Contra TTIP:Vors Kanzleramt kacken bringt nichts

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TTIP-Protest in München (Foto: DJS)

"Vor einem halben Jahr hatte ich keine Ahnung, was TTIP ist": Laura und Jannai sind gegen das Freihandelsabkommen. Sie haben eine TTIP-freie Wohngemeinschaft und eine eigene Website eingerichtet - Protest im Kleinen.

Deutsche Journalistenschule, 52. Lehrredaktion

Samstagmorgen, München, Innenstadt. Hinter dem Rathaus liegen Metallstangen auf dem Boden für ein weißes Plastikzelt. Laura streicht sich die langen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht und beginnt, das Zelt aufzubauen. Die 27-Jährige ist Attac-Aktivistin. Sie ist gekommen, um die Menschen aufzuklären - über das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. "Vor einem halben Jahr hatte ich selbst keine Ahnung, was TTIP ist", sagt Laura. Eine Freundin erzählte ihr davon. "Da ist mir klar geworden, wie sehr dieses Wirtschaftsabkommen unsere demokratischen Grundrechte berührt."

Laura ist Religionswissenschaftlerin. Seit sie von TTIP gehört hat, möchte sie begreifen, was es mit dem komplexen Vertragswerk auf sich hat. Deswegen hat sie sich an der Universität für Volkswirtschaftslehre eingeschrieben. "Ich mache das, um besser zu verstehen, wie Wirtschaft funktioniert. Es hat wenig Sinn, etwas zu kritisieren, von dem man keine Ahnung hat." Während Laura spricht, stecken im Hintergrund grauhaarige Männer Stangen für das Zelt zusammen.

Als Jannai zum ersten Mal von TTIP hörte, dachte er sich: "Das kann doch echt nicht sein!" Die Texte der Europäischen Kommission waren ihm ein Rätsel. "Das war so verfilzt und verflochten. Als hätte es Kant geschrieben." Der 23-Jährige sitzt am Küchentisch in seiner Münchner Wohnung. Vor ihm ein Durcheinander von Zeitungsartikeln mit neongelben Markierungen. "Es gab zwei Möglichkeiten", sagt der Maschinenbaustudent. "Entweder du ignorierst das Problem oder du beschäftigst dich damit." Jannai gab nicht auf, er las Studien und erschloss sich das Rätsel TTIP. Mit einem Freund startete er im Dezember 2013 die Website know-ttip.eu. Seitdem verbringt er seine Freizeit mit Texten über das Freihandelsabkommen. Sein Protest passiert am Schreibtisch, mit Computer, Maus und ein paar guten Ideen.

"Wir bündeln die Informationen, schreiben Artikel und verlinken sie", sagt Jannai. Etwa tausend Mal wird die Seite know-ttip.eu im Monat angeklickt. Eine halbe Stunde reiche, um sich eine Meinung zum Freihandelsabkommen zu bilden. Die Seite beantwortet Fragen wie: "Betrifft mich TTIP?" oder "Was kann ich tun?" Zusammen mit Flo, einem Freund, nimmt sich Jannai täglich bis zu eine Stunde Zeit, die Informationen zu aktualisieren.

Jannai sagt, er mache das aus Überzeugung. Wie Laura möchte er begreifen und aufklären. Mit dem Unterschied, dass er keiner Partei angehören will, auch keiner Nichtregierungsorganisation wie Attac. "Ich möchte selbst denken", sagt Jannai. "Mein Engagement kommt von innen heraus." Was Jannai mit Laura verbindet, ist die Überzeugung, dass ihr Engagement gegen TTIP etwas verändern kann - sei es nun privat oder politisch.

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Laura ist eine der Jüngsten bei Attac. Wie kommt es, dass sich eine 27-Jährige einer Bewegung anschließt, deren Altersdurchschnitt deutlich höher liegt? "Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich in München auf Leute treffe, mit denen ich etwas bewegen kann", sagt Laura. Früher wollte sie immer fort. München und seine Bewohner waren ihr zu konservativ. Laura zog nach Ghana, Neuseeland, Südafrika. "Als ich dann ein Jahr in Kapstadt gelebt habe, habe ich gemerkt, dass ich zwar Missstände sehe, aber mit der Gesellschaft zu wenig vertraut bin, um etwas zu verändern."

