Chronologie des Folterskandals:Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib

Obwohl das US-Militär systematisch Gefangene misshandelt haben soll, will der ehemalige Pentagon-Chef nie davon gehört haben. Eine Chronik.

Barbara Vorsamer

Oktober 2001: Nach den Terroranschlägen des 11. September beginnen die USA den Krieg in Afghanistan.

Chronologie des Folterskandals: Guantanamo Bay im Jahr 2001: Hier soll ein Gefangenenlager für Häftlinge, die als Taliban oder Al-Qaida-Mitglieder verdächtigt werden, entstehen.

Guantanamo Bay im Jahr 2001: Hier soll ein Gefangenenlager für Häftlinge, die als Taliban oder Al-Qaida-Mitglieder verdächtigt werden, entstehen.

(Foto: Foto: Reuters)

Februar 2002: Für Häftlinge, die als Taliban oder Al-Qaida-Mitglieder verdächtigt werden, eröffnen die USA das scharf abgeschirmte Lager Guantanamo. Von Anfang an kritisieren Menschenrechtsorganisationen, dass die Gefangenen dort ohne Anklage und Rechtsbeistand festgehalten werden.

Dezember 2002: Donald Rumsfeld billigt in einem nicht öffentlichen Vermerk 16 spezielle Verhörmethoden für Guantanamo, darunter dass Gefangenen durch Hunde Angst gemacht wird, dass sich Häftlinge bei Verhören nackt ausziehen müssen und dass sie bis zu vier Stunden unbequeme Haltungen einnehmen müssen. Des weiteren erlaubt der Pentagonchef Isolationshaft, Verhöre bis zu 20 Stunden und den Entzug warmer Mahlzeiten.

Januar 2003: Aufgrund juristischer Einwände zieht Rumsfeld die Genehmigung wieder zurück und entwirft neue Richtlinien. Trotzdem zirkuliert in Militärkreisen weiterhin die erste Fassung.

Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib

März 2003: Die USA beginnen den Krieg gegen den Irak.

Chronologie des Folterskandals: Der Irakkrieg beginnt.

Der Irakkrieg beginnt.

(Foto: Foto: AP)

April 2003: Schon einen Monat später glauben sie, ihn so gut wie gewonnen zu haben. Die US-Armee - und damit Verteidigungsminister Rumsfeld - übernimmt die Macht im Irak. Der amerikanische Gouverneur im Irak, Jay Garner: "Heute beginnt ein freier und demokratischer Irak."

August 2003: Amnesty International wirft den US-Behörden einen rechtswidrigen Umgang mit den in Guantanamo inhaftierten Terrorverdächtigen vor. Die Organisation spricht von "Haftbedingungen, die mit Folter gleichzusetzen sind".

Oktober 2003: Eine interne Untersuchung des US-Militärs über die Zustände in irakischen Gefängnissen findet Hinweise auf Misshandlungen. Eine Ermittlungskommission wird eingesetzt.

Januar 2004: Das Pentagon und das Weiße Haus bekommen einen Bericht über den Verdacht auf Misshandlungen.

März 2004: Der geheime Bericht gelangt an die Presse.

Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib

Chronologie des Folterskandals: Ein Ausschnitt reicht, um die Bilder aus Abu Ghraib zu erkennen. Sie lösen weltweites Entsetzen aus.

Ein Ausschnitt reicht, um die Bilder aus Abu Ghraib zu erkennen. Sie lösen weltweites Entsetzen aus.

(Foto: Foto: AFP)

April 2004: Der US-Sender CBS zeigt erstmals Fotos von gequälten und gedemütigten Gefangenen aus Abu Ghraib.

Mai 2004: Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wehren sich gegen Vorwürfe, die Misshandlungen gebilligt zu haben. Bush wörtlich: "Ich habe niemals Folter angeordnet."

Ein gleichzeitig erscheinendes Memorandum, demzufolge er sich - theoretisch - das Recht herausnimmt, afghanischen Gefangenen den Schutz der Genfer Konvention zu versagen, machen dieses Dementi aber unglaubwürdig.

Rumsfeld übernimmt vor dem Senat die politische Verantwortung, lehnt aber einen Rücktritt ab und bekräftigt, von nichts gewusst zu haben. Außerdem verteidigt er alle angewendeten Verhörmethoden als "mit internationalem Recht vereinbar."

Eine Gruppe US-Abgeordneter sichtet jedoch 1600 Fotos aus Abu Ghraib und schreibt in einem Bericht: Das Bildmaterial deute darauf hin, dass es sich nicht um "spontane Handlungen" sondern um eine "gezielte Zermürbungstaktik" gehandelt habe.

Die Soldatin Lynndie England behauptet ebenfalls, nur auf Anweisung von "Personen mit höherem Rang" gehandelt zu haben.

Juli 2004: Der Bericht der internen Untersuchung der Vorfälle von Abu Ghraib erscheint. Darin bewertet die Armee die Misshandlungen als Versagen einzelner Personen.

Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib

Chronologie des Folterskandals: Journalisten und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Zustände in Guantanamo.

Journalisten und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Zustände in Guantanamo.

(Foto: Foto: ddp)

September 2004: Der US-Journalist Seymour Hersh veröffentlicht sein Buch "Chain of Command", in dem er schreibt, dass es bereits im Herbst 2002 zu Misshandlungen gegen Häftlinge in Guantanamo kam. Mehrere Häftlinge seien in ihren eigenen Fäkalien gelegen. Ein Bericht sei an Condoleezza Rice gegangen, die ihn an Rumsfeld weitergegeben habe. Dieser beschloss, "nichts zu tun".

Dezember 2004: Das Rote Kreuz untersucht die Zustände in Guantanamo und kommt zu dem Schluss, dass die Behandlung der Gefangenen Folter gleichkomme. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights" erstattet Anzeige gegen Verteidigungsminister Rumsfeld.

Juli 2005: Eine interne Untersuchung der Armee stellt fest, dass in Guantanamo dieselben Praktiken angewendet wurden wie in Abu Ghraib. Das legt die Vermutung nahe, dass die Methoden von oben angeordnet wurden.

Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib

Chronologie des Folterskandals: Janis Karpinski

Janis Karpinski

(Foto: Foto: Reuters)

November 2006: Janis Karpinski, die ehemalige Kommandeurin von Abu Ghraib, behauptet, Rumsfeld habe in schriftlichen Kurzmitteilungen Methoden wie Schlafentzug, langes Stehen oder ständige Störungen bei den Mahlzeiten erlaubt. Zudem habe er angewiesen, Gefangene nicht zu registrieren, und so gegen die Genfer Konvention zu verstoßen.

Donald Rumsfeld wird für Präsident Bush immer weniger tragbar. Nachdem die Republikaner bei den Kongresswahlen massive Verluste erleiden - auch wegen des chaotischen Vorgehens im Irak und in Afghanistan, muss Rumsfeld zurücktreten.

März 2008: Die Ex-Soldatin Lynndie England belastet ihren ehemaligen Dienstherrn schwer: "Rumsfeld wusste alles", sagte sie in einem Interview.

Dezember 2008: Der US-Senat erhebt dieselben Vorwürfe: Er bezieht sich auf Rumsfelds Vermerk von 2002, in dem er die 16 Verhörmethoden genehmigte, und schließt daraus, dass der Verteidigungsminister über alles informiert war. Damit bekommen die seit Jahren bekannten Vorwürfe neues Gewicht.

Rumsfeld behauptet noch heute, nichts von der Folter gewusst zu haben und sie schon gar nicht selbst angeordnet zu haben.

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