Crawford, Texas:Mit Macht lockt die Prärie

Fünf Kirchen, ein Sonnenstudio und ein Rancher namens George W.: Wie der Weiler im Westen ganz entspannt die Weltpolitik bestimmt. Von Wolfgang Koydl

Crawford, im Juli - Jerry Walters kennt sie alle - die Westerfields und die Engelbrechts, die Nelsons und die Holmes', und natürlich kennt er auch die Bushs: den George, die Laura, und die Zwillingsmädchen Jenna und Barbara.

Bushs Ranch in Crawford, AP

Bushs Ranch in Crawford. Wo der Präsident richtig holzen kann.

(Foto: Foto: AP)

Wer so lange Briefträger war, der kommt herum, der kommt den Leuten näher, der weiß, wo Nachwuchs ins Haus steht, wer gestorben und wer weggezogen ist und ob jemand neu ist in der Stadt. Jerry Walters war daher einer der ersten, die irgendwann im Frühsommer des Jahres 1999 erfuhren, dass Kenneth Engelbrecht seine Ranch verkaufen wollte, und dass der Käufer kein anderer war als der damalige Gouverneur von Texas, George W. Bush.

Für Jerry änderte sich in der Praxis freilich wenig: Er rumpelte in seinem Postauto weiter jeden Tag die staubige Prairie Chapel Road hinaus zu dem Anwesen und stellte die Briefe und Pakete zu, die mit der Postleitzahl 76638 an den Gouverneur und - ein Jahr später - an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika adressiert waren.

"Die passen gut nach Crawford"

"Nette Leute, die Bushs", fand Jerry bald heraus. "Gar nicht arrogant, nicht überheblich, die passen gut nach Crawford." Das ist ein großes Kompliment, denn in diesem kleinen Ort im Herzen von Texas, den Bush zum Lebensmittelpunkt gewählt hat, sollte man schon eine Generation lang gelebt haben, wenn man wirklich dazugehören will.

So wie Linda Stout, die Direktorin der Grundschule. Sie ist hier geboren, als Mädchen selbst auf diese Schule gegangen, und damals war ihr Vater der Direktor. "Ich würde nie wegziehen", gesteht sie. "Hier kümmern sich die Leute umeinander, wir sind eine richtige Gemeinschaft, small town America eben."

Lassies spätes Echo

Da ist schon etwas dran. Crawford gehört zu jenen Orten, wie es sie wohl nur in Amerikas Herzland gibt und die noch immer ein Gefühl der Geborgenheit ausstrahlen. Sorgen, Drohungen und Ängste sind - auch nach dem 11.September 2001 - so weit entfernt wie die beiden Küsten des Atlantik und des Pazifik.

Es ist ein Amerika, in dem noch schwach das Echo von Lassie und Klein-Timmy nachhallt, ein Amerika, wo sich das Leben vornehmlich um Familie, Schule und die Kirchengemeinde dreht. Man trifft sich zum Baseball, zum Barbecue und zum Schulball; man kennt sich, man schätzt einander, und gemeinsam pflegt man eine gesunde Skepsis gegen alles, was aus Washington kommt - es sei denn, es ist der Präsident persönlich.

Der freilich hat der Small Town Crawford enorme Dynamik verliehen. Weltweit ist Crawfords Name mittlerweile fast so bekannt wie der Washingtons, und der Ort übt eine merkwürdige Anziehungskraft aus, die sich zum Teil aus dem reizvollen Widerspruch erklären lässt, dass der mächtigste Mann der Welt in einen mickrigen Weiler gezogen ist und hier obendrein Prinzen, Premierminister und Präsidenten empfängt.

Keine Cowboy-Romantik in Oggersheim

Aber das alleine erklärt noch nicht alles, schließlich haben auch Helmut Kohl und Gerhard Schröder hohe Gäste nach Oggersheim und nach Hannover auf die heimische Sitzgarnitur gebeten.

Doch zum einen fehlt diesen beiden Männern die Aura, die amerikanische Präsidenten umgibt, und zum anderen gebricht es Oggersheim wie auch Hannover an Wildwest- und Cowboy-Romantik.

Gerade die ist es jedoch, die fremdländische Politiker sich nach einer Einladung auf die Ranch verzehren lässt.

Wenn Bush mit seinem ausufernden Stab in Crawford einfällt, oder wenn er gar Wladimir Putin, den saudischen Kronprinzen Abdullah oder Tony Blair samt Gefolge hier empfängt, dann vervielfacht sich die Einwohnerzahl des Ortes oft mit einem Schlag.

