Christen im Irak:Der Glaube versetzt in Angst

Weil sie verfolgt, vertrieben und ermordet werden, will Deutschland irakische Christen aufnehmen. Doch die Bischöfe der Chaldäer und Assyrer sehen wenig Heil im Exodus.

Tomas Avenarius

Goldgelb strahlen die Äcker, braunrot bricht die Erdkrume auf in der sengenden Hitze, im Sonnenlicht blinkt das Turmkreuz der Sankt-Georg-Kirche. Landleben, südländische Idylle, Toskanafarben. Nur dass das Leben in Tina härter ist als in Italien. Härter und hoffnungsloser.

Christen im Irak: Erst erpresst, dann getötet: Chaldäer im Nordirak trauern um Bischof Paulos Faraj Rahho, der ein Opfer der gezielten Gewalt gegen Christen wurde

Erst erpresst, dann getötet: Chaldäer im Nordirak trauern um Bischof Paulos Faraj Rahho, der ein Opfer der gezielten Gewalt gegen Christen wurde

(Foto: Foto: AFP)

"Wir haben alles verloren, was wir hatten", sagt Slivo Isa Yaqub. "In Bagdad war ich ein angesehener Hotelmanager. Wir hatten zwei Häuser. Hier bin ich Bauer, obwohl ich von Landwirtschaft nichts verstehe."

Der irakische Christ sitzt in seinem Wohnzimmer in dem Dörfchen Tina, neben sich auf der Stickdeckchen-behängten Couch hat er Patros Ishaq Patto, den Bürgermeister des Christendorfes. Schon die Namen der Christen klingen fremd im islamisch geprägten Irak. Dazu wacht von der Zimmerecke aus die Gottesmutter Maria über die Szene, in billigem Öl gemalt, in Plastikgold gerahmt.

Wer aus dem Fenster blickt, sieht die Bergzüge der irakisch-türkischen Grenze aufsteigen - es sind vielleicht 50 Kilometer bis dorthin. Yaqub schaut kurz zum Bürgermeister Patto hinüber, dann beugt er sich vor und sagt: "Die Bischöfe in der Stadt haben gut reden von einer Zukunft für uns Christen im Irak. Unser Bischof war noch nicht ein einziges Mal bei uns in Tina."

Geflohen vor Verfolgung und Mord

Zu Besuch bei den irakischen Christen, in einem ihrer Dörfer im irakischen Kurdistan. Hierhin und in die anderen umliegenden Dörfer der Amediya-Region sind sie geflohen vor Verfolgung und Mord, aus den irakischen Großstädten Bagdad, Mossul oder Basra.

Seit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgeschlagen hat die irakischen Christen nach Deutschland zu holen, interessiert sich Europa für das Schicksal der wenigen noch im Zweistromland verbleibenden Chaldäer und Assyrer: Die Chaldäer sind die irakischen Katholiken, die Assyrer syrisch-orthodoxe Christen, die bis heute im Gottesdienst aramäisch - und damit die Sprache Jesu - gebrauchen.

Spätestens die Entführung und Ermordung des chaldäischen Bischofs Paulos Faraj Rahho im Frühjahr hat gezeigt, wie gefährdet die christliche Minderheit im Kriegsland Irak ist. Der Bischof war mit Mord bedroht worden. Jahrelang hatte er seinen Al-Qaida-Erpressern Geld aus der Kollektenkasse bezahlt: Geld, mit dem offenbar der Untergrundkrieg gegen die Amerikaner und der Terror gegen Christen und Muslime im Irak mitfinanziert wurde. Als der Bischof aufhörte zu zahlen, musste er sterben.

Deutschland und Europa sollten wegen ihrer besonderen Verantwortung als Christen die leidenden Glaubensbrüder aufnehmen, hatte Schäuble gefordert. Von den anderen Verfolgten im Kriegsland wollte der deutsche Minister anfangs nicht viel wissen: den ebenso wegen ihrer Religion verfolgten Schiiten und Sunniten, den Angehörigen der kleinen Minderheiten der Yesiden und der Mandäer oder anderer Gruppen aus dem Jahrtausende alten irakischen Baukasten der Völker, Religionen und Ethnien.

Möglicherweise war der Christdemokrat Schäuble einem Reflex auf das C im Namen seiner Partei gefolgt angesichts der Berichte über das Leid der Christen. Möglicherweise war dem Minister aber auch an einem populären Medienthema gelegen, wie ein Pro-Asyl-Vertreter sagte, der einen "populistischen und islamophoben Unterton" erkannt haben wollte.

