Condoleezza Rice:Maklerin mit Makeln

Die US-Außenministerin hat die Kontrahenten endlich an einen Tisch gebracht - getrieben aber ist sie eher von einer Mission als von einer Strategie.

Christian Wernicke

Es ist allein ihre Konferenz. Und es war ihre Entscheidung, all die Herren, die da am Dienstagmorgen einer nach dem anderen steif ihren Limousinen entsteigen, die eilig ihre Mantelkrägen hochschlagen oder ihre weißen Dischdascha-Gewänder umklammern gegen den eisigen Westwind, hierher zu verfrachten.

Condoleezza Rice; RTR

Condoleezza Rice: Die US-Außenministerin ist von einer Mission getrieben.

(Foto: Foto: RTR)

Ins Nirgendwo von Annapolis, jenem Provinzstädtchen in Maryland, wo Amerika seit anno 1845 seine Marineoffiziere kaserniert, um sie - wie es in den Annalen steht - in der Naval Academy zu schützen "vor den Versuchungen und Ablenkungen, die notwendigerweise mit großen und bevölkerten Städten verbunden sind".

So mancher der 38 Außenminister und Sondergesandten aus zumeist wärmeren Ländern mag Condoleezza Rice leise verflucht haben während der lästigen Anfahrt aus Washington DC. Wer weiß, vielleicht haben auch die zwei Präsidenten, der Amerikaner George W. Bush und der Palästinenser Machmud Abbas, den Kopf geschüttelt.

Oder gar Ehud Olmert, der Israeli und einzige Premier zu Annapolis. Nur, was sind schon 50 Kilometer? Zumal, wenn es gilt, endlich voranzukommen auf dem Pfad zum fernen Frieden im Nahen Osten.

Acht Mal jettete sie nach Jerusalem und Ramallah

Da hat die US-Außenministerin mehr Aufwand getrieben. 100.000 Meilen, so rechnen ihre Diplomaten vor, habe Madame Secretary allein in den vergangenen zwölf Monaten verflogen auf der Suche nach einem Kompromiss im Heiligen Land.

Acht Mal überwand sie ihre innere Reise-Unlust und jettete nach Jerusalem und Ramallah, nach Kairo oder Amman, um Wege zu finden, dass nur ja alle kommen an die Chesapeake Bay. Zu ihrem Gipfel, der nun nicht einmal so heißt: Schnöde "Annapolis Conference" nennt sich das kalte Konklave der Condi Rice.

Dafür hat sie gearbeitet, mit der ihr eigenen, stets eisernen Disziplin. Ja, nur deshalb ist sie überhaupt Ministerin. Noch am Morgen des 6. Novembers 2004, drei Tage nach der Wiederwahl von George W. Bush, hatte sie andere Pläne. Am Vorabend war sie mit dem Präsidenten im Hubschrauber nach Camp David gereist, um ihrem Dienstherren ihre Kündigung anzutragen.

Maklerin mit Makeln

Daheim, in ihrem Appartement im Watergate-Komplex in Washington, standen bereits ein paar halbgepackte Koffer. Stattdessen offerierte ihr Bush beim Frühstück nun das State Department. Rice zögerte, riet zu einem Neuanfang samt Personalwechsel auf allen sicherheitspolitischen Posten. "Hier bin ich es, der einstellt", erwiderte Bush trocken. Und warb weiter.

Während dreier Tage, insgesamt zehn Stunden lang, so erzählt der Journalist Glenn Kessler in seinem Buch "The Confidante" (Die Vertraute), hätten Rice und Bush den Job erörtert. Dann stellte sie eine Bedingung: Der Präsident müsse bereit sein, in seiner zweiten Amtszeit die Schaffung eines Palästinenserstaates zu unterstützen. Bush versprach's. Und Rice schlug ein.

Jetzt erntet sie. Lächelt milde, da sie am Montagabend die Gäste ihrer Konferenz zum Dinner im Festsaal von Washingtons Außenministerium begrüßt. Rice ist als Dame die Herrin am Tischende. Im engen, tiefschwarzen Hosenanzug präsidiert sie, betreibt Konversation mit Premier Olmert zur Rechten, charmiert Präsident Abbas zur Linken.

Ihr legendärer Versprecher

Stunden zuvor hat sie noch mit Unterhändlern der beiden Kontrahenten um letzte Details eines Schriftstücks gerungen, das am Dienstag verabschiedet wurde und einen vagen Plan für weitere Verhandlungen beschreibt. Doch das allein war harte Arbeit. Müde sah sie da aus, beinahe erschöpft. Doch dann hat sie den knallroten Lippenstift angesetzt, die schwarzen Haare kurz auffrisiert - und strahlt, da sie nun neben ihrem Präsidenten steht und der einen Toast ausbringt "auf die Zukunft in Frieden, die wir gemeinsam bauen können".

