Christian Wulff mit Tochter in Israel:Ein schweigsamer Präsident

Eine starke Botschaft: Warum Christian Wulff in Israel keine Rede hält und stattdessen eine junge Delegation vorschickt, zu der auch seine Tochter Annalena gehört.

Daniel Brössler

Im Mahnmal für die ermordeten Kinder werden Namen verlesen. In langer Reihe. Namen von Kindern, die nach dem Willen der Nazis nicht leben durften. "Abraham Jitzchak Paser, 14 Jahre, Belgien. Schmuel Fischhof, 12 Jahre, Tschechoslowakei." Es ist dunkel in dem Mahnmal, und als Annalena Wulff wieder ans Licht tritt, sieht man ihr an: Nun ist sie angekommen an dem schwierigen Ort, an den ihr Vater sie mitgenommen hat.

German President Christian Wulff Visits Yad Vashem Holocaust Memorial

Christian Wulff mit seiner Tochter in Yad Vashem.

(Foto: Getty Images)

Sie bleibt gefasst, aber es fällt ihr nicht leicht. Als der Bundespräsident sich einträgt ins Gästebuch der Gedenkstätte Jad Vaschem, steht Annalena zwei Schritte hinter ihm. "Die unfassbaren Verbrechen der Schoah", notiert Christian Wulff, "sind Deutschland und den Deutschen dauernde Verpflichtung für das Existenzrecht Israels einzutreten." Es ist ein trockener Satz, die Anwesenheit der Tochter soll Zeugnis ablegen, dass Wulff ihn ernst meint. Eine starke Botschaft. Vielleicht ein bisschen zu stark für eine 17-jährige Gymnasiastin aus Osnabrück.

Der Besuch in Israel ist nicht Wulffs erste große Reise, aber es ist seine erste wirklich eigene. Die Besuche in der Schweiz, der Türkei und Russland hat er geerbt, sie sind noch vorbereitet worden für seinen Vorgänger Horst Köhler. Hinzu kamen kurze Antrittsbesuche, etwa in Prag. Mit dem fast viertägigen Besuch in Israel und den Palästinensergebieten will er nun, wie er erklärt, "selber einen Akzent setzen". Wenn ein Bundespräsident reist, gestaltet er freilich nicht wirklich Außenpolitik. Vielmehr ist es seine Präsidentschaft, die durch Reisen Gestalt annehmen kann.

Von der besonderen Verantwortung Deutschlands für die Juden und für Israel sei er sein ganzes Leben überzeugt gewesen, sagt Wulff. Er hat bereits an der Ordination liberaler Rabbiner teilgenommen, war bei der Einweihung der Synagoge in Mainz, hat die scheidende Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Den frühen Besuch in Israel sieht er in dieser Reihe.

Besonderes Gespür für die deutsche Verantwortung gehört zur Aufgabenbeschreibung eines Bundespräsidenten, und doch kommt im Falle Wulffs etwas hinzu. Schimon Peres, Präsident und mit 87 Jahren weiser alter Mann Israels, betont das nach seinem Gespräch mit Wulff. "Es ist ein Besuch der besonderen Art, weil es sich um einen besonderen Präsidenten handelt. Er ist der erste, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde", sagt er, "seine Zukunft ist größer als seine Vergangenheit". Obwohl Wulff ein junger Präsident sei, sei er ein "alter Freund des jüdischen Volkes".

"Verantwortung von Generation zu Generation weitergeben"

Das ganze Reiseprogramm Wulffs ist darauf ausgerichtet, dieses Profil zu schärfen. Als erster Bundespräsident legt er einen Kranz am Grab von Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus, nieder. Lange verharrt er vor dem schlichten, dunklen Quader. Dabei nähert sich ihm ein Jerusalemer Straßenkätzchen, um den rot-gelben Kranz gründlich in Augenschein zu nehmen. In der Delegation wird geschmunzelt, Wulff aber zeigt keine Regung. Der Präsident ist entschlossen, keine Fehler zu machen und jedweden Ärger zu vermeiden. Da fügt es sich, dass während der ganzen Reise keine Rede geplant ist. Ihm gehe es um ein zurückhaltendes Auftreten, begründet Wulff das. Ein Staatsbesuch mit wichtiger Rede könne ja noch folgen, sagen seine Leute.

Wulffs große Botschaft ist ohnehin seine Begleitung. Eine achtköpfige Jugenddelegation hat er mitgebracht. "Verantwortung von Generation zu Generation weitergeben", nennt Wulff das. Es sind junge Leute dabei, die besonderes Interesse an Israel gezeigt oder einen Geschichtswettbewerb gewonnen haben. Helge Jonas Pösche zum Beispiel, der Recherchen über seinen Großonkel angestellt hat, der Gauleiter war während des Nationalsozialismus. In der Halle der Erinnerung ist es Pösche, der zusammen mit einer deutschen Studentin für den Bundespräsidenten den Kranz niederlegen darf. Zu Wulffs Linken steht in diesem Augenblick der alte Präsident Peres, zu seiner Rechten seine eigene junge Tochter. Es ist das Bild, das bleiben soll von diesem Besuch.

Zu Hause in Osnabrück hat Annalena Wulff Leistungskurse in Politik und in Geschichte belegt. Nach der Rückkehr wird sie ein Referat halten müssen. Es wird wohl um Deutschland und seine Verantwortung gehen, es könnte aber auch davon handeln, wie man sich fühlt, wenn man das erste Mal in derartige Mengen von Kameras und fragende Journalistengesichter blickt. Beim Gang durch die Ausstellung in Jad Vaschem hält sich die junge, blonde Frau ein wenig abseits und gelegentlich wirkt es, als könne der Vater mit der ungewohnten Situation schlechter umgehen als die Tochter. Erst ganz am Ende des Gangs durch die Geschichte des Horrors, in der runden Halle der Namen, stecken beide Wulffs die Köpfe zusammen und wechseln ein paar Worte.

Annalena Wulff werde in Jad Vaschem öffentlich nichts sagen, hatte das Bundespräsidialamt vorsorglich wie fürsorglich gewarnt. Im Tal der Gemeinden, wo die Orte ausgelöschten jüdischen Lebens in hellen Stein gemeißelt sind, legen Vater und Tochter am Ende eine rote Rose dort nieder, wo ihrer Stadt Osnabrück gedacht wird.

Anschließend sieht die junge Frau keinen Grund zu schweigen, als Journalisten sie nach ihren Gedanken fragen. "Ich glaube, dass jeder sehr ergriffen ist, der die Gelegenheit hat, hierher zu kommen", sagt sie. "Jeder muss das seinen Kindern erzählen, damit nichts in Vergessenheit gerät und um zu verhindern, dass so etwas wieder passiert." Worüber sich Wulffs Leute Sorgen gemacht haben, weiß danach eigentlich niemand mehr.

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