So einfach, wie es sich der Berliner Politiker Schäuble zunächst vorgestellt hatte, ist es im Irak tatsächlich nicht, sieht die Welt auch in Tina nicht aus. Nicht nur die Christen haben ein furchtbares Schicksal. Das Land hat 26 Millionen Einwohner, von denen ziemlich viele leiden: Sunniten und Schiiten, Araber, Kurden, Assyrer, Turkmenen, und, und, und.

Schäuble hat deshalb vom christlichen Exklusivanspruch längst Abstand genommen und will Deutschland und Europa nun auch für andere verfolgte Minderheiten aus dem Irak öffnen. Das Thema hatte zuvor bereits weite Kreise gezogen: Christliche Organisationen meldeten sich zu Wort, eine Delegation von Unions-Parlamentariern befragte aus dem Irak geflohene Christen in Syrien und Jordanien. Und vor allem die Fachleute vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR übten Kritik an Schäubles ursprünglichem Vorschlag: Die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen müsse das entscheidende Aufnahmekriterium sein, nicht ihre Religion.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die irakischen Christen auf Schäubles Vorschlag reagiert haben.

Der Glaube versetzt in Angst

In diesen Tagen reist nun eine Delegation irakischer Bischöfe und Politiker nach Berlin, Brüssel, Paris und Rom: Aus der Schäuble-Initiative ist längst ein gesamteuropäisches Anliegen geworden, die EU soll im Herbst entscheiden, Aufnahme soll Vertretern aller besonders gefährdeten Gruppen des Irak angeboten werden. Irgendwo im manchmal schrillen Chor der Hilfsangebote klingt aber doch immer wieder der Ruf durch nach exklusiver Hilfe für Christen: Berlin wolle schon "im Vorgriff" auf eine angestrebte europäische Lösung handeln und vor allem irakische Christen aufnehmen, sagte Innenstaatssekretär Peter Altmaier jüngst.

Wer bewahrt das Erbe?

Und die Christen im Irak - was sagen die? Im Priesterseminar in Ainkawa nahe der nordirakischen Metropole Erbil herrscht an diesem Vormittag klerikaler Hochbetrieb. Der Speisesaal quillt über von Geistlichen, das Schwarz der Bischofsroben mit dem Purpurbesatz und den goldenen Brustketten beißt sich mit dem grellen Gelb der Plastiktischdecken. Das gemeinsame Priesterseminar der Chaldäer und Assyrer feiert den Abschluss des Lehrjahres, mit goldenen Bischofsringen bewehrte Hände greifen nach Reis in Weinblättern und gebratenen Hühnerbeinen.

Weit zu reisen hatten die Gottesmänner nicht: Vertrieben von sunnitischen Al-Qaida-Fanatikern, schiitischen Milizionären oder nur am Lösegeld für ihre Opfer interessierten Kriminellen leben die wenigen im Irak gebliebenen Christen meist im Nordirak bei den Kurden. Die Mehrheit der irakischen Christen ist ohnehin in den Nachbarländern Syrien, Jordanien oder der Türkei.

Doch von einem Exodus nach Europa halten die Priester in Ainkawa wenig: "Wenn wir verbliebenen Christen jetzt auch noch fliehen, sterben 2000 Jahre Christentum. Dann geht das christliche Erbe erst im Irak und dann im Nahen Osten verloren", sagt Bischof Rabban al-Kas. Der chaldäische Bischof steht den Diözesen von Erbil und Dohuk vor, er ist der Gastgeber im Speisesaal des Priesterseminars. An Schäubles Angebot lässt er kein gutes Haar: Der Vorschlag sei "gefährlich und falsch".

Man solle lieber der irakischen Regierung und der US-Armee helfen, das Land endlich sicherer zu machen: "Auch andere im Irak leiden unter dem Terror. Seien es muslimische Araber oder die Kurden oder die kleinen Minderheiten." Und dann sagt der Bischof: "Ja, es gab Terror islamischer Radikaler gegen Christen. Aber eine gezielte ethnische Säuberung gegenüber den Christen im Irak gibt es nicht."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es den Christen im Irak unter Saddam Hussein erging.

Der Glaube versetzt in Angst

Starke Worte. Fakt ist: Die Christen werden verfolgt. Doch ob es immer nur darum geht, dass sie Christen sind, oder ob ihr Leid nur eine einzelne Facette der gesamtirakischen Tragödie ist, lässt sich schwer sagen. Schon die Zahlen sind verwirrend: Zuverlässige Statistiken gibt es keine. Zwar behauptet Bischof al-Kas, es gebe noch immer gut 550.000 Christen im Irak.

Mittlerrolle im Land

Andere aber sind da skeptischer: Es habe schon in den neunziger Jahren unter dem Diktator Saddam Hussein weniger als eine Million Christen im Irak gegeben, sagt der Nahostkenner Otmar Oehring, Menschenrechtsbeauftragter beim katholischen Hilfswerk Missio, unter Verweis auf die aktuellen Flüchtlingszahlen. "Im ganzen Irak gibt es heute vielleicht noch zwischen 350.000 bis maximal 500.000 Christen", sagt auch Louis Sako, chaldäischer Erzbischof von Kirkuk.

