Computer:Tod und Spiele

Killerspiele bringen Killer hervor, heißt es oft. Und hatte nicht der Amokläufer von München fanatisch "Counter-Strike" gezockt, wie schon andere Täter vor ihm? Doch das pauschale Urteil über die Jugendlichen vor dem Computer hat wenig mit der Realität zu tun.

Von Christoph Bareither

Nach dem Amoklauf von München war sie plötzlich wieder da, die schon tot geglaubte "Killerspiel"-Debatte. Der Amokläufer habe Counter-Strike gespielt - das genügte, um die alten Ängste vor den Wirkungen sogenannter Gewaltspiele neu anzufeuern. Es ist richtig und wichtig, nach möglicherweise gefährdenden Wirkungen von Computerspielen zu fragen. Doch auf der Suche nach Ursachen für pathologische Einzelfälle wird zu häufig die Frage vergessen, was die Millionen anderen Spielerinnen und Spieler eigentlich an virtueller Gewalt fasziniert und was sie damit erleben. Das ist deshalb problematisch, weil dadurch ein wichtiger Teil ihres Alltags unreflektiert mit dem "Killerspiel"-Vorwurf in Verbindung gebracht und pauschal verurteilt wird. So entsteht ein gesellschaftlicher Graben zwischen denen, die "Killerspiele" spielen, und ihren Eltern, Freunden, den Pädagogen, Politikern und Journalisten, die das als Außenstehende kritisch oder besorgt beobachten.

Um diesen Graben zu überwinden, sollten wir weniger pauschal und voreingenommen urteilen und stattdessen den Spielern zuhören und genauer hinsehen. Für meine Dissertation habe ich Hunderte Stunden mit Computerspielern gemeinsam gespielt, mit ihnen Interviews geführt und untersucht, wie die Stars der Computerspielszene in Youtube-Videos mit Gewalt umgehen. Dabei zeigten sich sehr unterschiedliche Facetten des Vergnügens an virtueller Gewalt: Viele Spieler haben tatsächlich Spaß daran, ihre Gegner zu dominieren, sie fertigzumachen und ihnen ihre Herrschaft aufzuzwingen. Zugleich aber üben sich viele in gekonnten Manövern, haben Lust an der Herausforderung, lachen über spielerische Überschreitungen, genießen das im Kampf entstehende Wir-Gefühl. Sie lassen sich auch gerne von einer dramatischen Geschichte mitreißen, in der sie selbst als Held das Böse besiegen. Das alles kann man moralisch gut oder schlecht finden. Eines allerdings ist diese virtuelle Gewalt sicherlich nicht: einfältig und roh.

Gewalt zu zeigen, ist ein Teil der Kultur. Im Kino ist das schon lange selbstverständlich

Genau das unterstellt der "Killerspiel"-Vorwurf aber den Spielern. Und die fühlen sich dadurch zu Recht pauschal vorverurteilt. Wenn wir diese Debatte aufgeklärt führen wollen, dann müssen wir zuerst die Komplexität und Vielfalt virtueller Gewalt anerkennen. Und wir müssen verstehen lernen, dass Gewalt starke Bedeutungen in sich birgt, die universell verständlich sind und ein besonderes Potenzial haben, um die Spieler Emotionen entfesseln zu lassen. Das gilt grundsätzlich auch für die bildende Kunst, die Literatur und den Film, in deren ästhetischen Repertoires Gewaltdarstellungen einen festen Platz einnehmen. Zur Erinnerung: Auch gewaltdarstellende Romane und Filme wurden lange kritisiert und für mögliche Gewalttaten verantwortlich gemacht. Heute wundert sich kaum jemand mehr über die positive Rezension eines Quentin-Tarantino-Films.

