Christen-Prozess in Afghanistan:Unglaube als Geisteskrankheit

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Wenn im Fall Abdul Rahman der internationale Druck nicht hilft, hat der konvertierte Christ noch eine Chance: Wird bei ihm eine geistige Störung diagnostiziert, könnte er freigelassen werden. Für viele Christen dürfte diese Lösung einen üblen Beigeschmack haben.

Markus C. Schulte v. Drach

Wenn die Richter in Kabul, die das Urteil über Abdul Rahman sprechen werden, sich strikt an die Scharia halten, gibt es für den zum Christentum konvertierten Afghanen eigentlich nur noch eine Hoffnung: Statt ihn hinzurichten könnte man ihn für geisteskrank erklären - und freilassen.

Abdul Rahman droht die Todesstrafe. (Foto: Foto: AFP)

Staatsanwalt Sarinwal Samari, so berichtet die Agentur AP, hat in der afghanischen Hauptstadt bereits erklärt, in Vernehmungen sei der Eindruck entstanden, dass Rahman möglicherweise nicht voll zurechnungsfähig sei.

Und Moajuddin Baluch, ein Berater des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, bestätigte, dass der bereits vor einigen Jahren konvertierte Christ psychologisch untersucht werde. Sollte der 41-Jährige geisteskrank sein, "muss ihm vergeben werden".

Auch aus Diplomatenkreisen in Kabul war zu erfahren, dass die Diagnose einer Geisteskrankheit für die afghanischen Behörden die einfachste Möglichkeit wäre, den Prozess zu beenden, ohne religiöse Vertreter der Bevölkerung zu provozieren.

Ist dieser Weg tatsächlich der einzige, auf dem das Leben des Angeklagten Rahman zu retten ist, so sollte er beschritten werden.

Auf der anderen Seite sehen die Überlegungen der Staatsanwaltschaft und dem Umfeld Karsais aus wie der verzweifelte Versuch, sich ohne echte Lösung des Konflikts aus der Situation herauszuwinden:

Der Westen würde sich beruhigen, da es zu keiner Hinrichtung käme. Und die gläubigen afghanischen Muslime wären beschwichtigt, da der arme konvertierte Christ schließlich unter geistiger Verwirrung leidet und somit nichts für seine Verfehlung kann.

Das eigentliche Problem aber bliebe unberührt: In Afghanistan herrscht einerseits Religionsfreiheit - zugleich ist der Islam jedoch Staatsreligion und es gilt die Scharia. Das bedeutet, der Übertritt vom muslimischen Glauben zum Christentum stellt eine Art Staatsverrat dar, der mit dem Tode bestraft werden muss.

Der nächste afghanische Muslim, der sich für ein Leben als Christ entscheiden würde, befände sich also wieder in Lebensgefahr.

Für die meisten Menschen im Westen ist die Vorstellung, dass die Entscheidung zum Christentum ein todeswürdiges Verbrechen darstellen soll, überhaupt absurd. Und viele Christen dürften sie sogar als Beleidigung wahrnehmen.

Nun kommt noch dazu, dass in Kabul der Eindruck vermittelt wird, eine solche Entscheidung könnte ein Ausdruck geistiger Verwirrung sein. Christlicher Glaube als geistige Störung?

Viele Muslime erheben den Anspruch, auch Ungläubige müssten Rücksicht auf das nehmen, was der Koran den Gläubigen ge- und verbietet. Und im Westen gibt es - bei aller Intoleranz und allem Rechtsextremismus - durchaus eine relativ große Bereitschaft, dies zu tun. Das belegen die Diskussionen um die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen oder das Schächten von Tieren in Deutschland.

Die manchmal tödliche Intoleranz des islamischen Rechtssystems erschwert es jedoch erheblich, offen zu bleiben für die muslimische Forderungen nach Toleranz und Akzeptanz in Glaubensfragen. Das gilt für die Anhänger anderer Religionen als auch für jene, die einfach nur an die universelle Gültigkeit der Menschenrechte glauben.

Vielleicht gelingt es Kabul, die Hinrichtung von Abdul Rahman auf dem Umweg über eine psychiatrische Diagnose zu vermeiden und zugleich die eigenen Fundamentalisten ruhig zu halten.

Doch die Menschen im Westen - insbesondere die Christen - würden den weiteren Aufbau des Landes auch in Zukunft vermutlich weit bereitwilliger unterstützen, wenn sich Kabul darum bemühen würde, das archaische islamische Rechtssystem in Afghanistan endlich abzuschaffen.

Drohungen, die Hilfe nun einzustellen oder die Bundeswehr abzuziehen, machen derzeit trotzdem wenig Sinn: Sie helfen nur jenen Kräften, die versuchen, den real existierenden Modernisierungsprozess in Afghanistan rückgängig zu machen.

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