Denn mit weniger als 700 Bewohnern ist Crawford recht überschaubar, und ohne seinen prominenten Mitbürger wäre es weiter so unauffällig und unbekannt wie Zehntausende ähnlicher Orte zwischen Connecticut und Kalifornien.

"Halten Sie gut die Augen offen", hatte Jerry bei der Abfahrt im Nachbarort McGregor noch gemahnt. "Wenn Sie blinzeln, verpassen Sie es."

Tatsächlich liegen keine 700 Meter zwischen Ortseingang und Ortsausfahrt, und nicht mehr als zwei Dutzend Häuser säumen die Hauptstraße, die den stolzen Namen Lone Star Parkway trägt.

Parallel verläuft die Eisenbahn, der Crawford seine Existenz verdankt. Gegründet wurde der Weiler 1867, doch wem er seinen Namen verdankt, weiß niemand mehr genau.

Es könnte ein Texas Ranger namens Crawford gewesen sein oder ein Eisenbahndirektor. Sicher ist, dass deutsche Siedler lange den Ton angaben.

Heinrich Engelbrecht und seine Frau Wilhelmine Winkelmann gründeten 1904 die Schule und die Kapelle draußen in der Prärie. Nach der Prairie Chapel ist Bushs Anwesen benannt, das mehr als ein Jahrhundert lang im Besitz der Engelbrechts war.

Einst gab es in Crawford eine Baumwollspinnerei, doch meist lebten die Menschen von der Landwirtschaft auf riesigen Ranches, neben denen sich sogar Bushs sechseinhalb Quadratkilometer großes Anwesen, auf dem das Fürstentum Monaco dreimal Platz fände, bescheiden ausnimmt.

Heute sind die drei Schulen der größte Arbeitgeber: Seit Jahren schon gilt Crawford als bester Schulbezirk in ganz Texas. Dies wiederum lockt auch solche Familien in die Stadt, die nicht so bekannt sind wie die First Family.

Für Crawford als Wohnort spricht zudem, dass es nur jeweils anderthalb Autostunden von den texanischen Metropolen Dallas und Austin entfernt ist.

Gefürchtete Cheeseburger

Crawfords Schulen liegen abseits der Hauptstraße, ebenso wie das Feuerwehrhaus, die fünf Kirchen und der Wasserturm, auf dessen dickbauchiger Außenwand von weitem der Name des Football-Teams der High School zu lesen ist. Die "Pirates" haben fast schon ein Abonnement auf die texanische Meisterschaft, und letztes Jahr ließ es sich George W. Bush nicht nehmen, mit ihnen zusammen zu feiern.

Die wenigen Gebäude an der Main Street sind rasch aufgezählt: Das Schmuckstück ist die Coffee Station, deren Cheeseburger der Präsident weltweit zu Berühmtheit verhalf.

Den Mitgliedern des "White House Press Corps" freilich quellen sie zum Halse heraus, wenn sie während des Heimaturlaubs des Präsidenten quälend lange Sommer-Wochen in Crawford verbringen müssen, wo es so gut wie keine kulinarische Alternative gibt.

"Viel ist ja wirklich nicht los"

Der darbenden Journaille schuldet Crawford denn auch den Ruf eines heißen, staubigen und gottsterbenslangweiligen Kaffs. Die Einheimischen zeigen sogar ein wenig Mitgefühl für die Presseleute. "Viel ist ja wirklich nicht los", gibt die Andenkenhändlerin Norma Nelson zu.

Mit Macht lockt die Prärie

Sie erinnert daran, dass das Pressezentrum in der Turnhalle der Mittelschule bis vor kurzem nicht klimatisiert war - was bei Temperaturen von um die 40 Grad und 90-prozentiger Luftfeuchtigkeit ein Manko sein kann.

Crawford, AFP

Cowboy-Romantik: In Crawford wird hoher Besuch empfangen. Hier Ariel Scharon.

(Foto: Foto: AFP)

Wenigstens einen Trost hat sie für die Schreiber aus New York, Washington und Los Angeles, wobei allerdings nicht klar ist, wo der seelische Zuspruch aufhört und der Sarkasmus beginnt: "Nach einem Sommer in Crawford kennt man sich selbst viel besser. Man fängt an, über sich nachzudenken, anstatt das anderen zu überlassen."

