit ein neues Kapitel in den Beziehungen aufschlagen. Er sollte die endgültige Anerkennung der Nachkriegsordnung festschreiben. Lange Zeit hatte man sich im Westen aus Rücksicht auf die Vertriebenenverbände schwer damit getan, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen.

Die DDR hatte diese Frage auf Druck von Moskau im Görlitzer Abkommen 1950 schnell beantwortet. Die Teilung Europas verhinderte die Annährung zwischen der Bundesrepublik und Polen. Erst im März 1963 wurde ein deutsch-polnisches Handelsabkommen unterzeichnet und in Warschau eine deutsche Handelsvertretung eröffnet.

Gleichwohl gab es unterhalb offizieller Regierungsebenen zahlreiche Bemühungen um Aussöhnung. Aufsehen erregte dabei im November 1965 der Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen. Die darin gemachte Feststellung, "wir vergeben und bitten um Vergebung", wurde zu einer Überschrift für die weiteren Schritte aufeinander zu.

Es sollten dann allerdings noch einmal fünf Jahre vergehen bis der deutsch-polnische Grundlagenvertrag wurde, den die SPD-FDP-Koalition gegen heftige Widerstände aus der Union durchsetzen musste. Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal der Aufständischen des Warschauer Ghettos war dann die eindrucksvollste Versöhnungsgeste.

Es hat an solchen Symbolen auch in der Folgezeit nicht gefehlt. So nahm der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1994 auf Einladung von Lech Walesa an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Beginns des Warschauer Aufstands teil. Ein Jahr später sprach Polens Außenminister Wladyslaw Bartoszewski als einziger ausländischer Staatsgast während der Gedenkstunde des Bundestages zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges.

Der Argwohn gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Westen ist auf polnischer Seite freilich geblieben. Derzeit wird er geschürt durch den geplanten Bau der Ostsee-Pipeline und besonders durch die Äußerungen der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die polnische Regierungsparteien mit der deutschen rechtsextremen NPD gleich setzt.

Andererseits haben zuletzt vermehrt nationalistische und antieuropäische Töne seitens polnischer Regierungsvertreter das Klima belastet. Vielleicht ist in dieser angespannten Situation die Idylle der Halbinsel Hela der richtige Ort, um die Konflikte zu lösen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Polens Präsident Lech Kaczynski, die sich am Samstag dort treffen wollen, werden sicherlich nicht nur die wunderbare Naturlandschaft genießen und am Strand spazieren gehen.

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