Comeback von Republikaner Santorum:Strippenzieher im Hardliner-Pelz

"Ich bin die konservative Alternative zu Präsident Obama": Nach seinem Dreifach-Erfolg bei den Vorwahlen der US-Republikaner treibt Rick Santorum den bisherigen Favoriten Mitt Romney vor sich her. Der achtfache Vater inszeniert sich als Erneuerer und prinzipientreuer Hardliner, doch in seiner Zeit als Senator galt Santorum in Washington als gewiefter Strippenzieher.

Matthias Kolb, Washington

Die Botschaft ging Rick Santorum leicht über die Lippen, als er sich in Missouri von seinen Anhängern feiern ließ: "Ich stehe hier nicht als konservative Alternative zu Mitt Romney, ich stehe hier als konservative Alternative zu Barack Obama." Der Dreifach-Erfolg des 53-Jährigen bei den Vorwahlen hat das Rennen der Republikaner um die Präsidentschaftskandidatur gehörig durcheinandergewirbelt - und Santorum ist fest entschlossen, möglichst lange zu wirbeln.

Rick Santorum

Rick Santorum stellt sich auf kommende Angriffe seines Parteikollegen Mitt Romney ein: "Nun werden sie uns verfolgen."

(Foto: AP)

Bei Fox News, dem Haussender der US-Konservativen, wiederholte er sein Kernargument: "Meine wichtigsten Themen sind Obamacare, das Bailout der Banken mit Steuermilliarden und der Handel mit Emissionsrechten - und leider vertritt Romney überall die gleiche Position wie Präsident Obama." In den Tagen nach seinen Siegen in Minnesota, Colorado und Missouri (hier wurden keine Delegierten-Stimmen vergeben) erhielt er mehr als eine Million Dollar an Spenden für seine Kampagne und sein Super-Pac. Das Geld soll ihm helfen, die Angriffe seiner Gegner zu kontern.

Er wisse, was kommen werde, schrieb Santorum seinen Finanziers per E-Mail: "Ich habe gesehen, was Romney und sein Team mit Newt Gingrich nach dessen Sieg in South Carolina gemacht haben. Nun werden sie uns verfolgen."

Noch am Wahlabend gab Romney jene Linie vor, die den Amerikanern bald via Radiospots und TV-Filmchen eingehämmert werden wird: "Washington kann nicht von jenen Politikern reformiert werden, die durch die Washingtoner Kultur kompromittiert wurden." Damit trifft der frühere Gouverneur von Massachusetts einen Punkt in Santorums Biographie, den er bisher gut zu verbergen wusste.

Santorum präsentiert sich als Underdog, der dem Partei-Establishment konservative Werte nahebringen möchte und nur in Begleitung seines Pressesprechers in einem klapprigen Pick-up durch alle Regionen Iowas fuhr und trotzdem knapp bei der ersten Vorwahl siegte.

Doch der siebenfache Vater war bis 2006 selbst Teil der Partei-Elite in der Hauptstadt Washington. Regelmäßig traf er sich mit Lobbyisten und handelte in Hinterzimmern Deals aus, die vor allem seiner Karriere und seinem Heimatstaat nutzten. Santorum sorgte dafür, dass aufgrund von sogenannten earmarks etwa eine Milliarde Dollar nach Pennsylvania floss: Mit diesem umstrittenen und unter Tea-Party-Anhängern verhassten Mechanismus ist es möglich, bestimmte Projekte zu finanzieren - und die Unterstützung einzelner Abgeordneter zu gewinnen.

Heute sagt Santorum, er habe "die Hauptstadt durchgeschüttelt" und werde dies nun wieder tun, doch die meisten Beobachter nehmen ihm diese Ferne zum Polit-Establishement nicht ab. "Er kam als jemand, der für Reformen eintrat und die Machtspiele kritisierte und verwandelte sich in Mr. Insider, der ständig am Telefon hing, Kontakte pflegte und Deals abschloss", sagte der Politologe G. Terry Madonna der New York Times.

Santorum war erst 32, als er 1990 ins Repräsentantenhaus gewählt wurde. Mit anderen Neulingen wie John Boehner, dem heutigen Sprecher der Kammer, bildete er die sogenannte Gang of Seven: Die Mitglieder wollten sich in der Hierarchie nicht hinten anstellen, sie drängten nach vorn. Mit einem Paukenschlag kamen sie in die Schlagzeilen.

Die Abgeordnetenkammer verfügte damals über eine eigene Bank, die es den Volksvertretern zugestand, ihre Konten zu überziehen, ohne Strafzinsen zahlen zu müssen. Santorum und seine Mitstreiter kritisierten dieses Privileg und attackierten einige Abgeordnete der demokratischen Mehrheit - mit stillschweigender Duldung durch Newt Gingrich.

Später stellte sich zwar heraus, dass durch die House Bank keine Steuergelder verschwendet wurden, doch der Neuling aus Pennsylvania hatte sich einen Namen gemacht. "Rücksichtslos" sei der ehrgeizige Santorum gewesen, meint Frank Riggs, einst Teil der Gang of Seven. 1995 gelang Santorum dann der Sprung in den Senat: Er übernahm den einstigen Sitz des 1991 verstorbenen John Heinz, dessen Vorfahren das Ketchup-Imperium aufgebaut hatten.