Das heißt mitnichten, dass uns Gewalt in Computerspielen egal sein sollte. Aber um sie ernsthaft kritisch zu diskutieren, müssen wir sie erst verstehen. Virtuelle Gewalt unterscheidet sich von anderen Gewaltdarstellungen vor allem dadurch, dass die Spieler aktiv in das Geschehen eingebunden sind. Spieler schauen nicht nur beim Töten zu, sondern sie töten gewissermaßen selbst. Genau das macht einen Teil des Vergnügens an virtueller Gewalt aus, und genau das lässt sie zugleich für viele Außenstehende so bedrohlich erscheinen. Sich dabei aber nur auf die möglicherweise gefährdenden Wirkungen zu konzentrieren, greift zu kurz. Denn das unterstellt, dass in erster Linie die Spiele etwas mit den Spielern machen. Wer sich ernsthaft mit Computerspielern und ihrem Alltag beschäftigt, wird schnell merken, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Die Spieler machen etwas mit den Spielen.

Das ist mehr als ein rhetorischer Kniff. Denn Spieler gehen tatsächlich sehr eigenwillig und kreativ mit den Games und den Repräsentationen von Gewalt um. Das beste Beispiel ist das berüchtigte Counter-Strike. Für einen Großteil der Counter-Strike-Spieler - weltweit gibt es Hunderttausende - ist es nebensächlich, dass hier ein Anti-Terror-Krieg inszeniert wird (in dem man auch als Terrorist selbst Bomben legen muss). In der Spielkultur dient dieses Szenario vielmehr als Hintergrund für einen nach festen Regeln ablaufenden Wettstreit, bei dem die Teams wie in einer Art Bundesliga oder auf Turnieren gegeneinander antreten. Virtuelle Gewalt wird hier zum bedeutungsvollen Element eines als sportlich verstandenen Wettkampfs. Das macht sie moralisch weder besser noch schlechter. Doch es ist relevant, um die Spieler und ihre Erfahrungen zu verstehen und die Spielprozesse adäquat beurteilen zu können.

Die Konsequenz daraus muss sein, dass wir endlich aufhören, nur über die Spiele (also die Softwareprogramme) zu sprechen und darüber, was sie vermeintlich mit den Spielern machen. Es muss uns vielmehr darum gehen, wie Spieler mit virtueller Gewalt umgehen und was sie selbst damit erleben. Diese Frage bringt sicherlich keine eindeutigen Antworten hervor, die eine einfache Lösung des Konflikts erlauben. Sie fordert im Gegenteil viel Arbeit und Empathie von allen Beteiligten ein - denn die Erfahrungen der Spieler sind äußerst vielfältig. Doch nur wenn wir uns auf diese Vielfalt einlassen, können wir eine gesellschaftliche Debatte führen, die der Wirklichkeit des Computerspielens entspricht. Und nur dadurch können wir beurteilen lernen, welche Arten und Weisen des Spielens mit Gewalt wirklich problematisch und möglicherweise gefährdend sind.

Auf einmal wird diskutiert, was Folter wirklich bedeutet. Auch das kommt vor

Mehr noch: Ein Blick für die Nuancen des Spielens zeigt auch, dass mit virtueller Gewalt nicht immer unreflektiert umgegangen wird. Hunderttausendfach aufgerufene Youtube-Videos von Spielern des populären "Grand Theft Auto 5" zeigen beispielsweise, wie die Spieler während und nach einer brutalen Foltersequenz (in der man als Spieler einen Gefangenen aktiv foltern muss) sehr kritisch tatsächliche Folterpraktiken hinterfragen.

Zugegeben, das gehört noch nicht zum Mainstream der Computerspielkultur. Antikriegsspiele wie "Spec Ops: The Line" oder "This War of Mine" bleiben Randerscheinungen. Doch sie demonstrieren, was Computerspiele auch sein können: ein machtvolles Mittel, um sich emotional mit den Folgen von Gewalt auseinanderzusetzen und dadurch sich selbst genau wie andere zum Nachdenken anzuregen. Auch dieses Potenzial steckt in virtueller Gewalt. Um es nutzbar zu machen, muss eine gesellschaftliche Debatte jenseits des "Killerspiel"-Vorwurfs einsetzen. Denn nur dann kann das Medium Computerspiel auch in Sachen Gewalt endlich erwachsen werden.

Christoph Bareither, 33, erhält für seine Dissertation "Gewalt im Computerspiel: Facetten eines Vergnügens" den Deutschen Studienpreis 2016 der Körber-Stiftung. Er forscht und lehrt im Fachbereich Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen.

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