Dänemark:Gefühl der Bedrohung

Vor einem Jahr feuert ein Mann mit palästinensischen Wurzeln vor der Synagoge von Kopenhagen um sich. Die jüdische Gemeinde dort steht nun zwar unter besonderem Schutz der Behörden - doch die Angst vor antisemitischen Angriffen ist geblieben.

Von Silke Bigalke, Malmö

Blumensträuße und Polizisten, das war wochenlang das Bild in der engen Straße vor Kopenhagens Synagoge. Die Blumen sind weg, die Sicherheitsmaßnahmen immer noch verschärft. Details möchte Jonathan Fischer, Vizepräsident der jüdischen Gemeinde, nicht verraten. 24-Stunden-Überwachung? Die Polizei arbeite "dynamisch", mehr wird er nicht sagen. "Die Behörden sehen unsere Sicherheit nun in einem anderen Licht." Anders als vor dem Anschlag vor einem Jahr, bei dem ein junger Mann mit palästinischen Wurzeln den Juden Dan Uzan erschoss.

Uzan stand damals als Wache vor der Synagoge, drinnen feierten Kinder Bat-Mizwa. Auch zwei Polizisten waren zu ihrer Sicherheit abgestellt, denn der Terrorist hatte einige Stunden zuvor auf ein Kulturcafé geschossen, in dem über Meinungsfreiheit diskutiert wurde. Dort tötete er den Filmemacher Finn Nørgaard und lief danach frei in der Stadt herum. Die Juden in Kopenhagen hatten schon im Januar um mehr Schutz gebeten, nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris. Sie bekam ihn im Februar, nach dem Tod von Dan Uzan. Heute sei der Dialog mit den Behörden sehr gut, wenn es um die Sicherheit jüdischer Institutionen gehe, sagt Jonathan Fischer.

In der schwedischen Nachbarstadt Malmö würde man gerne dasselbe sagen. Nach dem Anschlag in Kopenhagen hat die Polizei auch dort die Synagoge und das jüdische Gemeindezentrum rund um die Uhr bewacht, doch nur für eine Weile. Freddy Gellberg, Vize-Chef der Malmöer Gemeinde, sitzt in einem fensterlosen Raum im Innern eines Flachbaus und wünscht sich denselben Schutz, wie ihn die Kopenhagener Gemeinde erhält. Bisher gibt es nur eine gut sichtbare Überwachungskamera vor dem Gebäude. Die Synagoge soll ebenfalls eine bekommen, der Antrag zieht sich hin. "Wir fühlen uns unwohl", sagt Freddy Gellberg. Malmö hat den Ruf, dass es Juden dort besonders schwer haben. Die Situation in der Stadt sei "berühmt in ganz Europa", so Gellberg. Zu verdanken hat sie das hauptsächlich einem früheren Bürgermeister. Als es in Malmö vor einigen Jahren zunehmend Proteste gegen Israel und antisemitische Übergriffe gab, warf dieser Bürgermeister Juden der Stadt vor, sich nicht gegen Israels Politik zu positionieren. "Er hat den Konflikt in Nahost mit unserer jüdischen Gemeinde verbunden, das hat uns in vielerlei Hinsicht geschadet." Der Bürgermeister ist heute längst ein anderer, die Zusammenarbeit der Gemeinde mit der Stadt gut. Antisemitismus gibt es in Malmö immer noch. Erst im Oktober geriet Freddy Gellberg in eine Demonstration gegen Israel, es gibt Videos davon im Internet, Rufe auf Arabisch nach Gewalt gegen Juden. "Es ist nicht die Mehrheit, sondern eine kleine Gruppe Leute, die sehr aggressiv ist", sagt er. Jeder dritte Einwohner Malmös kommt aus dem Ausland, viele Einwanderer haben muslimischen Hintergrund. Einer von ihnen ist Siavosh Derakhti. Der 24-Jährige setzt sich für mehr Toleranz von Muslimen gegenüber Juden ein, spricht an Schulen und fährt mit Jugendgruppen nach Auschwitz. Angefangen habe es damit, dass sein bester Kindheitsfreund Jude war, erzählt er. Als er in der Zeitung las, dass immer mehr Juden Malmö verlassen, wollte er etwas tun. Den ersten Ausflug in ein Konzentrationslager organisierte er noch als Schüler, die meisten seiner Klassenkameraden waren Muslime. Seither hat Derakhti den Raoul-Wallenberg-Preis gewonnen, er hat Barack Obama getroffen - und sich zu Hause unbeliebt gemacht. "Ich bin umgeben von Feinden", sagt er. "Genauso wie die Juden. Ein Jude in Malmö zu sein ist schrecklich."

Die letzten Zahlen zu antisemitischen Anschlägen in Schweden, Drohbriefen und Schmierereien an Synagogen stammen aus dem Jahr 2014, da waren es 267 Fälle, deutlich mehr als im Vorjahr. In Malmö trifft es vor allem den Rabbi, weil er sich als Jude zu erkennen gibt. Die meisten anderen wagen das nicht mehr. Freddy Gellberg ist in Schweden geboren. Er sei anders aufgewachsen als seine Töchter, beide Anfang 20, sagt er. "Sie würden niemandem sagen, dass ihre Mutter aus Israel kommt." Etwa 500 Juden leben noch in Malmö, vor 15 Jahren waren es dreimal so viele. Gellberg will nicht sagen, dass die vielen Flüchtlinge, die nach Schweden kommen, ihre Situation noch unsicherer machen. Es sei eher die politische Weltlage. "Puren Antisemitismus sehen wir nicht oft. Er ist verbunden mit der Situation im Nahen Osten, viel stärker als je zuvor." Ihm hat gefallen, als der Premierminister einräumte, dass das offene Schweden naiv war in seiner Sicherheitspolitik.

Jonathan Fischer in Kopenhagen sagt, dass die Juden wohl viele Jahre anders mit der Bedrohung umgegangen seien als der Rest der Dänen. Vor zehn Jahren sei ja sogar der Regierungschef ohne Bodyguard mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Es brauche Zeit "zu akzeptieren, dass wir womöglich nicht in der Lage sind, unsere Gesellschaft so zu definieren, wie wir wollen". Für die Juden in der Stadt habe sich nicht viel geändert. Das Leben gehe weiter wie gewohnt, sagt er, mit 40 bis 55 antisemitischen Angriffen, die die Gemeinde jedes Jahr anzeige, und dem ständigen Gefühl der Bedrohung. Für Dan Uzan und Finn Nørgaard soll es am Sonntag eine Lichterkette geben, vom Kulturcafé bis zur Synagoge. Fischer sagt, dass bei allen Parallelen zu den Anschlägen in Paris eine Sache doch anders gewesen sei: Nach Paris hat man vor allem über Charlie Hebdo gesprochen, weniger über den Angriff auf den jüdischen Supermarkt. In Kopenhagen aber lag der Fokus auf dem Anschlag auf die Synagoge. Ein Gedenkmarsch von einem Tatort zum anderen soll daran erinnern, dass es zwei Opfer gab.

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