Weniger Inhalt, mehr Taktik

Sechs Jahre später war er bereits die Nummer drei in der Hierarchie der Republikaner im Senat und verfügte über direkte Kanäle zu Lobbyisten und Beratern. Schon seinem Politik-Professor Robert O'Connor war aufgefallen, dass es dem jungen Rick weniger um Inhalte als um Taktik ging: "Normalerweise wollen die Studenten wissen, ob eine politische Entscheidung Wirkung entfaltet - Rick wollte wissen, welche Themen bei den Wählern am beliebtesten waren."

US-Vorwahlen der Republikaner

Santorums Karriere im Senat endete ähnlich schmachvoll wie Newt Gingrichs Zeit als Sprecher des Repräsentantenhauses: Die Organisation Citizens for Responsibility and Ethics in Washington kürte ihn zu einem der 20 korruptesten Politiker der Hauptstadt, 2006 unterlag der Republikaner seinem demokratischen Herausforderer Bob Casey jr. mit 17,4 Prozentpunkten Rückstand. Casey gewann nach Ansicht der New York Times mit dem gleichen Argument, mit dem der unterlegene Santorum 1990 die politische Bühne gestürmt hatte: Der Abgeordnete habe den Kontakt zu seinem Heimatstaat verloren und residiere in Washington in einer dicken Villa.

Diese Zeiten sind jenen Anhängern der Republikaner offenbar unbekannt, die seit Dienstag zu den Auftritten von Rick Santorum in Texas stürmen, um ihm weitere Spenden zuzustecken - und ihm Decken für seine kranke, dreijährige Tochter zu schenken. Noch fliegen ihm die Herzen der rechtskonservativen Republikaner zu, denen Familie das höchste Gut ist und die den Sohn eines Psychologen und einer Krankenschwester als einen der ihren ansehen. Dabei hat ihr Held nach seinem Ausscheiden aus dem Senat als Lobbyist und Kommentator bei Fox Millionen verdient.

Gern erzählt Santorum von den Arbeiterhänden seines Großvaters, die er bei dessen Beerdigung angestarrt habe. Opa Pietro war mit Santorums Vater Aldo 1925 aus Italien nach Amerika gekommen und hatte mit seinen Händen "für meine Freiheit gegraben", predigt Santorum, der als 45. Präsident die US-Industrie zu altem Glanz führen und Spitzenverdiener weniger stark entlasten will als Romney und Gingrich.

Santorum muss sich darauf gefasst machen, dass nicht nur die republikanischen Konkurrenten sein bisheriges Leben unter die Lupe nehmen: Das Washingtoner Insider-Blatt Politico hat eine Liste mit Santorums "zehn größten Problemen" veröffentlicht (so warb er 2008 dafür, Mitt Romney zum Präsidentschaftsbewerber zu küren) und auch in anderen Redaktionen wird eifrig recherchiert.

Der Blog Santorum Exposed geht einen anderen Weg: Die Betreiber hoffen, seine Kandidatur zu verhindern, indem sie dessen Aussagen zu verschiedensten Themen dokumentiert. Wegen seiner Schwulenfeindlichkeit ("Ein Vater im Gefängnis ist besser als zwei schwule Papas") wurde Santorum Opfer von "Google-Bomben": Wer den Namen in die Maske der Suchmaschine eingibt, erhält Infos zu Analsex.

Genug Zeit für Überraschungen und Enthüllungen

Wie sehr Santorum mit seinen Ansichten und Taten die USA spaltet, belegt folgende Geschichte: Sein Sohn Gabriel starb 1996 zwei Stunden nach der Geburt im Krankenhaus. Die Eltern baten das Krankenhaus darum, die Leiche des Neugeborenen nach Hause mitnehmen zu dürfen. Sie wollten, dass Gabriel eine Nacht in seinem Elternhaus verbringt und dass die anderen Geschwister ihr Brüderchen sehen können, das schon zum Engel geworden sei. Was seine Anhänger als Zeichen seiner Hochachtung eines jeden Lebens, das mit dem Beginn der Empfängnis beginne, werten und uneingeschränkt gutheißen, widert andere Amerikaner an. Sie fürchten beispielsweise, die Präsentation des toten Babys könnte die anderen Geschwister traumatisiert haben.

Wie lange die Aufmerksamkeit der Medien und der Minderheit der politikinteressierten Amerikaner auf Santorum ruhen wird, ist schwer abzusehen. Der Vorwahlkampf wird noch Wochen weitergehen: Auch nach dem Super Tuesday am 6. März, an dem in zehn Bundesstaaten gewählt wird, sind gerade einmal ein Viertel aller Delegiertenstimmen vergeben. Es bleibt also genug Zeit für Überraschungen und Enthüllungen, die dem Ruf der vier Kandidaten Schaden zufügen können.

Linktipp: In einem langen Artikel hat Sheryl Gay Stolbert in der New York Times die Wandlung Rick Santorums während seiner Washingtoner Jahre beschrieben.

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