Hinten im Saal beugt sich derweil ihre enge Freundin Tzipi Livni, Israels Außenministerin, mal wieder über einen Laptop, den ein Diplomat in den Saal getragen hatte. Wieder Kopfschütteln, noch immer kein Kompromiss. Ein kleines Indiz, wie schwer jeder Fortschritt, jede Konzession beiden Seiten fällt.

Nichts nährt und stärkt Condoleezza Rice so sehr wie die Nähe zu ihrem Präsidenten. Der Freud'sche Versprecher, als sie Bush bei einem Dinner einst als "my husb..." ("meinen Ehem...") ansprach, ist Legende. Der Bush-Clan ist ihr längst zur Ersatzfamilie geworden, der Präsident empfiehlt sie fremden Staatsgästen gern als "meine Art Schwester".

Möglichst jeden Morgen telefoniert sie mit ihm, täglich schreibt sie abends ein persönliches Memo zur Weltlage. Als junge Studentin fühlte sich Rice angezogen von athletischen Typen, zumeist Football-Spielern. Jetzt ist es George W. Bush.

Diese Ergebenheit machte sie in den Augen vieler Beobachter zu einer eher schwachen Sicherheitsberaterin. Aber als Außenministerin mit eigenen Zielen münzt sie Bushs Vertrauen in Kapital um: John Bolton, einst ihr UN-Botschafter und mittlerweile ihr Gegner, hält Rice "für einen der mächtigsten Secretaries of State seit Henry Kissinger".

Maklerin mit Makeln

So sicher, so selbstbewusst fühlt sich die Ministerin, dass sie neuerdings sogar ausplaudert, wie ihr Dick Cheney mehrfach lästig in die Quere kam. Auch Annapolis wollte der zweite Mann im Staat angeblich verhindern. Bush aber hielt zu ihr - und warb am Telefon in Moskau wie Riad bei Präsident und König noch vorige Woche um hochrangige Emissäre.

Auch in Annapolis hält George W. Bush, was er einst in Camp David seiner Konfidentin versprach. Mit Verve wirbt der selbst ernannte Kriegspräsident für den Frieden: "Die Zeit ist reif, die Sache ist gerecht", ruft Bush in den Saal. Er liest ab, was Rice ihm eingeredet und aufgeschrieben hat - aber es wirkt, als würde er es selbst glauben.

Ein neuer, eigener Staat werde "den Palästinensern die Chance geben, in Freiheit, mit Sinn und in Würde zu leben. Und solch ein Staat wird den Israelis helfen, etwas zu erlangen, wonach sie seit Generationen streben - in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben."

Und Bush gelingt ein Coup. Er verliest, zur Überraschung sogar manchen Ministers im Saal, jene nunmehr "Arbeitsplan" titulierte Erklärung, in der sich Abbas und Olmert zu einem neuen Anlauf zum Frieden verabredet haben. Auch Bush sieht den Text zum ersten Mal, was jeder schon daran merkt, dass er sich verhaspelt, da er Abbas' Vornamen über die Lippen bringt: "Mohamed, - äh Machmud." 17 Minuten vor seinem Auftritt hatten sich die Unterhändler endlich geeinigt.

"Wir strecken die Hand aus"

Entscheidend ist der etwas klobige Satz, den der Amerikaner, eingerahmt vom Israeli und vom Palästinenser, in deren Namen der Welt verkündet: "Wir drücken unsere Entschlossenheit aus, das Blutvergießen, Leiden und Jahrzehnte des Konflikts zu Ende zu bringen." Anschließend ergreifen die drei Männer ihre Hände, mit Bush als Kind des Friedens in der Mitte. Das Bild des Tages.

Da kommt, für wenige Minuten, sogar Pathos auf in der Kaserne. Abbas wendet sich an "alle Bürger Israels", die per Fernsehen in Annapolis dabei sind: "Wir strecken die Hand zu Ihnen aus!" Und Olmert erklärt den Palästinensern, dass er ihren Wunsch nach einem Heimatland begreift: "Ihr Volk hat viele Jahre lang gelitten. Und viele leiden noch heute."

Die Gäste - Muslime, Juden wie Christen - scheinen gerührt zu sein und spenden den Dreien stehend Beifall.

Der Frieden im Nahen Osten, so hat Rice kürzlich erklärt, sei für sie eine Frage, bei der sie "dem Gewissen gehorcht". Freunde versichern, die inzwischen 53-jährige Tochter eines Presbyterianer-Priesters sei "zutiefst getrieben" und "hoch motiviert", den ehernen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aufzulösen.

