Christian Wulff:Einer gegen den Wahlverein Merkel

Christian Wulffs bundespolitische Ambitionen provozieren die Kanzlerin. Denn der Niedersachse stößt in eine Lücke, die sie gerne offenlassen würde.

Stefan Braun

Die Kanzlerin lobt Christian Wulff. Und der strahlt, weil das Lob echt ist. So etwas hat es in der CDU lange nicht gegeben. "Christian Wulff hat bewiesen, dass Schwarz-Gelb gewinnen kann", sagt Angela Merkel zufrieden. Der Ministerpräsident habe gezeigt, dass man trotz klarer Reformschritte das Vertrauen der Menschen gewinnen könne. "Souverän" sei das und "eindrucksvoll".

Christian Wulff: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff provoziert die Kanzlerin

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff provoziert die Kanzlerin

(Foto: Foto: ddp)

So schön ist dieser Augenblick für Wulff, so befriedigend das Lob der ungeliebten CDU-Chefin, dass er es nicht lassen kann, sich danach selbst in den Himmel zu heben. "Wir haben reformiert und trotzdem gewonnen." Das mache der CDU Mut, auch bei der Bundestagswahl mit Reformpolitik zu punkten.

Wer die Schmerzen der CDU kennt in der großen Koalition, der konnte ahnen, welche Genugtuung das sein musste. Wulff, der nette Schwiegersohntyp, von der Merkel-Truppe in den vergangenen Jahren wegen seiner Geschmeidigkeit oft belächelt, hatte es allen bewiesen. Schwarz-Gelb triumphierte über Rot-Rot-Grün. Schwarz-Gelb schlägt den Rest der Welt. Süßer kann ein Sieg nicht sein.

Keine drei Monate ist diese Szene alt. Sie spielte sich ab am Tag nach Wulffs Sieg und Roland Kochs dramatischem Stimmenverlust. Wer Augen im Kopf hatte, konnte an diesem 28. Januar 2008 schon ahnen, dass Wulff Hannover als politische Bühne nicht mehr lange reichen würde.

Nur konsequent ist, was er seither vorbereitet: seine Rückkehr auf das Berliner Parkett. Erst kündigt er an, den Landesvorsitz in Niedersachsen an seinen Intimus und Fraktionschef David McAllister zu übergeben, dann speist er die Bild-Zeitung mit Infos über seine Entschlossenheit, für Schwarz-Gelb und die CDU auf Bundesebene zu kämpfen. Und schließlich präsentiert er sich in einem Interview als großer CDU-Mann für Wirtschaftsfragen.

Der 48-Jährige rückt Merkel auf die Pelle. Nicht dass er anders handeln oder reden würde als sie. Sein Wahlkampf war so, wie sie ihren gestalten möchte. Und sein jüngstes Interview hätte sie nicht anders geführt. Er will nur eines: mehr Macht.

Damit ändert Wulff die Richtung. Nach der Phase des Trotzes kommt die Phase neuen Ehrgeizes. Als Merkel im April 2000 Parteichefin wurde, gehörte Wulff zu ihren engsten Partnern. Er war es, der ihr den Andenpakt, den Männerklub aus alten Junge-Union-Tagen mit den Kochs, Müllers und Oettingers, enthüllte. Er war es auch, der ihr die unangenehme Botschaft überbrachte, dass eben diese Truppe Merkel 2002 als Kanzlerkandidatin nicht unterstützen werde. Und er war es, der mitansehen musste, wie sich Merkel nach 2002 als Fraktionschefin einen anderen Beraterkreis zusammenstellte und ihn beiseiteschob.

Einer gegen den Wahlverein Merkel

Wulff reagierte zunächst mit Frust, dann mit distanziertem Lästern, mal peinlich darauf bedacht, dies nicht öffentlich zu machen, mal sehr daran interessiert, es sie spüren zu lassen. In Erscheinung trat er nur kurz vor der jüngsten Bundestagswahl.

Als die Ersten in der CDU Tage vor dem 18. September 2005 merkten, dass Merkel baden gehen könnte, trat er mit Horst Seehofer im ZDF auf - und mit Friedrich Merz in der Bild-Zeitung. Beide hatten in Merkels Wahlkampf keine Rolle gespielt. Wulffs Botschaft: Seht her, so hätte ich das gemacht, wenn ich gedurft hätte. Für Merkel die größte Provokation von allen.

Auch seine jetzt eingeleitete Rückkehr geschieht nicht mit ihr, sondern gegen sie. Da hat es keine Absprache gegeben, da baut sich einer auf gegen ihren Willen. Und da nützt einer eine Lücke, die Merkel in zweieinhalb Jahren Kanzlerschaft nicht hat schließen können: Nach dem Abgang von Merz gibt es keinen prominenten, einflussreichen, wortgewaltigen Wirtschaftsexperten mehr.

