Colonia Dignidad:Gebunkerte Geheimnisse

Zwar wurde ihr Anführer Paul Schäfer schon 2005 gefasst, doch die Geschäfte der Colonia Dignidad laufen weiter. Während Justiz und Politik die Klärung des Verbrechens verschleppen, besteht die Siedlung als vermeintliche Ferienidylle fort.

Peter Burghardt

Die Geschäfte der deutschen Sekte gehen weiter, auch ohne den Kinderschänder mit dem Glasauge. Im "Tortenhaus" in Chiles Hauptstadt Santiago sowie weiteren Filialen verkaufen die Erben der Colonia Dignidad wie gehabt Bierschinken, Eisbein, Spekulatius und andere Spezialitäten aus eigener Herstellung.

Colonia Dignidad: Vermeintliche Idylle

Vermeintliche Idylle

(Foto: Foto: AP)

Sogar für Ferienwochenenden in ihrer Siedlung am Fuß der Anden wirbt die neue Führung der Kolonie, die jetzt Villa Baviera heißt. "Ein Ort von Schönheit und reiner Luft, Geschichte und Produktion", heißt es auf der Internetseite.

Natur, teutonische Ordnung und Gastronomie sowie ein kostenloses Hospital waren früher Tarnung für Entführung, Vergewaltigung, Folter, Mord. Noch heute verbirgt das Idyll nach Meinung von ehemaligen Colonia-Mitgliedern und Anwälten Giftgas, Kriegswaffen und Dollarmillionen.

Der Krimi ist längst nicht zu Ende, obwohl Colonia-Anführer Paul Schäfer 2005 ins Netz ging. Der 87-jährige, einäugige Päderast sitzt wegen Missbrauchs von Minderjährigen in einem Gefängnis von Santiago, meist auf der Krankenstation. Aber sonst? Weiterhin bewirtschaften seine Jünger das 20000 Hektar große Areal der Villa Baviera.

Dazu gehören einige von Schäfers 20 Mitangeklagten wie Kurt Schnellenkamp, Gerhard Mücke und der Arzt Hartmut Hopp. Sie sind gegen Kaution auf freiem Fuß. Ermittler werfen Hopp vor, Psychopharmaka und Stromschläge angeordnet zu haben. Er praktiziert wieder, besitzt Autos und Häuser. Die Strafverfahren stocken. Schäfers Stellvertreter Albert Schreiber lebt trotz internationalen Haftbefehls in Deutschland, er ist bei Freunden und Verwandten untergeschlüpft. "Absolute Straflosigkeit", schimpft Hernán Fernández. "Da wird nicht untersucht, nicht gefragt. Man muss auf den Tisch hauen."

Wie ein Drogenkartell

Seit zwölf Jahren kümmert sich der Rechtsanwalt um Opfer der Colonia. Er ahnte, dass die sexuellen Perversionen Schäfers nur die Oberfläche waren. 1997 sollte Fernández deshalb mit Sarin aus dem Weg geräumt werden, wie ihm ein Scherge der Colonia Jahre später gestand.

Es heißt, Nervengifte wurden von der Colonia fabriziert. Manche können in minimaler Konzentration Symptome eines Herzinfarktes auslösen. Der deutsche Journalist Gero Gemballa, der über die Colonia recherchierte, erlag 2002 im Alter von 41 Jahren einer Herzattacke.

Weitere Todesfälle von Gegnern sind ebenfalls rätselhaft. Fernández blieb das Attentat erspart, aber seine Gesundheit leidet unter dem frustrierenden Kampf für die Wahrheit. Er trieb erfolgreich die Jagd nach Schäfer voran, die Behörden beteiligten sich zögerlich. Der Jurist lockert die Krawatte und sagt: "Man müsste das System Colonia zerstören. Es wäre die Stunde auch der deutschen Justiz."

Wieso geschieht so wenig in einem der grausigsten Skandale der Nachkriegsgeschichte? Stoff und Zeugen gibt es eigentlich reichlich. Nach Schäfers Festnahme gruben Suchtrupps auf dem Kolonie-Gelände Waffen aus sowie Autowracks verschwundener Regimegegner.

Mindestens 22 Gefangene der Diktatur von Augusto Pinochet wurden in der Colonia getötet und die Leichen später mit Phosphor verbrannt. Aussteiger wie Klaus Schnellenkamp, der Sohn des Angeklagten Kurt Schnellenkamp, berichten von Waffenschmuggel Richtung Iran und Irak.

Auch hatte Chile seinerzeit selbst Bedarf an geheimen Lieferungen, weil es von den USA 1976 mit einem Waffenembargo belegt worden war und das Land sich von Argentinien bedroht fühlte.

Unter Pinochet genoss die Colonia zollfreien Zugang zum Hafen

Von versteckten Flughäfen ist die Rede. Die Colonia genoss unter Pinochet zollfreien Zugang zum Hafen von Valparaiso am Pazifik. Die Spuren reichen zu Waffenhändlern wie Gerhard Mertins oder Karl Honzik, die politisch gut vernetzt waren, gerade in Bayern. Einige CSU-Politiker standen der Colonia nahe.

Die chilenische Enklave wurde zu einem Stützpunkt im antikommunistischen Machtpoker. Und zu einem Hort der organisierten Kriminalität. Das vermuten nicht nur Menschenrechtler und Verschwörungstheoretiker.

Gebunkerte Geheimnisse

Von Experimenten mit Bio- und sogar Atomwaffen hinter der Fassade altdeutscher Frömmigkeit wird erzählt. "Die haben ihr Vermögen nicht mit Käse, Aufschnitt und Kuchen gemacht", sagt ein hochrangiger chilenischer Polizist in seinem Büro. "Die Colonia hatte das Niveau eines Drogenkartells." Genauso schwer ist es, ihr beizukommen.

