Christen im Nahen Osten:Im Kreuzvisier

George Bush sprach von einem "Kreuzzug" gegen den Terror - die Christen im Orient sind zu Geiseln des deshalb aufflammenden "Krieges der Zivilisationen" geworden. Dabei waren sie einmal selbstbewusste Bürger ihrer Staaten.

Rudolph Chimelli

Der Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria in der Neujahrsnacht ist nur das blutige Fanal einer Fortsetzungstragödie, deren Kapitel Diskriminierung, Auswanderung, Vertreibung und Terror heißen. Denn für die Christen des Orients bestand das erste Jahrzehnt des Jahrhunderts überwiegend aus Katastrophen.

Koptische Gemeide in Frankfurt/Main

Das Kreuz selbstbewusst zu tragen, wird für die Christen im Nahen Osten immer schwerer: Terror, Vertreibung und Diskriminierung bestimmen ihren Alltag.

(Foto: dpa)

Vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatte die Bevölkerung der Länder zwischen Mittelmeer und dem Zweistromland zu einem knappen Fünftel aus Christen bestanden. Heute sind es noch drei bis fünf Prozent. Schon vor 45 Jahren sprach Papst Paul VI. die Befürchtung aus, dass die Heiligen Stätten durch das Verschwinden der Christen zu Museen würden.

Auf Arabisch heißt Ägypten Misr. Der alte, von den Griechen übernommene Name des Landes überlebt nur in den Konsonanten der Bezeichnung für die Kopten. Wie die anderen Kirchen des Morgenlandes sind sie kein Implantat des Kolonialismus, kein Ergebnis von Mission. Sie waren da, ein halbes Jahrtausend bevor der Islam kam, und lange bevor Europa christlich wurde.

Trotz Eifersucht und Reibereien funktionierte das Zusammenleben am Nil bis in die jüngere Zeit. Es gab einmal einen koptischen Premierminister. Ägyptens bekanntester Diplomat war der Kopte Boutros Boutros-Ghali. Der erste Ägypter, der im Krieg von 1973 seinen Fuß auf den israelisch besetzten Sinai setzte, war ein koptischer General.

Auch anderswo waren die Christen keineswegs isoliert. Der Gründer der panarabischen Baath-Partei, die theoretisch bis heute Syrien regiert, war der Orthodoxe Michel Aflak. Schon die Vordenker des arabischen Nationalgedankens und der Renaissance arabischer Sprache waren libanesische und syrische Christen gewesen. Saddam Husseins Makler für Internationales war Tarik Asis, ein chaldäischer Katholik aus Mossul.

Hunderttausende flohen ins Ausland

Nirgends ging es den christlichen Konfessionen besser als im laizistischen Irak vor dem amerikanischen Einmarsch. Nirgendwo sind sie heute stärker verfolgt. Mehr als 2000 kamen durch Anschläge islamischer Fanatiker ums Leben. Hunderttausende flohen in den Norden des Landes oder ins Ausland. Bagdad ist von Christen weitgehend entleert. Tausende haben sich in die Ebene von Ninive am Tigris gerettet. Sie bilden dort heute eine Mehrheit unter dem Schutz einer Miliz, die von einem kurdisch-christlichen Minister bezahlt wird.

Doch diese Kuriosität verblasst gegenüber der Massenauswanderung, die längst auch aus dem Libanon, aus Palästina und aus Ägypten im Gange ist. Die wirtschaftliche Lage, politische Instabilität, Konflikte, Bürgerkrieg aber auch die Hoffnung auf bessere Ausbildung sind die Triebkräfte. Allein eineinhalb Millionen Kopten sind binnen zehn Jahren in die USA und nach Kanada gegangen.

Bush, der Rekrutierungshelfer al-Qaidas

Als Amerikas Präsident George W. Bush bei der Ausrufung seines Krieges gegen den Terror von "Kreuzzug" sprach, legte er eine Saat, deren bittere Früchte die Christen des Orients jetzt ernten. Das unselige Wort wurde zwar rasch aus dem Verkehr gezogen, aber anderswo ist es unvergessen, zumal al-Qaida die Gestalter westlicher Politik immer "Kreuzzügler" genannt hatte. Ein britischer Botschafter nannte Bush damals den besten Rekrutierungs-Sergeanten für al-Qaida.

Die Europäer in ihrer Mehrheit haben sich von der politischen Seite ihres christlichen Erbes abgewandt. Ihnen ist schwer verständlich, dass Kurzschlüsse recht einfach zustande kommen: Für Islamisten und ungezählte simple Gemüter sind die Kriegführenden der anderen Seite "christliche Staaten".

Der Bewegungsspielraum verengt sich

Krieg der Zivilisationen wird hier nicht als Gedankenspiel, sondern als Realität empfunden. Jede Rakete, die Glaubenskrieger wie zivile Opfer trifft, ist für Mitleidende ein Terrorakt, der Rache fordert. Die Christen des Orients sind zu Geiseln solcher Gefühle geworden. In Amerika, wo christlicher Fundamentalismus eine formende Kraft außenpolitischer Entscheidungen sein kann, müsste solche Logik leichter verständlich sein.

Im toleranten Marokko werden evangelikale Missionare ausgewiesen, weil Bekehrungsversuche an Muslimen verboten sind. Malaysische Christen müssen sich das Recht auf den Gebrauch des Wortes "Allah" gegen muslimische Eiferer gerichtlich erstreiten. Algerier, die heimlich Christen werden - wie anderswo nicht zuletzt in der Hoffnung, die Auswanderungschancen zu verbessern - handeln sich Schikanen ein. Die winzige Minderheit der Christen in der laizistischen Türkei hat Schwierigkeiten, neue Kirchen zu bauen. Auch wo Gewalt selten ist, werden die Gesellschaften islamischer. Entsprechend verengt sich der Bewegungsspielraum für Christen.

Der Sonderfall ist Iran. Seine 300.000 Armenier, Assyrer und Chaldäer haben keinerlei Schwierigkeiten. Sie schicken sogar drei Abgeordnete ins Parlament. Erst allmählich nehmen die Kirchen wahr, dass es in der gefährdeten Region eine Gegenbewegung gibt. Aus Asien und Afrika sind 3,5 Millionen Christen in den Nahen Osten zugezogen, vorwiegend in die Länder am Golf. Bereits besteht ein Vikariat mit 60 Priestern für zweieinhalb Millionen Gläubige in sechs Staaten. Aber der historische Niedergang des Christentums in seinen Ursprungsländern ist damit nicht aufzuhalten.

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