Sako, der im Speisesaal seinem Amtsbruder al-Kas gegenüber sitzt, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er die kleinere Zahl für die treffende hält. Auch Sako sagt, dass die Christen besser bleiben sollten: "Eine Kirche in der Diaspora ist keine Kirche mehr." Zudem gehe es um weit mehr als nur um die Christen, sagt der Priester. Es gehe um den ganzen Irak: "Wir Christen haben eine Mittlerrolle im Land. Christliche Werte wie Toleranz und Dialog können helfen, das Land zu versöhnen. Diese Werte müssen wir unseren muslimischen Brüdern anbieten."

Erste Wellen irakischer Christen hatten ihre Heimat schon unter Saddam Hussein in den neunziger Jahren verlassen. Saddams Herrschaft war zwar eine Diktatur, aber sie war säkular - und Saddams bekanntester Minister Tarik Aziz sogar ein Christ. Erst mit Kriegsbeginn 2003 begannen Flucht und Verfolgung aus dem Irak auf breiter Front: Nach Jordanien und Syrien oder in den Nordirak, wo die Christen von den dort herrschenden Kurden geduldet werden.

Was frühere christliche Zentren im Irak angeht wie etwa die Hauptstadt Bagdad: Dort ist kaum einer geblieben, der beim Gebet das Kreuz schlägt. Wer in der Nähe des früheren Babylon-Priesterseminars an die eiserne Kirchentüre klopft, dem öffnet ein altes, bärtiges Männchen: Orha Dokha hatte sich in den schlimmsten Zeiten versteckt gehalten und ist einer der ganz wenigen Christen, die noch in Bagdads früherer Christenhochburg Dora anzutreffen sind.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Vatikan sich Sorgen um einen Domino-Effekt macht.

Der Glaube versetzt in Angst

Der 83-Jährige sagt: "Ich wollte auf unsere Kirche aufpassen. Die Nachbarn haben mich geschützt." Dass er noch lebt, hat er wohl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass sich gegenüber im Priesterseminar eine Kompanie US-Soldaten einquartiert hat.

Auch wenn insgesamt schon zwei Millionen Iraker aller Konfessionen und Ethnien aus ihrem Land geflohen sind, fast ebenso viele innerhalb des Irak auf der Flucht sind, und die irakische Tragödie das größte Flüchtlingsproblem des Nahen Ostens seit dem Palästinakrieg von 1948 darstellt: Das Schicksal der Christen beschäftigt natürlich auch die Kurie in Rom.

Im Vatikan mache man sich Sorgen um einen "Dominoeffekt", sagt Missio-Mann Oehring, der dort mit Verantwortlichen gesprochen hat. Was werden die Christen in Syrien, Jordanien und den Palästinensergebieten machen, wenn die Iraker nach Europa fliehen? Wird das irakische Beispiel Schule machen in Zeiten, in denen der Islam in seinen orthodoxen und militanten Formen erstarkt quer über den Nahen und Mittleren Osten?

Auf gepackten Koffern

Oehring sagt: "Von der Idee her sitzen natürlich alle Christen in der Region auf gepackten Koffern." Er versteht die Bedenken der Kurie. Aber er ist auch Realist. Niemand könne die bedrohten Christen zwingen im Irak zu bleiben. Man solle das Problem "mit einem Dreistufenmodell" angehen. "Erstens - helft den Christen im Irak, wo immer und solange es irgend geht. Zweitens - helft ihnen politisch und finanziell in den Nachbarländern, in die sie geflohen sind.

Sie brauchen in Syrien und Jordanien Zugang zu Schulen, das Recht auf Arbeit, einen rechtlich sicheren Status. Und drittens - denen, die wirklich keine Rückkehrperspektive haben, muss die Tür offen stehen. Sei es in Deutschland, in der EU, in den USA." Das verstehe man auch in Rom.

Im Christendorf Tina im nordirakischen Hügelland aber sieht alles viel klarer und einfacher aus: "Was haben unsere Kinder für eine Zukunftsperspektive?", fragt Slivo Isa Yaqub, der frühere Hotelmanager. "Es gibt hier keine Arbeit, wir leben vom Ersparten. Wir Alten können ja gerne bleiben. Aber die Jungen, die sollen gehen." Und die alte christliche Kultur im Irak, die Kirche, die aramäische Sprache? "Unsere Kultur und unsere Sprache können unsere Kinder auch im Ausland pflegen", sagt Yaqub. "Sie tragen unsere Kultur im Herzen."

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