Pandemie:Deutschland fährt an Ostern runter

Bund und Länder einigen sich auf eine verlängerte "Ruhephase" von Gründonnerstag bis Ostermontag. Es sind Maßnahmen, die es bis dato noch nicht in Deutschland gab.

Von Nico Fried, Cerstin Gammelin und Angelika Slavik, Berlin

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie soll das öffentliche Leben in Deutschland an Ostern so weit wie möglich heruntergefahren werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder verständigten sich am Dienstagmorgen nach gut zwölfstündigen Beratungen auf eine "Ruhephase" vom 1. bis zum 5. April. Damit sollen auch der Gründonnerstag und der Karsamstag wie Feiertage behandelt werden. Lebensmittelgeschäfte und Tankstellen sollen aber am Samstag geöffnet bleiben, teilte Merkel mit. Nach Ostern setzen Merkel und die Ministerpräsidenten dann begleitet von verstärkten Testungen und dem Fortschritt der Impfkampagne wieder auf allmähliche Lockerungen.

Bund und Länder wollten die Ostertage "nutzen, um durch eine mehrtägige, sehr weitgehende Reduzierung aller Kontakte das exponentielle Wachstum der dritten Welle zu durchbrechen", heißt es in einem Beschlusspapier. Private Zusammenkünfte im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes und mit einem weiteren Haushalt bleiben möglich, sind jedoch auf maximal fünf Personen beschränkt. Kinder bis 14 Jahre werden dabei nicht mitgezählt. Paare gelten als ein Haushalt. Impf- und Testzentren sollen über die Ostertage geöffnet bleiben. Zuvor hatten Bund und Länder den bereits geltenden Lockdown noch einmal bis zum 18. April verlängert.

Merkel sprach mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen und die beschleunigte Ansteckung durch die Virus-Mutante B.1.1.7 von einer "sehr, sehr ernsten Lage". Sie räumte ein, dass sich die Situation seit der letzten Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März "schwerer als wir dachten" entwickelt habe. Es gebe aber "ganz eindeutig Licht am Ende des Tunnels".

Die Entscheidung für einen verschärften Lockdown an Ostern war gefallen, nachdem sich Merkel und die Ministerpräsidenten über mehrere Stunden nicht darauf einigen konnten, welche zusätzlichen Maßnahmen - neben der bereits am 3. März vereinbarten "Notbremse" für Gebiete mit sehr hoher Inzidenz - zur Eindämmung der Pandemie angebracht seien. Man müsse in zahlreichen Regionen "leider von der Notbremse Gebrauch machen", sagte Merkel. Aber diese Maßnahme alleine werde den Anstieg nicht stoppen, so die Kanzlerin. Deshalb soll für Regionen mit einer Inzidenzzahl von 100 oder mehr Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen ein Instrumentarium an Verschärfungen möglich sein.

Die Rede ist dabei von einer "Tragepflicht medizinischer Masken von Mitfahrern auch im privaten Pkw, soweit diese nicht dem Hausstand des Fahrers angehören". Auch kann es Ausgangsbeschränkungen oder verschärfte Kontaktbeschränkungen geben. Wo das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen schwierig ist, sollen Schnelltests zur Voraussetzung für einen Aufenthalt gemacht werden. Generelle Ausgangssperren, wie sie das Kanzleramt in Gebieten mit hoher Inzidenz für die Nachtstunden vorgeschlagen hatte, fanden dagegen keine Zustimmung.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, sprach von einem "echten Paradigmenwechsel", weil die Bedeutung von Test- und Impfstrategie zunehme. Es gehe jetzt nicht mehr nur um "auf, zu, auf zu". Mitte April könne man dreieinhalb Millionen Menschen pro Woche impfen. "Die Strategie greift und sie bringt Erfolge." Man wolle auch die Unternehmen mehr in die Verantwortung nehmen. Sie sollen zweimal pro Woche Tests für ihre Mitarbeiter anbieten.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach wie auch Müller nach den Verhandlungen von einer "schweren Geburt". Aber man lebe derzeit auch in der "wahrscheinlich gefährlichsten Phase der Pandemie", so Söder. "Unser Ziel bleibt es, uns der Pandemie nicht zu ergeben, sondern sie zu bekämpfen."

Intensive Debatten gab es in der Videokonferenz auch über verschiedene Reiseregelungen. Die umstrittene Möglichkeit von Flugreisen nach Mallorca bleibt bestehen, weil juristische Schritte schwierig sind. "Die Rechtslage ist verzwickt", sagte Merkel. Verkehrsminister Andreas Scheuer habe aber mit den betroffenen Fluggesellschaften Abkommen erzielt, dass sie ihre Passagiere vor dem Rückflug nach Deutschland testen. Die sei "eine gute Nachricht", so Merkel.

Die Regierungschefs der drei Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen scheiterten mit ihrem Plan, zumindest Bürgern ihrer Bundesländer einen "kontaktarmen" Urlaub über Ostern zu ermöglichen. Merkel und mehrere andere Länder stellten sich klar gegen diesen Vorschlag.

Indes macht sich die Corona-Politik auch im Haushalt immer mehr bemerkbar: Das Bundesfinanzministerium bestätigte am Montag, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) im laufenden Jahr weitere gut 60 Milliarden Euro braucht, um die - Stand heute - absehbaren Kosten decken zu können. Zusammen mit den bereits geplanten 180 Milliarden Euro an neuen Krediten wird Scholz in diesem Jahr gut 240 Milliarden Euro neue Schulden machen. Rechnet man die 130 Milliarden Euro aus dem Jahr 2020 hinzu, wird sich der Bund bis Ende des Jahres mit etwa 370 Milliarden Euro verschuldet haben. Zum Vergleich: Diese Summe entspricht einem Bundeshaushalt aus der Vor-Corona-Zeit.

Am Mittwoch wird Scholz den Nachtragshaushalt zusammen mit den Eckwerten für den Haushalt 2022 und der weiteren Planung bis 2025 ins Kabinett einbringen. Der Kanzlerkandidat der SPD will die pandemiebedingten Zusatzausgaben, vor allem Wirtschaftshilfen, über die kommenden Jahre auslaufen lassen. Danach müsste der (nächste) Finanzminister 2022 noch einmal 81 Milliarden Euro leihen, um alle Verpflichtungen zahlen zu können. Dafür soll erneut - wie 2020 und 2021 - die Ausnahmeregel von der Schuldenbremse gezogen werden. Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse begrenzt die Nettokreditaufnahme im Vergleich zum Bruttosozialprodukt. Ab 2023 soll die Regel normal gelten - falls es der nächsten Bundesregierung gelingt, die absehbaren Finanzlücken 2024 und 2025 zu schließen.

Der Bundeshaushalt 2022 und die Finanzplanung der Jahre bis 2025 werden erst nach der Bundestagswahl vom neu gewählten Bundestag verabschiedet werden. Die von Scholz vorgelegten Planungen sind lediglich Vorschläge; Mittel für geplante Reformen wie die der Pflege sind nicht eingeplant. Erstmals seit Ausbruch der Pandemie wird die Bonität Deutschlands an den Märkten geringfügig schlechter bewertet, die Ausgaben für Zinsen steigen in diesem Jahr um 4,5 Milliarden Euro. Bisher hatte der Bund für ausgegebene Staatsanleihen eine Gebühr kassieren können.

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