Clintons Rede auf Parteitag der Demokraten:Der alte Bill begeistert Amerika

Mit 66 Jahren hat Bill Clinton die vielleicht beste Rede seines Lebens gehalten. Die US-Medien reagieren geradezu euphorisiert, ein ehemaliger Berater Mitt Romneys erklärt das Rennen sogar für gelaufen. Doch Clintons Show hat die Messlatte vor dem Auftritt von Amtsinhaber Obama äußerst hoch gelegt.

Sebastian Gierke

Die Vorzeichen für den zweiten Tag des Krönungsparteitags der Demokraten waren nicht gut. Gar nicht gut. Am Dienstag musste Barack Obamas Finanzministerium bekanntgeben, dass das Staatsdefizit inzwischen auf 16 Billionen Dollar angewachsen ist. Eine Chance zum Angriff, die sich die Republikaner nicht entgehen ließen.

Am Mittwoch dann stritt die Partei bei ihrem Treffen in Charlotte, North Carolina, erbittert über ihre Haltung zu Israel. In einer hitzigen Abstimmung nahmen die Delegierten erst nachträglich einen Passus in ihr Programm auf, der Israels umstrittene Position unterstützt, Jerusalem als unteilbare Hauptstadt anzusehen. Laut des US-Polit-Blogs Politico musste US-Präsident Obama persönlich seine Mitarbeiter anweisen, für die Änderung des Manifests zu sorgen.

Auch dass der Begriff "Gott" nirgends in dem Papier auftauchte, sorgte für Unmut - erneut intervenierte der Präsident und ließ den Gottesbezug einfügen. Auch das: eine Steilvorlage für die Republikaner. Die Kritik am fehlenden Glauben der Linken folgte auf dem Fuß.

Und dann kam Bill...

Und dann war da noch die Entscheidung, die Rede des Amtsinhabers aus dem 74.000 Menschen fassenden Stadion von Charlotte in eine Halle zu verlegen. Als offizielle Begründung musste die Sorge vor Gewitterstürmen herhalten. Der Spin der Republikaner: Der einstige Menschenfischer Obama hat Angst vor gähnend leeren Rängen.

Das alles war nicht besonders erbaulich für Obama und die Demokraten. Bis Bill Clinton kam - und in 48 Minuten alles Negative aus den Schlagzeilen verdrängte. Die allermeisten wären wohl an dieser Aufgabe gescheitert, der 42. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika meisterte sie beinahe spielerisch.

Mit dem Gewicht seiner Popularität warb der 66-Jährige bei den Millionen vor den TV-Bildschirmen um die Wiederwahl Obamas. Der ehemalige Lebemann, der sich nun als Veganer bezeichnet, ging dabei ins Detail. Nannte, anders als die Republikaner vor einer Woche bei ihrem Parteitag, Fakten. Argumentierte viel mit Zahlen. Und schaffte es dennoch, aus den Fakten eine leidenschaftliche Botschaft zu extrahieren, beschwor die Erotik der Zahlen.

Bill Clinton hat an diesem Mittwochabend eine der besten Reden seines Politikerlebens gehalten. Und Barack Obama, zu dem er lange kein besonders gutes Verhältnis pflegte, seiner Wiederwahl ein gutes Stück nähergebracht. So kommentieren jedenfalls viele US-Medien seine Rede.

Ein mitreißendes Plädoyer für den Präsidenten habe Clinton gehalten, so sieht es die New York Times. Der Ex-Präsident habe die Argumente der Republikaner Punkt für Punkt wiederlegt und glaubwürdig dargelegt, dass Amerika heute besser dastehe als vor vier Jahren.

Für das Magazin The Atlantic hat Clinton mit seiner Rede Obamas "dirty work", die schmutzige Aufgabe des Präsidenten, erledigt. Er habe das gesagt, was der Präsident nicht sagen könne, weil er als Amtsinhaber nicht "zu negativ und nostalgisch" sein könne in der Rede, die Obama am Donnerstag hält.

Selbst Fox News ist begeistert

Nahe am Volk, aber dennoch "brutal" sei es Clinton gelungen, Mitt Romney als Alternative zu Obama zu diskreditieren, ohne dabei persönlich zu werden. "Clinton tötet mit Rasierklingen, nicht mit der Axt." Ein weniger subtiler Politiker hätte gesagt, er hasse die Republikaner, Clinton dagegen sage, die Republikaner seien hasserfüllt. Ein zweiter The-Atlantic-Text ist übertitelt mit: "Bill Clinton zeigt, wie es gemacht wird."

