CSU und Österreich:Wo Seehofers Flüchtlings-Obergrenze rechtlich scheitert

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze im November 2015. Später beschloss die Regierung in Wien eine Obergrenze von 37 500 Flüchtlingen pro Jahr.

(Foto: dpa)
  • Die CSU fordert eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr.
  • Eine Obergrenze verstößt nach Einschätzung des österreichischen Rechtsexperten Franz Leidenmühler klar gegen EU-Recht.
  • Die Regierung in Wien argumentiert, dass durch die Mehrkosten die innere Sicherheit des Landes gefährdet sei.

Von Deniz Aykanat

Da ist sie wieder, die alte Tante Obergrenze. Die CSU zieht die Forderung nach einer Deckelung der Flüchtlingszahl erneut aus dem Hut, obwohl es in der Regierungskoalition, an der sie beteiligt ist, Konsens in der Ablehnung dieser gibt.

CSU-Chef Horst Seehofer hat nun sogar gedroht, auf den traditionellen Auftritt beim Parteitag der Schwesterpartei CDU zu verzichten. "Ohne einen Konsens wäre mein Auftritt nur ein Medienspektakel", sagte er dem Spiegel. Und mit Konsens meint er in erster Linie das Thema Flüchtlinge.

Heute beginnt die Vorstandsklausur der CSU im oberpfälzischen Schwarzenfeld. In der Beschlussvorlage wird eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr gefordert. "Es gibt nichts zu verhandeln. Das ist unsere Auffassung. Wir halten alles, was in diesem Papier steht für umsetzenswert und notwendig", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU, Hans-Peter Friedrich, dem Sender Phoenix.

Umsetzenswert bedeutet aber nicht automatisch umsetzbar. Was die rechtliche Machbarkeit einer Obergrenze angeht, sind sich die Kritiker in Deutschland nämlich einig: Eine Obergrenze für Flüchtlinge sei grundgesetzwidrig, denn darin sei das Individualrecht auf Asyl festgeschrieben. Außerdem würde eine Obergrenze gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen, an die Deutschland aufgrund der EU-Mitgliedschaft automatisch gebunden ist.

Ein Blick nach Österreich zeigt, auf welch fragwürdigem Fundament die Forderung nach einer Obergrenze steht. Dort beschloss die rot-schwarz Regierung unter dem mittlerweile zurückgetretenen Kanzler Werner Faymann eine Obergrenze für Flüchtlinge von jährlich 37 500. Ist die Zahl erreicht, sollen Flüchtlinge an den Grenzen abgewiesen werden.

"Die innere Sicherheit ist nicht wegen 37 501 Flüchtlingen gefährdet"

Ein solches Vorgehen verstößt zunächst gegen EU-Recht, im Dublin-Abkommen sind einheitliche Regeln für alle EU-Mitglieder festgelegt. Doch es gibt Ausnahmen: "Wenn die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet sind, dann ist ein Alleingang erlaubt", erklärt Franz Leidenmühler, Experte für Europarecht an der Johannes-Kepler-Universität in Linz, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Geregelt ist dies in Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Die Asylnotverordnung, in der die Obergrenze genannt wird, ist noch nicht in Kraft getreten. Ein Entwurf steht aber. Darin werden alle vom Flüchtlingszuzug betroffenen Bereiche abgearbeitet, vom Bildungsbereich über die Gesundheitsversorgung bis zum Arbeitsmarkt und die damit einhergehenden Mehrkosten:

"Die im Zusammenhang mit dem starken Zustrom an Schutzsuchenden entstehenden enormen Mehrkosten betreffen insbesondere die Bereiche der Grundversorgung, Integration, Verwaltung (Personal- und Sachaufwand) und Mindestsicherung. Es ist aus derzeitiger Sicht anzunehmen, dass sich die Kosten im Asylbereich im Jahr 2016 voraussichtlich auf rund zwei Milliarden Euro belaufen werden", heißt es in dem Papier.

Diese Entwicklung führe dazu, dass der Staatshaushalt über Jahre hinweg massiv belastet sein werde und Österreich die Vorgaben der EU-Fiskaldisziplin nicht einhalten und damit eine gemeinsame Schuldenbewirtschaftung in Zukunft nicht mehr garantiert werden könne.

Die Belastung soll also dazu führen, dass der Staat nicht mehr leistungsfähig ist. "Die Regierung leitet aus den zwei Milliarden eine Gefährdung für die innere Sicherheit Österreichs ab", sagt Leidenmühler. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Artikel 72 allerdings anders aus: "Da geht es um den Kollaps des Staates, um bürgerkriegsähnliche Zustände. Die innere Sicherheit ist aber nicht gefährdet, weil der 37 501. Flüchtlinge ins Land kommt", sagt Leidenmühler. "Die Zahl hat keinerlei Substanz."

