Das Politische Buch:Die Groupies des Helmut Schmidt

Helmut Schmidt Birthday Dinner

Weiß, was gut ist: Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einem Glas Champagner im Schloss Bellvue.

(Foto: Getty Images)

Unverzollte Container voller Mentholzigaretten, ein Jesus-Tattoo für den Papst und Urlaub mit Berlusconi: Ein neues Buch befasst sich mit den Weisheiten des Altbundeskanzlers - bösartig, komisch und klischeebeladen.

Von Johann Osel

Als Altbundeskanzler Helmut Schmidt unlängst seinen 95. Geburtstag feierte, mangelte es in den Ehrerbietungen von Politik und Presse wahrlich nicht an Superlativen.

"Ein lebendes Denkmal mit quasi lebenslanger Richtlinienkompetenz", nannten ihn die einen, "eine der großen, wenn nicht maßgeblichen Persönlichkeiten der politischen Nachkriegsgeschichte", sagten die nächsten - kurz zuvor hatte eine Umfrage den Jubilar zudem zum bedeutendsten Kanzler gekürt.

Die Autoren Gideon Böss, Silvia Meixner und Alexander Wendt legen da eine Schippe drauf: "Geistesriese Nummer 1", der "größte Deutsche seit Karl dem Großen", der "Bundeskanzler der Herzen und der Lungen", schreiben sie - Millionen Bürger könnten "ohne die Erkenntnisse und Ratschläge des Weltweisen von der Waterkant nicht mehr einschlafen".

Mit der Ehrerbietung ist es dabei aber nicht weit her: "Auf ein Gläschen mit Helmut Schmidt" heißt das Büchlein, in dem all diese Beschreibungen vorkommen. Es sind Gespräche zwischen einem gewissen Lorenzo di Arrabiata und dem Altkanzler: eine Parodie auf die Interviewreihe "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt", die der Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Giovanni di Lorenzo, mit Schmidt führte. "Was Sie mich wieder alles sagen lassen!", soll der Befragte nach einem Gespräch gelegentlich gegrummelt haben, hat di Lorenzo mal erzählt.

Die Aussagen, zu denen sich der Altkanzler in der Parodie hinreißen lässt, hat er glücklicherweise nie gemacht. Das Buch ist rotzfrech geworden, was wohl daran liegt, dass die Autoren in Diensten konservativer Konkurrenzmedien der Zeit standen oder stehen. Und dennoch ist der Band auf seine eigentümliche Art und Weise letztlich eines: urkomisch.

In den Katakomben des Schmidtschen Privatarchivs, in dem sich angeblich neben "unverzollten Containern mit Mentholzigaretten" sämtliche Gespräche der kommenden zehn Jahre befinden, habe man das Material ausfindig gemacht, heißt es im Vorwort.

Jede tatsächliche oder vermutete Eigenheit Schmidts wird von den Autoren mit Halogenscheinwerfern ausgeleuchtet, zum Beispiel der starke Tabakkonsum, die Sympathie des früheren Regierungschefs für China oder das Missverhältnis zum FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher. Und natürlich allerlei private und politische Erlebnisse aus fast 100 Jahren.

Schmidt, seine Groupies und Wehrmachtsenthüllungen

Der Leser erfährt etwa, dass einst die Kreml-Führung die Sendung "Sesamstraße" studierte, um verschlüsselte Informationen über die Politik des Westens zu ergattern. Womit die Russen übrigens nicht falsch gelegen hätten, so der Befragte, was er aber wegen immer noch bestehender Geheimhaltungspflichten nicht näher ausführen dürfe.

Schmidt, der sich nach eigenem Bekunden aufs Altwerden freut, erzählt von seinen Groupies: "SPD-Wählerinnen aus den Tagen des alten Bismarck". Es gibt Wehrmachtsenthüllungen, damals will er dem späteren Papst Joseph Ratzinger ein Jesus-Tattoo gestochen haben, für zwei Reichspfennige - bevor Schmidt dann höchstselbst den Krieg beendete.

Es geht um einen Urlaub mit Berlusconi in der umbrischen Einöde, um Streit mit der chinesischen Staatsführung wegen eines Käsekuchenrezepts und um chronischen Neid auf das Strickmuster der Helmut-Kohl-Jacke. Die weltökonomische Analyse ergibt, dass das Volk der Kalmyken bald die Deutschen überholen wird.

Im kulinarischen Metier werden Sauerbraten, Labskaus, vor allem aber "Nutella-Brot mit einem Hauch gerösteter Zwiebel drauf" gelobt. Wobei Schmidt auch zugeben muss: "Ich habe noch nie viel gegessen, der Tabak sättigt."

Beinahe, und das ist eine Sensation, wäre der Kanzler das fünfte Mitglied der Beatles geworden - hatte er doch einst in Hamburg ab und zu in Reeperbahnlokalen Klavier gespielt, auch mit vier Musikern aus England. "Die fanden meine Lili-Marleen-Variationen absolut splendid."

Gescheitert sei die Karriere, da ihn der "klugscheißerische Kurzsichtige" in der Band plötzlich als Militarist beschimpft habe. Giftige und teils auch Anstandsgrenzen überschreitende Witze wechseln ab mit flotten Zoten und Weisheiten wie: "Zehn Flaschen im Weinkeller sind relativ wenig, zehn Flaschen im Kabinett dagegen relativ viel." Mitunter versenken Schmidts Antworten den fingierten Fragesteller im blanken Entsetzen.

Die Klamauk-Collage mag an einigen Stellen überdreht und an Albernheit kaum zu überbieten sein. Das ist aber verzeihlich; denn in vielen anderen Passagen werden dann tatsächliche Fakten, Schnurren und Klischees so köstlich zelebriert, dass am Ende der Eindruck eines bösartig-komischen Lesevergnügens bleibt: reine Kurzweil zwischen Buchdeckeln.

Lorenzo di Arrabiata: Auf ein Gläschen mit Helmut Schmidt. Hunderte Antworten auf brennende Fragen. Albrecht Knaus Verlag, 2013. 208 S., 10 Euro.

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