Clement entfacht Atomdebatte:Raus aus dem Ausstieg

Wolfgang Clement, Bundeswirtschaftsminister a. D., hält die deutsche Atom-Ausstiegspolitik auf der ganzen Linie für gescheitert. Manche in der SPD dürften jetzt wohl überzeugter denn je sein, dass ein Parteiausschluss angebracht wäre.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist so ein "Endlich-sagt-es-mal-einer"-Applaus, der Wolfgang Clement an diesem Morgen gleich mehrfach entgegendonnert. Hart, krachend und für Momente rhythmisch. Der Bundeswirtschaftsminister a. D., Mitglied der SPD, tritt als Redner vor der Wintertagung des Deutschen Atomforums im Berliner Hotel Maritim auf. Schon im Vorfeld war spekuliert worden, wie weit er dort gehen würde mit seiner Kritik an der Energiepolitik seiner Partei.

Um es kurz zu machen: Er geht sehr weit.

Clement macht deutlich, was er heute vom Atomausstieg hält, der seit 1986 Beschlusslage der SPD ist: Nichts. Damals hätte er dem nur zugestimmt, weil er eine zunehmend militärische Nutzung der Kernenergie hatte eindämmen wollen.

Heute stelle sich heraus: Die Sorge sei zwar "vollauf berechtigt" gewesen. Es sei aber naiv, zu glauben, "ein deutscher Ausstieg werde nur ein Jota ändern". Im Gegenteil: Mit dem Ausstieg "verspielen wir allenfalls unsere Einflussmöglichkeiten".

Als Hauptargument gegen den Atomausstieg sieht Clement die aus seiner Sicht ungeklärte Frage, wie denn die Atomkraft ersetzt werden soll. Seiner eigenen Partei warf er vor, noch vor wenigen Monaten in einem Beschluss zum Thema "Neue Energie - Innovation, Klimaschutz, Beschäftigung" zwar den Atomausstieg bekräftigt, "aber keine Aussage zur konkreten Substitution" gemacht zu haben.

In dem Zusammenhang wurde Andrea Ypsilanti noch einmal zu Clements Zielscheibe. Die Beinahe-Wahlgewinnern von der Hessen-SPD musste es sich vor der Wahl gefallen lassen, von Clement in die Kategorie "nicht wählbar" gesteckt zu werden. Grund: Ypsilantis Vorstellungen zu Energiepolitik. Ihr Vergehen: Sie will unter Beibehaltung des Atomausstiegs die Kohlekraft reduzieren und die erneuerbaren Energien ausbauen.

Atomkraft sinnvoll, sicher und umweltschonend

Clement verteidigte seine Haltung, von einer Wahl Ypsilantis abgeraten zu haben: "Wenn inzwischen auch noch die Kohlekraftwerke in Frage gestellt werden, dann muss man sich einbringen, weil man sonst Gefahr läuft, den Industriestandort Deutschland preiszugeben." Wieder dieser donnernde Applaus.

Der einstige NRW-Ministerpräsident und heutige Aufsichtsrat einer Unternehmenstochter des Energieriesen RWE ließ keine Frage aus, um nachzuweisen, dass Atomkraft sinnvoll, sicher und umweltschonend sei.

Endlager: Das Problem sei gelöst. Mittel- bis schwachradioaktive Abfälle könnten in den Schacht Konrad verbracht werden.

Zudem werde der Salzstock Gorleben seit 1978 erkundet. Ergebnis: Die Gesteinsstruktur sei seit 200 Millionen Jahren geologisch stabil. Deutschland habe damit die Möglichkeit, als erstes Land der Welt die Entsorgungsfrage zu lösen. "Wenn es politisch gewollt ist, auch für hochradioaktive Abfälle in Gorleben."

Sicherheit: Die Deutschen Anlagen seinen die sichersten der Welt. In den Top-Ten der weltweit besten Kernkraftwerke seien sechs deutsche.

Die Kernenergie rette auch die Mobilität, sagt Clement. In den kommenden zehn bis 20 Jahren sei die Wasserstofftechnik serienreif. Der Wasserstoff muss aber auch produziert werden. "Für eine CO2-freie Herstellung steht nach meinen Erkenntnisstand am ehesten die Kernenergie zu Verfügung."

Ein Vierklang aus CO2-freien Kohlekraftwerken, sicherer Kernenergie, erneuerbaren Energien und einem "höchst effizienten Umgang mit Energie" soll den Industriestandort Deutschland retten, fordert Clement. Das sei eine "strategische Antwort" und keine, die "von Fall zu Fall" entschieden werde. Die würden zu sehr von Emotionen abhängen.

Andere Länder hätten erkannt, dass Emotionen nicht weiterbrächten. "Bislang hat kein Land der Welt den Ausstieg aus der Kernenergie auch tatsächlich vollzogen." Viele Länder mit Ausstiegsbeschlüssen hätten inzwischen die Laufzeiten auf 60 Jahre verlängert oder begännen mit dem Bau neuer Atomkraftwerke. Allein die Substitutionsproblematik zwinge zu einer Revision der Ausstiegspolitik, sagt Clement.

Angesichts dessen erscheine es "absurd, anzunehmen, dass die Welt Deutschland als Vorreiter beim Ausstieg aus der Kernenergie folgen würde."

Mit anderen Worten: Nach Clement ist die deutsche Ausstiegspolitik auf der ganzen Linie gescheitert. Jetzt gehe es nur noch darum "eine offenkundige Fehleinschätzung einzugestehen und den Mut zu haben, diese Fehleinschätzung zu korrigieren". So ein Verhalten würde jedem gut zu Gesicht stehen.

Manche in der SPD dürften jetzt wohl überzeugter denn je sein, dass Clement aus der Partei ausgeschlossen werden sollte.

Sein Ortsverein Bochum jedenfalls setzt derzeit alles daran, Clement aus der Partei zu werfen. "Wir haben den Unterbezirksvorstand aufgefordert, ein Parteiausschlussverfahren zu erwirken", sagte der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme, Rudolf Malzahn, am Donnerstag. Der geforderte Mitgliederentscheid werde am 21. Februar stattfinden.

In einem offenen Brief Malzahns an Clement heißt es unter anderem: "Mit Deiner Aufforderung, in Hessen die SPD nicht zu wählen, hast Du erneut deutlich gemacht, dass Du das Mannschaftsspiel der demokratischen Meinungs- und Willensbildung innerhalb unserer SPD nicht akzeptieren willst".

Der Brief schließt mit der Aufforderung: "Da Deine Konflikte mit uns als SPD unerträglich werden, rege ich an: Gib Dein Mitgliedsbuch ab. Es wäre für Dich und für uns eine Erleichterung."

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