Die Obergrenze verstößt nach Einschätzung des Rechtsexperten klar gegen EU-Recht. Ein Gutachten, das die österreichische Regierung eigens in Auftrag gegeben hatte, kam zu demselben Ergebnis.

Die rechtliche Lage ist "völlig vergleichbar mit Deutschland"

Dass die Verordnung für eine Obergrenze in Kraft tritt, davon ist Leidenmühler aber überzeugt. "Da bin ich mir ganz sicher." Die Frage ist, wann? Da sind sich die Koalitionspartner nicht einig. Die SPÖ will eine rechtlich festgelegte Obergrenze erst, wenn der Fall tatsächlich eintritt und die Zahl von 37 500 Flüchtlingen erreicht ist. Das wird vermutlich im November sein. Bislang sind im laufenden Jahr etwa 20 000 Flüchtlinge nach Österreich eingereist. Die ÖVP hingegen fordert, dass die Obergrenze sofort in Kraft tritt.

So oder so, beide Parteien spielen auf Zeit. Denn selbst wenn die Obergrenze rechtswidrig ist, hat sie zunächst einmal Bestand. "Es kommt ja nicht gleich zu einem Verfahren vor dem EuGH. Erst wird sich die EU-Kommission einschalten", sagt Leidenmühler. Und selbst wenn der Fall des 37 501. Flüchtlings, dessen Asylantrag in Österreich nicht behandelt wird, vor dem EuGH landet, werden mehrere Jahre bis zu einem Urteil vergehen.

Die rechtliche Lage, so Leidenmühler, sei "völlig vergleichbar mit Deutschland". Nicht nur in Deutschland, sondern in allen EU-Staaten. So sieht es auch der deutsche Rechtsexperte Andreas Funke. "Weder der völkerrechtliche Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention, noch das europäische Flüchtlingsrecht (die Qualifikationsrichtlinie, die das Genfer Recht aufgreift und erweitert) noch das deutsche Grundrecht auf Asyl kennen eine zahlenmäßige Begrenzung", schreibt er im Verfassungsblog.

Eine Grundgesetzänderung, wie sie von der CSU oft angesprochen wird, reicht nicht aus, denn Deutschland untersteht auch immer noch dem EU-Recht. Und darüber gilt die Genfer Flüchtlingskonvention für alle EU-Staaten. Der deutsche Staat könne das europäische und das internationale Recht nicht einseitig ändern, schreibt Funke.

Einen Staatsnotstand und damit eine Rechtfertigung für eine Obergrenze sieht Leidenmühler am ehesten noch in Griechenland. "Dort brechen wegen des Ansturms von Flüchtlingen die staatlichen Strukturen zusammen. Aber sicher nicht in Deutschland oder Österreich oder Schweden."

Die meisten Mitgliedstaaten verweigern eine Verteilung

Die deutsche Bundesregierung unterstützte von Anfang an, eine grundlegende Reform des Dublin-Abkommens und somit eine Änderung des EU-Rechts. Einem Schlüssel entsprechend, der Einwohnerzahl und Bruttoinlandsprodukt der Staaten berücksichtigt, sollen die Flüchtlinge auf alle EU-Mitglieder verteilt werden. Nur, die meisten Mitgliedstaaten weigern sich beharrlich. Sie verweisen zurück auf Dublin, wodurch Randstaaten wie Italien und Griechenland wieder mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufnehmen müssten.

"Dublin ist aber für den Normalfall gemacht, nicht für den Extremfall", erklärt Leidenmühler. Also wenn in Berlin ein paar Flüchtlinge per Flugzeug ankämen und in Italien einige über das Mittelmeer. Ein paar hier, ein paar da. "Dublin hat aber keine Notfallklausel. Deshalb will die EU-Kommission den Verteilungsschlüssel."

Die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland, die die CSU so vehement begrenzen will, entspricht der Idee nach einem Verteilungsschlüssel. "De facto hat Deutschland den Kommissionsvorschlag freiwillig unter Umgehung von Dublin umgesetzt", sagt Leidenmühler. Auch das ist eigentlich ein Rechtsbruch.

Die CSU will es dem Nachbarn gleichtun und präsentiert die Obergrenze als Lösung für die Flüchtlingskrise. Würde sich die CSU damit durchsetzen, käme es zu einer Kettenreaktion, glaubt Leidenmühler. "Einer macht die Grenzen dicht, und dann der nächste. Da wird es wieder zu dramatischen Situationen kommen." Bilder wie die vom griechischen Idomeni oder der ungarisch-österreichischen Grenze drängen sich auf.

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