Colonia Dignidad afp

Hinter der beschaulichen Fassade verbarg sich ein Folterlager der Pinochet-Diktatur.

(Foto: Foto: AFP)

Der Polizist war bis vor kurzem bei allen Durchsuchungen in Villa Baviera dabei, eine bizarre Erfahrung. Einsatzkommandos fanden in dem angeblichen Musterdorf Bunker, Sendeanlagen, Überwachungszentralen. Schäfer verbarg sich eine Zeitlang in einem unterirdischen Container, ehe er nach Argentinien floh.

Erst mit Hilfe der dortigen Behörden wurde man fündig. "Den Faktor Überraschung gab es für uns praktisch nie", sagt der Polizist. Stets wurde gewarnt und behindert. In einem Gästehaus der Colonia nahe des Stadions von Santiago stießen die Fahnder auf eine hydraulische Hebebühne von der Größe einer Wohnung, die als versenkbarer Parkplatz diente. Wie bei James Bond, mitten in der Metropole. "Wenn das hier ging", sagt der Polizist, "dann stellen Sie sich mal vor, was in dem abgelegenen Gebiet der Colonia möglich war".

Geheime Konten

Chiles Regierung setzte 2005 einen Sonderermittler ein, Jorge Zepeda. Der scheint den Fall rasch schließen zu wollen. Allzu neugierige Kommissare wurden suspendiert, ein bei der Colonia erbeutetes Archiv erklärte Zepeda zum Staatsgeheimnis. 17 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie liegt ein Schleier über der Affäre.

Schäfers Nachfolger verdienen auch mit Immobilien und Straßenbau, chilenische Senatoren sollen beteiligt sein. Schäfers Anwalt ist ein vormaliger Offizier und Vertrauter des verstorbenen Diktators Pinochet. "Unterwürfig" seien Funktionäre gegenüber der Kolonie, der Polizist spricht von Schmiergeld und Drohungen. "Die Konten wären der Schlüssel", meint er, in der Karibik und anderswo werden Vermögen der Kolonisten vermutet.

Doch die Finanzbehörden unternehmen nichts. Dass Chiles Gerichtsbarkeit scheitert, ist für den Polizisten wenig überraschend. "Wir sind immer noch ein Land im Übergang. Aber Deutschland?"

Deutschland lässt Albert Schreiber, den früheren Finanzchef Paul Schäfers, und weitere Verdächtige gewähren. "Kein Staat liefert seine Bürger zur Strafverfolgung an andere aus", erläutert Friedrich Apostel, Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft. In Deutschland seien "sechs bis sieben Verfahren" gegen Ex-Mitglieder der Colonia anhängig, mehr verrät er nicht.

Sein Spitzname lautet "der Spion"

Schreiber dürfte viel wissen über Waffenschieberei, Erpressung, Steuerbetrug, Verschleppung. "Der Spion", lautete sein Spitzname. Er soll für Pinochets Geheimdienstchef Manuel Contreras gearbeitet haben. Schreiber wird auch vorgeworfen, einen Jungen vor den Fahndern versteckt zu haben, den sein Chef missbraucht hatte. Angel Rodrigo Salvo Fuentes war damals zwölf. Er erlag kürzlich in Freiheit mit 24 einem Krebsleiden.

Eine Tragödie, Reinhard Zeitner hat davon gehört. Er sitzt mit seiner Frau bei Kaffee und Kuchen im Eigenheim in Santiago. Die Einrichtung sieht aus wie Eiche massiv aus den fünfziger Jahren, die beiden kennen es nicht anders. Zeitner, 50, konnte seine Annette erst mit 41 Jahren heiraten, nach Schäfers Flucht.

Der mächtige Pate hätte es nicht erlaubt. Zeitner hat sich in Abendkursen zum Elektriker weitergebildet und einen Job bei einer dänischen Pumpenfirma gefunden, seine Frau arbeitet für einen Laden der Colonia. Viel planen können sie nicht. Er steht unter Anklage, verbrachte 99 Tage in Untersuchungshaft wegen Beihilfe zur Kindesentführung. Zeitner war Cessna-Pilot bei der Colonia und soll bei der Verschleppung von Salvo Fuentes dabei gewesen sein. "Stimmt nicht", sagt er.

Das Verfahren kann Jahre dauern

Zeitner hofft auf Milde, falls das Revisionsgericht irgendwann entscheidet. Das Verfahren kann Jahre dauern. Er fühlt sich als Mitläufer. "Wir waren alle Zuhälter für Schäfer, wir hatten doch keine Ahnung. Es darf kein Mitgefangen-Mitgehangen geben."

Nach Villa Baviera fahren die Zeitners noch gelegentlich, Silvester waren sie dort, "aber man fühlt sich nicht mehr wohl". Die alte Führung war ihm, von Schäfer abgesehen, lieber als die neue: "Das sind Kinder der Hierarchie, ausgewählt von Schäfer." Und die Waffen? Und die Konten, deren Inhalt theoretisch auch ihm zustehen würde nach 30 Jahren Zwangsarbeit? Zeitner sagt: "Da beißt du auf Granit."

Hernán Fernández klagt im Namen des verstorbenen Salvo Fuentes auch zivilrechtlich gegen Zeitner. Chile will er vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission in Washington anzeigen, weil sich der Staat zu wenig um die Opfer kümmere. "Ich mache weiter", sagt er. "Das ist eine gerechte Sache."

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