Unter diesen Umständen ist die Coffee Station, in der man immerhin unter elf Burgern, sieben Salaten und 15 Sandwiches wählen kann, tatsächlich ein Lichtblick. Schräg gegenüber liegt die Bank, gefolgt vom verrosteten Gefängniskäfig aus Wildwestzeiten, dem Rathaus, dem Postamt, dem Versammlungssaal der Freimaurerloge, der Handelskammer und einem Beauty-Salon.

Sogar ein Bräunungsstudio gibt es mit dem für prüde texanische Verhältnisse anzüglichen Namen "Bronze your Buns". Das Etablissement ist freilich in Turbulenzen geraten; gut möglich, dass weder die Crawforder noch Touristen Interesse haben, sich ausgerechnet in Bushs Hinterhof die Backen bräunen zu lassen.

Sehr viel erfolgreicher sind die fünf Souvenir-Shops, die der eigentliche wirtschaftliche Motor des reanimierten Crawford sind. "Vor sechs Jahren waren alle Schaufenster an der Main Street vernagelt, und im Herbst hat der Wind dürres Gestrüpp durch die Straße geblasen", erinnert sich Larry Nelson, derweil er einen neuen Stapel T-Shirts einsortiert.

"Texas is bigger than France" steht auf dem einen Hemdenberg, "Western White House" auf dem anderen. Die Konkurrenz an der Ecke lockt zwar mit "der Welt größten Bush-Auswahl" an Memorabilien, doch Nelson nimmt es gelassen: "Es reicht für alle, und das wird wohl auch lange so bleiben."

Nelson ist Republikaner und treuer Anhänger seines Präsidenten. Er weiß, welche Verehrung Bush bei Millionen von Amerikanern genießt, und er rechnet fest damit, dass diese Ehrfurcht auch nach seinem Abschied vom Amt in drei Jahren anhalten wird.

Ganz kühne Optimisten in Crawford träumen ja schon davon, später einmal Bushs Präsidentenbibliothek herlocken zu können.

Bis zu seinem Abschied aus Washington dauert es zwar noch ein bisschen, aber schon jetzt fallen Touristenbusse aus dem ganzen Land in den versteckten Winkel zwischen Dallas und Austin ein.

Besonders groß ist der Ansturm im Sommer, wenn Bush im Fischweiher auf der Ranch Barsche fischt oder mit der Kettensäge Unterholz lichtet. Denn insgeheim hofft jeder Besucher, dem Präsidenten bei einem seiner Ausflüge in die Stadt einmal leibhaftig über den Weg zu laufen.

Als Rick ins Schwitzen kam

Die Einheimischen halten diese Hoffnung ihrerseits wach mit Geschichten über eigene Begegnungen mit Bush. Da ist etwa Rick Steinkamp, der in die alte Fina-Tankstelle schlenderte, die zu einer Art Imbiss umgebaut wurde.

An einem Tisch saß der Chef der Secret-Service-Truppe, die den Präsidenten schützt, und Steinkamp hockte sich dazu. Doch als er aufbrechen wollte, blickte ihm der Sicherheitsmann in die Augen und sagte: "Du gehst nirgendwo hin."

Rick brach der Schweiß aus: Hatte er etwas ausgefressen? Er würde seinen Job riskieren, wenn er sich nicht beeilte. Derweil er noch überlegte, was er tun sollte, fühlte er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und eine bekannte Stimme fragte: "Hi Rick, wie geht's?" Es war der Präsident.

Wenn die Leute Rick heute fragen, was er damals erwiderte, gibt er eine ehrliche Antwort: "Ääh, ääh, ääh".

Oder die Geschichte von Robert "Newt" Westerfield, dessen Farm an Bushs Ranch grenzt. Als er auf einer Anhöhe an der Grundstücksgrenze Stimmen hörte, rief er aus Jux hinauf: "Ist das George Double-U?"

"Klar doch", tönte es zurück. "Und wer sind Sie?" Als Westerfield sich vorstellte, forderte ihn Bush auf, über den Zaun zu klettern und heraufzukommen. Er wolle ihn kennen lernen und ihm außerdem jemanden vorstellen.

Auf dem Hügel erwarteten Westerfield dann gleich zwei Bush-Männer: George W. und dessen Vater George H.W.

Nicht immer freilich ist das Nachbarschaftsverhältnis ungetrübt. Ray Newman etwa verpachtet dem Weißen Haus einen Flecken fest gestampfter Erde, auf dem Marine One, der Hubschrauber des Präsidenten landet.