Zurück am Marienplatz, gleich zehn Uhr. Das Attac-Zelt steht jetzt. Noch sind keine Menschen vorbeigekommen, und Laura muss gehen. Heute wird sie niemanden mehr über TTIP aufklären. Aber das Thema lässt sie nicht los, am nächsten Tag fährt sie nach Frankfurt. Dort treffen sich Attac-Mitglieder, um darüber zu diskutieren, wie man die Kommunen gegen TTIP mobilisieren kann.

Die Luft im schmucklosen Gewerkschaftsgebäude ist stickig und schwül. Ein Mann in grünem T-Shirt erzählt, dass sich in Nordrhein-Westfalen eine ganze Gemeinde gegen TTIP ausgesprochen hat. Seine Attac-Gruppe habe den Stadtrat überzeugt. "Jetzt wollen wir das Gleiche in Köln versuchen", sagt er. Noch eine andere Idee wird diskutiert: Im Juni twitterte die US-Botschaft in Berlin, dass sie Projekte, die sich mit TTIP beschäftigen, mit bis zu 20 000 US-Dollar prämiert. "Ich habe einen Vorschlag", sagt Laura in die Runde grauhaariger Aktivisten. "Sie legen sich alle einen Twitter-Account zu und bombardieren die US-Botschaft mit Vorschlägen."

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Auf der Zugfahrt zurück nach München erzählt Laura von einem Neue-Leute-Treffen, das sie für die Attac-Gruppe organisiert hat. Laura saß in einer Kneipe, draußen regnete es in Strömen. Sie hatte sich den Abend freigenommen. "Jeder, der sich für die Arbeit von Attac interessiert, konnte kommen", sagt sie. Laura wartete und nippte an ihrem Bier. Es kam niemand. Als sie nicht mehr damit rechnete, tauchten ein paar Leute auf, vier von ihnen in Lauras Alter. "Ich glaube, das war kein Zufall", sagt Laura. "Das sind junge Leute wie ich, die sich an der Schwelle zum Berufsleben befinden." Und in dieser Phase des Lebens, sagt Laura, beginne man damit, sich grundlegende Gedanken zu machen.

Ein paar Tage später sitzt Laura in ihrer Küche. An der Wand ein Banner: "Erste TTIP-freie WG Münchens". Ihre beiden Mitbewohner hat sie überzeugt. Als Nächstes will Laura die anderen Bewohner des Hauses für den Protest gegen das Freihandelsabkommen gewinnen. Ein symbolischer Akt, natürlich, aber vielleicht beginnen große Veränderungen im Kleinen.

Infostand, Internetaufklärung oder Twitter-Bombardement - Protest ist immer auch eine Frage der Form. "Wenn ich nach Berlin fahre und vors Kanzleramt kacke, bringt das niemandem was", sagt Jannai. Er schaut konzentriert auf seinen Laptop, klickt sich durch die Website, macht Notizen. "Was sagst du zum Layout?", fragt er Flo, der sich um die Gestaltung der Seite kümmert. "Grenzwertig", antwortet Flo. Die beiden lachen. Journalisten und PR-Berater der EU-Kommission verfolgen ihre Einträge.

"Es darf nicht sein, dass das Abkommen durch die Hintertür gedrückt wird", sagt Jannai noch. Wenn TTIP kommt, könnte die deutsche Gesellschaft amerikanisiert werden, befürchtet er. Unternehmen hätten dann ein stärkeres Mitspracherecht. Und die USA sind aus seiner Sicht kein Vorbild. "Weder militärisch noch ethisch noch wirtschaftlich", sagt Jannai. In seinem Freundeskreis empfinden viele eine Art Müdigkeit. "Die wenigsten werden selbständig aktiv", sagt er.

Jannai und Flo sprechen das Thema immer wieder an, verteilen Flyer. "Wenn wir abends zusammensitzen bei ein paar Bier, kommen wir mit Freunden schon in Diskussionen." Manchmal hat auch Jannai genug. "Wenn ich verliebt bin, kann es schon sein, dass ich das Thema mal nicht verfolge", sagt er. "Aber irgendwie finde ich doch immer zurück."

Linktipp:

Das gesamte Projekt zu TTIP findet sich in dieser Ausgabe des Klartext-Magazins der Deutschen Journalistenschule (DJS).

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