Das neue Lateinamerika:Wo sich Öko-Tourismus und Naturzerstörung treffen

Bananen aus Costa-Rica, Bergbau in Chile. Seit der Kolonialzeit hat Lateinamerika von der Ausfuhr dessen gelebt, was seinen Böden entrissen wird. Doch eine junge Elite versucht mit den veralteten Strukturen zu brechen.

Sebastian Schoepp

Bis zum Horizont erstreckt sich die Chiquita-Plantage von Sarapiquí in die sumpfige Tiefebene nahe der costaricanischen Karibikküste. Es ist der geeignete Ort, um zu erfahren, nach welchen Prinzipien in Lateinamerika jahrhundertelang gewirtschaftet wurde. In der Nacht ist ein schwerer Regen niedergegangen. Ein süßlich-würziger Geruch nach nasser Erde und vergorenen Bananen steigt auf, als sich die ersten Arbeiter auf dem Weg zur Frühschicht machen.

Yasuni-Nationalpark in Ecuador: Ölfelder im Untergrund

Der Yasuní-Nationalpark in Ecuador hat zum Leidwesen von Umweltschützern nicht nur eine reiche Artenvielfalt zu bieten, sondern auch Erdöl. Die Regierung von Rafael Correa bietet an, die Ölfelder nicht auszubeuten und so Klima, Natur und Ureinwohner zu schützen - wenn sich jemand findet, der das arme Land für die entgangenen Einnahmen entschädigt.

(Foto: Georg Alexander/dpa)

Sie sind nicht leicht zu finden in dem urwaldartigen Dickicht aus Bananenblättern. Dabei ist eine Plantage nichts weniger als eine tropische Freiluft-Lebensmittelfabrik. Die Arbeitsbedingungen erinnern an ein Bergwerk, es ist heiß und feucht wie tausend Meter unter Tage, nur eben grün und nicht schwarz.

Ein Arbeiter pflanzt einen umgefallenen Bananenstamm neu ein. Er gräbt ein Loch, wuchtet den Stamm in die Höhe und rammt ihn in den nassen Boden. Er stellt sich als Miguel vor, lieber keinen Nachnamen. Wie die meisten hier kommt er aus dem Nachbarland Nicaragua, wo es keine Jobs gibt. Nicaraguaner erledigen in Costa Rica die Arbeit, die Costaricaner nicht machen wollen.

Kleine, alteingesessene Eliten profitieren

Sie schuften bei der Müllabfuhr, fahren Taxi, pflegen die Alten - oder pflücken Bananen. Das schmutzige Hemd klebt Miguel am Leib, das Wasser quietscht in seinen Gummistiefeln. Stechmücken, die Dengue-Fieber übertragen können, schwirren umher.

Die Bananenpflücker von Sarapiquí, die bolivianischen Bergarbeiter in den Salpetergruben Chiles, die schwarzen Erntearbeiter in den Zuckerrohrplantagen der Küsten Perus - sie sind es, die ein Wirtschaftsmodell am Laufen halten, das Extraktivismus genannt wird. Seit der Kolonialzeit hat Lateinamerika von der Ausfuhr dessen gelebt, was seinen Böden entrissen wird. Reich gemacht hat der Extraktivismus kleine, alteingesessene Eliten - und die Länder, die von den billigen Rohstofflieferungen profitieren, also die Industriestaaten Europas und Nordamerikas.

Der Überfluss an Ressourcen sei für Lateinamerika stets ein Fluch gewesen, sagt der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler und Verfassungsrechtler Alberto Acosta. Sich von der Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu befreien, sei auch den linksgerichteten Regierungen des zurückliegenden Jahrzehnts noch nicht wirklich gelungen. Es drohe die Gefahr, dass der Halbkontinent die gerade abgeschüttelte Hegemonie der USA gegen die der rohstoffhungrigen Chinesen eintausche.

Die schlimmste Ausprägung des Extraktivismus ist der Drogenhandel, der in Mexiko und Mittelamerika das Funktionieren ganzer Staaten bedroht. Die Narco-Mafia stellt Lateinamerikas Aufstieg mit ihren Gewaltexzessen täglich erneut in Frage. Eine echte Chance auf Frieden gibt es erst, wenn es den Ländern gelingt, sich weiter rasch und nachhaltig wirtschaftlich zu entwickeln - wenn also junge Menschen sich nicht mehr Dealern und Verbrechern anschließen müssen, um der Armut zu entkommen.