Zu Jahresbeginn beschloss sie, die meisten Dossiers von ihrem Schreibtisch zu räumen und sich auf drei Probleme zu konzentrieren, "bei denen ich einen Unterschied machen kann". Ihre Wahl fiel auf Nordkorea, Iran und, über allem, auf Nahost. Den Rest der Welt solle ihr Stellvertreter John Negroponte erledigen - samt China und Russland, inklusive Afghanistan, Pakistan. Und auch Irak.

Maklerin mit Makeln

Der Krieg im Irak haftet ihr bis heute an. Sie weiß es - und will es doch kaum mehr wahrhaben. Mit der Entscheidung zur US-Invasion, so versicherte Rice neulich in einem vertraulichen Gespräch, habe sie "wenig bis nichts zu tun gehabt".

Dann stockte sie, zu krude klang dieser Versuch von Betrug und Selbstbetrug. Als Sicherheitsberaterin des Präsidenten war sie die Schaltstelle, und sie half intern mit, die Hebel auf Krieg umzulegen.

Doch Rice bestreitet, was viele Kritiker ihr jetzt vorhalten: Dass ihre Mühen um einen Frieden in Nahost getrieben seien von dem Streben, noch ein anderes Erbe zu hinterlassen als nur den Krieg um Bagdad und Basra. "Ich sorge mich nicht um mein Vermächtnis", wehrt sie ab.

Von vielen war auch bemäkelt worden, sie habe das Treffen in Annapolis miserabel vorbereitet. Aaron David Miller, langjähriger Nahost-Berater im Außenministerium, attestiert ihr allenfalls Willen, nicht Können: "Sie klopft einfach immer wieder an die Tür, ohne jede Strategie." Zudem argwöhnen viele, Bush und Rice fehle nach sieben Jahren Nichtstun die Glaubwürdigkeit als Friedensmakler: "Diese Regierung hat sich zu oft um Schauspielkunst statt um Staatskunst bemüht'', schimpft Dennis Ross, der als Nahost-Experte und US-Unterhändler Bush-Vater wie Bill Clinton diente.

Auch daran hatte Rice ihren Anteil. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war die Politikprofessorin, die ihr Handwerk einst von Meistern realpolitischer Außenpolitik wie den Präsidentenberatern Brent Scowcroft (Bush senior) und Zbigniew Brzezinski gelernt hatte, zur Missionarin konvertiert. Bushs Weltanschauung, der den Globus in Gut und Böse, in Moderate und Extremisten teilt, trug sie mit.

Entsetzen beim Frühsport

Also missbilligte sie als Sicherheitsberaterin den Vorstoß des damaligen Außenministers Colin Powell, der schon 2002 eine Nahost-Friedenskonferenz wie nun in Annapolis wollte. Als Grund verweist Rice noch heute auf Jassir Arafat, den damaligen Palästinenserchef: "Der hatte einen Fuß in der Politik und einen Fuß im Terror."

Noch im Sommer vorigen Jahres, als israelische Kampfjets im Südlibanon Bomben auf Hisbollah-Kämpfer warfen, sprach die Ex-Realistin von "den Geburtswehen des Neuen Nahen Ostens". Sie meinte das nicht zynisch.

Nun aber entwindet sich Rice der eigenen Wende. Sehr pragmatisch baut sie an einer Allianz durchaus zweifelhafter Regime, um eine arabische Front gegen die Mullahs in Teheran zu errichten. Dass Syrien seinen stellvertretenden Außenminister den frostigen Winden von Annapolis aussetzte - dieser Erfolg wärmt sie.

Rice betreibt Containment, jene Strategie der Eindämmung also, welche die studierte Russlandexpertin einst im Kalten Krieg bei ihren geistigen Ziehvätern bewunderte. Dass das für den Nahen Osten passt, bezweifeln viele.

Trotz all ihrer Reisen ist Rice die Krisenregion merkwürdig fremd geblieben. Die Nachricht vom Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 deutete sie als Falschmeldung, fassungslos stieg sie daheim vom Fitnessgerät und rief im Amt an: "Mein Gott, Hamas hat gewonnen?"

Bei einer Zwischenlandung auf irgendeinem Flughafen gestand sie Journalisten voriges Jahr, nie ein Buch über arabische Geschichte gelesen zu haben. Nur eine UN-Studie zur sozialen Entwicklung konnte sie als "wichtige Lektüre" nennen.

Dennoch, Rice weiß sehr wohl, was auf sie zukommt. Nun, nach Annapolis, müssen die wirklichen Verhandlungen beginnen, und die werden lange dauern. Da lauern neue Reisen auf sie, und neue Krisen. Es gibt keinerlei Gewissheit, dass sich ihr Gipfeltreffen jemals auszahlen wird.

Sicher ist nur, dass in 19 Monaten ihre Zeit abgelaufen ist. Dann zieht Bush aus dem Weißen Haus, dann muss auch Rice gehen. Und einen neuen Weg finden, ganz für sich selbst.

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