"Bill Kills": In großen roten Lettern bringt die Huffington Post Clintons Auftritt auf den Punkt. Ehrlich sei Clinton gewesen, als er darauf hinwies, dass Amerika immer noch in großen wirtschaftlichen Problemen stecke, seine "Meisterschaft auf der Bühne" habe er mit wohl dosierten und gut gesetzten Angriffen auf Romney und dessen Vizepräsidentschaftskandidaten Paul Ryan bewiesen.

CNN sieht nun eine große Chance, die die Demokraten nach bereits "zwei großen Nächten" hätten. Auch Michelle Obama hatte bei ihrer Rede am Dienstag überzeugt. Wenn jetzt auch ihrem Mann ein überzeugender Auftritt gelinge, könnte das Rennen um die Präsidentschaft damit nachhaltig zugunsten Obamas beeinflusst werden. "Ein überzeugender Parteitag kann die Nadel in eine Richtung ausschlagen lassen", schreibt David Gregen, Politikprofessor und Direktor des "Center vor Public Leadership" in Harvard und ehemaliger Berater von vier US-Präsidenten.

"Clinton liefert das bislang stärkste Argument dafür, Obama wiederzuwählen." So überschreibt die Washington Post ihren Kommentar zu Clintons Rede und führt drei Punkte an, um dies zu belegen. Er habe bislang am besten erklärt, warum Wähler, die von der wirtschaftlichen Entwicklung enttäuscht sind, trotzdem wieder Obama wählen sollen. Die Quertreiberei und Blockadepolitik der Republikaner während der ersten Amtszeit Obamas habe er schonungslos offengelegt und die Hauptargumente der Republikaner gegen Obama entkräftet.

Selbst Fox News, der den Republikanern nahestehende Nachrichtensender, lobt Clinton. Dieser habe Charisma, Eloquenz und Erfahrung in "vollem Umfang" genutzt, um die Wirtschaftsbilanz Obamas zu verteidigen und so eine zweite Amtszeit des Präsidenten wahrscheinlicher zu machen.

Der ehemalige Romney-Berater Alex Castellanos hatte kurz nach Clintons Rede auf CNN sogar gesagt, das Rennen sei jetzt quasi vorbei. "Jetzt können sie die Tür zusperren." Die Rede Clintons sei der Moment gewesen, der "Obama wahrscheinlich die Wiederwahl sichere." Clinton habe es geschafft, die Demokraten wieder in der Mitte der Gesellschaft zu verankern, wie damals, als er selbst gewählt worden sei.

Gefahr für Obama wächst

Auch in den sozialen Medien im Netz wurde Clintons Auftritt überwiegend positiv aufgenommen. Auf Reddit.com, einem sozialen Nachrichtenaggregator, lautet eine Überschrift: "Bill Clinton sollte eigentlich nur 28 Minuten sprechen, es wurden am Ende 48 Minuten. Ich bin froh, dass er das so gemacht hat. Es war verflucht eindrucksvoll."

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Bill Clinton seine politische Karriere startete, indem er sich nicht an Zeitvorgaben hielt. Beim demokratischen Parteitag 1988 sollte er nur 15 Minuten sprechen, es wurden 33 daraus. Darüber wurde im Anschluss viel diskutiert, Clinton wurde sogar in die "Tonight Show" eingeladen und verkaufte sich dort ziemlich gut. Es war die Geburt des Politstars und Menschenfängers Bill Clinton.

Doch das Lob, das Clinton nun erhält, setzt Obama ziemlich unter Druck. Sollte er mit seiner Rede zur besten Sendezeit am Donnerstag nicht an den Ex-Amtsinhaber heranreichen, werden ihm das seine Gegner als Schwäche auslegen. Sollte er gar Fehler machen, werden diese umso deutlicher sichtbar werden.

Jetzt kommt es auf Obama an. Der Rückenwind mag noch so heftig wehen - der Parteitag ist noch nicht zu Ende.

Linktipps:

- Die Rede im englischen Wortlaut bei der New York Times.

- Feature zu Clintons Auftritt aus Charlotte von Matthias Kolb.

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