Der Keim zur Schaffung einer Produktivgesellschaft ist jedoch in den letzten Jahren gelegt worden.

Es gibt eine junge, dynamische, unideologische und international erfahrene Elite, die mit den alten starren Strukturen zu brechen versucht. Brasilien baut Flugzeuge, Argentinien exportiert Atomtechnologie, Uruguay Software, Mexiko will sich als Standort für Luftfahrt- und Autotechnik profilieren. Chile sucht gezielt nach Partnern in europäischen Forschungsinstituten, um seine Wissensgesellschaft voranzubringen - muss aber erst noch sein aus der Pinochet-Diktatur ererbtes Bildungssystem reformieren, das reiche Eliten begünstigt.

Neue Entwicklungsmodelle

Ein weltweit beachteter Vorschlag zum Umbau der extraktivistischen Wirtschaft kommt aus Ecuador. Die Regierung von Rafael Correa bietet der Welt an, Ölfelder unter einem Nationalpark nicht auszubeuten und so Klima, Natur und Ureinwohner zu schützen - wenn sich jemand findet, der das arme Land für die entgangenen Einnahmen entschädigt. Die Vereinten Nationen haben zu diesem Zweck einen Fonds aufgelegt.

Das gesparte Geld soll in Bildung und Infrastruktur investiert werden. Umweltschützer jubeln, doch bei der internationalen Politik ist die Resonanz auf das Pilotprojekt gering - sehr zur Enttäuschung der Ecuadorianer, die jedoch nicht müde werden, ihr Pilotprojekt zu propagieren. Auch das touristische Potenzial eines unangetasteten Regenwaldes wäre ja gewaltig - vor allem in einer Zeit, in der noch immer riesige Flächen einem übereilt vorangetriebenem Entwicklungsideal geopfert werden, etwa in Brasilien oder Peru.

Ein Land, das das ökologische Potenzial zu nutzen versteht, ist das kleine Costa Rica, das sich durch Tourismus aus der Abhängigkeit vom Bananenexport zu befreien versucht. Dabei macht es sich einen vermeintlichen Nachteil zu nutze. Während der Kolonialzeit und danach lag das bergige Costa Rica mit seinen Vulkanen im Schatten der Aufmerksamkeit.

Überkommene und neue Entwicklungsmodelle konkurieren

Schon die spanischen Konquistadoren fanden hier wenig, was sie interessierte. Es gab - anders als in Peru oder Mexiko - keine großen Zivilisationen mit prächtigen Kunstschätzen, die man ausplündern konnte. Das Land hat viele Wälder und Naturschönheiten, die weitgehend unberührt geblieben sind. Wo es Eingriffe gab, wurde eifrig aufgeforstet.

Seit den 1980er Jahren propagiert das mittelamerikanische Land den naturnahen Fremdenverkehr als eine Art Lebensstil. Man kann in Öko-Lodges, auf Dschungel-Trails und Vulkantouren Lateinamerika light erleben. Auch rund um die Plantage von Sarapiquí gibt es Ferien-Lodges, die sich in den Urwald ducken, allerdings hat man sie in gebührendem Abstand zu den Plantagen errichtet, damit der Nebel der Sprühflugzeuge nicht in den Cocktails der Feriengäste landet.

So ist Lateinamerika weiterhin ein Kontinent paralleler Realitäten. Überkommene und neue Entwicklungsmodelle leben nebeneinander her, dieser Zwiespalt wird Regierungen und Wirtschaftsvertreter noch lange beschäftigen.

Doch es mehren sich die Stimmen, die einen nachhaltigen Wandel für wahrscheinlich halten. Lateinamerika habe beste Chance, ein reicherer, gerechterer Kontinent zu werden, stellt das der Schwärmerei unverdächtige britische Wirtschaftsblatt Economist 2010 an der Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt fest und prognostiziert: Diese könnte die Dekade Lateinamerikas werden.

Sebastian Schoepp beschäftigt sich als außenpolitischer Redakteur der SZ und Buchautor mit Lateinamerika. Innerhalb der Serie "Das neue Lateinamerika" sind drei Texte von ihm auf Süddeutsche.de erscheinen. Im ersten Teil hat Schoepp beschrieben, wie der einstige Verliererkontinent die historische Wende geschafft hat. Im zweiten Teil ging es um die Abrechnung vieler Länder mit Washington, der Weltbank und den Folgen der Diktaturen.

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