Bush hätte den Platz gerne asphaltieren lassen, damit er nach Regengüssen nicht knöcheltief durch den Matsch latschen muss. Doch Rancher Newman lehnte die hässliche Teerdecke ab, kurz darauf wurden dann George und Laura im Baumarkt der Nachbarstadt Waco gesichtet.

Sie kauften Pflastersteine, und jetzt können sie trockenen Fußes zum Helikopter hüpfen.

"Er wäre ein noch besserer Nachbar, wenn die Bürokraten und die Sicherheitsleute ihn nur ließen", seufzt Franklin Abel. Er ist ein großer Fan von Bush, und weil er ein wenig eitel und zudem selbst Politiker ist, glaubt er, dass auch Bush ein Fan von ihm ist.

Leider konnte der bekannte Mitbürger ihm nicht bei dem Versuch helfen, Bürgermeister von Crawford zu werden. Zum einen ist Bush, dessen Ranch außerhalb des eigentlichen Stadtbezirks liegt, nicht wahlberechtigt. Zum anderen trieb er sich am Wahltag sowieso im Ausland herum, irgendwo im fernen Europa.

Am Ende reichte es für Abel nicht zum Sieg, und zur Überraschung der rund 280 Wahlberechtigten wurde David Posten gewählt - kein Rancher, sondern ein Klimaanlagentechniker, der erst elf Jahre in Crawford lebt.

Gut möglich, dass er besser ankam, weil er sich nicht als Bürgermeister einer texanischen Nebenstelle von Washington sieht, sondern als Ortsvorsteher einer kleinen Gemeinde in Texas.

"Crawford hat es schon vor dem Präsidenten gegeben, und Crawford wird es auch nach dem Präsidenten geben", fasste er nach der Wahl sein Credo zusammen.

Er glaubt, dass Bush dem Ort nicht nur genützt, sondern auch Probleme beschert hat. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Demonstranten wir jeden Sommer hier haben", stöhnt er. "In Washington trauen sie sich nicht, gegen Bush zu protestieren, nur hier bei uns. Sie müssen wissen: Wenn wir die Halbtagskraft dazurechnen, besteht unsere Polizeitruppe aus drei Mann."

Mit diebischer Freude hat Robert Campbell den Ausgang der Bürgermeisterwahl quittiert. Der schwarze Methodistenprediger hatte das Amt acht Jahre lang bekleidet und war nicht mehr angetreten.

Aber er hatte sich für David Posten ausgesprochen. "Bevor Mister Bush hierher kam, war der Job leichter", findet Campbell. "Wir waren unbekannt, und jetzt sind wir berüchtigt."

Was das heißt, hat Campbell letztes Jahr am eigenen Leib erfahren, als das Wahlkampfteam des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers John Kerry ihn zum Kronzeugen gegen Bush erhob. Der Bürgermeister hatte nichts anderes gesagt, als dass er seine Stimme Bush nicht geben würde.

Campbell wurde schlagartig zur nationalen Berühmtheit, nur daheim galt er fortan als Nestbeschmutzer.

Jenseits der Gleise

Damit kann er freilich leben. Sein Crawford hat sowieso recht wenig mit dem anderen Crawford zu tun, in dem Bush gerne gute Nachbarschaft pflegt. Campbells Crawford liegt auf der anderen Seite vom Bahndamm, und dies ist - zumal im amerikanischen Süden - bis heute eine euphemistische Umschreibung für ärmliche Schwarzensiedlungen.

Die Westerfields, die Engelbrechts, die Nelsons und die Holmes' - sie verirren sich nur selten hierher. Nur Jerry Walters, der kam mit der Post vorbei.

Und Bush? War der hier? Reverend Campbell blickt lange zum Kreuz hinter seinem Altar hinüber, als ob er sich erst sammeln müsse. Ganz leise sagt er dann ein einziges Wort: "Nein."

Vielleicht überquert Bush ja doch einmal die Gleise. Zeit hätte er ja genug, denn es ist kein Geheimnis, dass er sich entschlossen hat, seinen Lebensabend in Crawford zu verbringen.

Linda Stout erinnert sich noch gut daran, wie er den ABC-Schützen einmal die Vorzüge der Demokratie erklärte: "Wenn den Leuten deine Entscheidungen gefallen, lassen sie dich im Amt. Und wenn sie ihnen nicht gefallen, dann schicken sie mich zurück nach Crawford. Ist eigentlich gar kein schlechtes Arrangement."

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