Reaktion: Kopfschütteln

Keinen, der den Sozialpolitikern Argumente entgegenhalten könnte. "Wir haben niemanden, der den Eindruck vermittelt, dass wir als Volkspartei noch diskutieren, bevor wir über die Gesundheitsreform, die Steuerpolitik oder die außerplanmäßige Rentenerhöhung entscheiden", klagt ein prominentes Präsidiumsmitglied.

Ärger aber wird er sich einhandeln. Denn was bisher auch von der CDU-Spitze als kleine Schwäche dargestellt wurde, hat in Wahrheit Strategie. Das mussten Merkels engste Berater aus Partei, Fraktion und Kanzleramt vor wenigen Wochen erkennen. Als diese kleine Runde zusammensaß, forderte Kanzleramtschef Thomas de Maizière, man möge doch mal über Personen und Rollen reden.

Zum Beispiel über einen, den man als Wirtschaftsexperten aufbauen könnte. Reaktion der Kanzlerin: Kopfschütteln. Kommt gar nicht in Frage. "Sie will den Rücken frei haben", sagte ein Ministerpräsident aus dem Westen. "Nur so kann sie in alle Richtungen machen, was sie möchte, ohne kompetenten Widerspruch aus den eigenen Reihen zu ernten." Beispiel: die Rentenerhöhung.

Wulff attackiert zudem in einem Moment, in dem die FDP besonders empfänglich ist für christdemokratische Avancen. Während der engsten CDU-Führung um Merkel und ihren Generalsekretär Ronald Pofalla die zwar heimliche, aber heftige Freude über das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg an der Nasenspitze abzulesen ist, präsentiert sich Wulff als Siegertyp einer schwarz-gelben Regierung.

Er macht sich zum Partner für jene, die sich noch immer nach einem Bündnis mit den Freidemokraten sehnen. Das trifft die Kanzlerin an einer empfindlichen Stelle. Sie hat in die Hamburger Koalitionsverhandlungen zwar nicht eingegriffen, aber sie hat seit Monaten das Verhältnis zur wichtigsten Grünen-Verhandlungsführerin Anja Hajduk gepflegt, weil sich beide Damen sehr schätzen. Das dürfte das Verhältnis zu FDP-Chef Guido Westerwelle nicht verbessert haben. Und es lenkt den Blick auf das grundsätzlichste Problem.

Einer gegen den Wahlverein Merkel

"Wir machen keine schlechte Arbeit, aber wir haben keine klare Linie", klagt einer aus der Fraktionsführung. "Am Ende entscheidet allein Merkel." Das entspricht der Strategie der engsten Führung. Der alles entscheidende Trumpf für den Wahlkampf 2009 soll nicht ein inhaltliches Ziel sein, sondern die Kanzlerin persönlich. "Merkels Dominanz ist zwingend", berichtet einer aus ihrem engsten Kreis. "Sie muss in einem guten Licht erscheinen, dann wird das auch der CDU zum Sieg verhelfen." Konsequenz: bloß nicht zu viel über Inhalte reden.

Auf diesem Weg ist sie nach Einschätzung der eigenen Truppe weit gekommen. Die Umfragen sind gut. Selbst innerparteiliche Neider erkennen an, dass "sie in der Bevölkerung Sympathiewerte erreicht, die sonst nur dem Bundespräsidenten zustehen". Hinzu kommt, dass die Kämpfer für die alten wirtschaftspolitischen Überzeugungen des längst vergessenen Reformparteitags in Leipzig ebenso leise oder wirkungslos geworden sind wie die meisten Jungen in der Partei und die allermeisten Ministerpräsidenten.

Kein Ersatztanker mehr

Als der Chef der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, zuletzt im Spiegel gegen Merkels Kurs wetterte, entfachte er nur ein mildes Lüftchen. Als der junge CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn die Rentenerhöhung kritisierte, blieb er allein. Kein Junger traute sich, ihm zur Seite zu springen. Zu harsch ist inzwischen der Druck aus der Parteizentrale, wenn einer es wagt, zu widersprechen. Zu feige sind die Jungen geworden, die anders als früher keinen Ersatzanker zum Festhalten haben. Wenn Kohl schimpfte und drohte, konnte sich mancher beim starken Fraktionschef Wolfgang Schäuble neuen Mut holen.

Gänzlich in Merkels Hände spielt die Schwäche der Länderchefs. Sie suchen selbst ihren Kurs und haben nur noch eine schwache CSU an ihrer Seite. Als diese Woche die Unionsländer ihre Linie für den nächsten Bundesrat diskutierten, staunten die Nordrhein-Westfalen und die Sachsen nicht schlecht. Es ging um die steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare.

Dass Hamburg dafür war, konnte noch nicht überraschen. Dass aber auch das konservative Hessen es plötzlich für möglich hielt, die Niedersachsen ja sagten und die Bayern nicht blockieren wollten, hat allen gezeigt, wie sehr sich die Verhältnisse geändert haben. "Früher hätte Stoiber der Sache hier oder spätestens im Koalitionsausschuss einen Riegel vorgeschoben", sagt einer, der lange dabei ist. "Das ist erst mal vorbei, bei uns und den Bayern."

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