Christdemokraten und der künftige Bundespräsident:Gauck kam, sprach - und eroberte die CDU

Joachim Gauck wirbt nach dem Krach bei Schwarz-Gelb um Zustimmung bei den Parteien. Den Anfang machte das künftige Staatsoberhaupt bei der CDU in Nordrhein-Westfalen. In nur zwei Stunden hat er die Christdemokraten für sich vereinnahmt. Allerdings gibt es anderswo noch eine gewisse Erregung über sein Privatleben - und über einen Tiervergleich von FDP-Chef Rösler.

Joachim Gauck kam, sprach und eroberte die Christdemokraten im Sturm. Im niederrheinischen Hamminkeln beeindruckt der 72-jährige einstige Pfarrer am Samstag den Landesverband Nordrhein-Westfalen der CDU. Keine Selbstverständlichkeit, denn noch vor einer Woche wollte die Partei von Kanzlerin Angela Merkel den früheren DDR-Bürgerrechtler nicht. Nach dem Schwenk der Parteichefin, die auf Druck des kleinen Koalitionspartners FDP nachgab, scheint es manchem Christdemokraten nun geradezu gut zu tun, sich offen begeistert von Gauck zeigen zu können.

Gauck bei CDU-Tagung

Gauck bei CDU-Tagung in Hamminkeln: "Ich werde  nichts darüber sagen, was ich vorhabe und schon gar nicht, was ich für ein toller Typ bin."

(Foto: dpa)

Seine Tour durch die Parteien begann bei der nordrhein-westfälischen CDU. Dort lobte man ihn kurz danach als "authentisch", "herausragend", "glaubwürdig". Der Parteilose kann auf Unterstützung der CDU in NRW bauen, wenn am 18. März die Wahl der Bundespräsidenten ansteht, soviel ist klar. "Es hat einen wirklich starken Eindruck gemacht, was Joachim Gauck hier heute gesagt hat", fasst NRW-Landeschef Norbert Röttgen, der auch Bundesumweltminister ist, das zweistündige Treffen zusammen. Der Kandidat habe einen großen Teil seines Lebens in einer Diktatur gelebt und könne der westdeutschen Gesellschaft die Augen öffnen und Wertschätzung beibringen, wenn er von Freiheit, Marktwirtschaft oder Wohlstand rede, meint Röttgen. Gauck verstehe es "meisterhaft", das "besondere Kapital seiner Lebensbiografie" zu vermitteln.

Zurückgeschaut hat man im Dörfchen Hamminkeln-Marienthal lieber nicht. Das Gezerre um die Nominierung Gaucks soll die Beziehung zwischen Partei und Kandidat nicht belasten. 2010 hatte sich die CDU für ihren - vor einer Woche zurückgetretenen - Parteifreund Christian Wulff ausgesprochen und damit gegen Gauck. Auch diesmal wollte Merkel eigentlich lieber einen CDU-Politiker.

"Egal wie die Umstände kurz vor der Nominierung waren, es ist gut, ihn jetzt zu wählen. Und wir wählen ihn (...), weil wir ihn wollen", sagt der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann. "Was er gesagt hat und wie er es gesagt hat, hat mich tief beeindruckt." Auch sein Vize Armin Laschet sagt am Rande der Tagung: "Ich werde ihn wählen, aus Überzeugung." Es sei keinerlei Fremdeln unter den CDUlern in NRW gegenüber Gauck zu spüren.

Nach Aussage von Peter Hintze, Vorsitzender der Landesgruppe NRW in der CDU/CSU-Fraktion, fühlen sich viele in der Union von Gauck verstanden, er habe sie "emotional und politisch gut angesprochen."

Vor der Presse zeigt sich Gauck dagegen weiter wenig redselig. Nach der Gesprächsrunde sagte er immerhin ganz kurz, man habe sich gut angenähert. Inhaltlich äußert er sich nicht. "Sie können davon ausgehen, dass ich nicht nur Ihnen, sondern auch anderen Journalisten in den nächsten Wochen nichts über diese ganze Kalamität mit dem Präsidentenamt sagen werde", sagt er und lächelt er in die vielen Kameras. "Ich werde auch nichts darüber sagen, was ich vorhabe und schon gar nicht, was ich für ein toller Typ bin. Das können Sie vergessen." Erst nach seiner Wahl in drei Wochen will er verraten, wofür er als erster Mann im Staate steht.

Weiter Erregung über Gaucks Privatleben

Allerdings gibt es noch immer ein wenig Erregung über sein Privatleben. So zeigte der frühere Bundeswirtschaftsminister Michael Glos Verständnis für die Forderung seines Parteifreundes Norbert Geis, Gauck solle seine "persönlichen Verhältnisse" so schnell wie möglich ordnen. CSU-Mann Glos sagte am Sonntag im Bayerischen Fernsehen, es müsse zwar "jeder selber wissen, wie er lebt und an welche Regeln er sich hält". Aber ein Bundespräsident habe "ein Stück Vorbildfunktion". Glos fügte hinzu, in Deutschland sei es "immer noch das Normale", dass es die Ehe und Familie und dadurch "eine gewisse Ordnung" gebe. Gauck lebt getrennt von seiner Ehefrau Gerhild, ist aber nicht geschieden. Seit dem Jahr 2000 ist er mit der Journalistin Daniela Schadt liiert.

Auch Schadt selbst meldete sich zu Wort: Künftig will sie nicht mehr als Journalistin arbeiten und sich stattdessen neuen Aufgaben in Berlin zuwenden. "Es gibt aber noch keine konkreten Entscheidungen. Ich weiß im Moment noch nicht so genau, wie es weiter geht", sagte die 52-Jährige der Nachrichtenagentur dpa. Die Situation sei einfach noch so neu für sie.

Schadt, die bisher bei der Nürnberger Zeitung als Leitende Politikredakteurin beschäftigt war, lebt seit rund zwölf Jahren mit Gauck zusammen. Nach ihren Informationen sei es wohl kein Problem, wenn die Frau an der Seite des Bundespräsidenten einen Beruf ausübe, sagte sie weiter. "Es gibt keine in der Verfassung vorgesehene Aufgaben für die First Lady. Man kann das als Partnerin des Staatsoberhaupts also so oder so handhaben."

Verhalten der Linkspartei umstritten

Der frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde soll am 18. März als Nachfolger für Christian Wulff von der Bundesversammlung in das höchste Staatsamt gewählt werden. An diesem Montag wird er bei den Vorstandssitzungen von CDU und SPD erwartet. Später will er die Fraktionen besuchen. Auch einem Gespräch mit der Linkspartei, die seine Kandidatur ablehnt, wird er sich seinem Sprecher zufolge nicht verweigern.

Parteichef Klaus Ernst hat Gauck für die nächsten Tage zu einem Gespräch eingeladen. Die Linke war von Merkel als einzige im Bundestag vertretene Partei von der Suche nach einem Konsens-Kandidaten ausgeschlossen worden. An diesem Montag will die Linke einen eigenen Kandidaten nominieren. Die Parteiführung hat die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, den Kölner Politik-Professor Christoph Butterwegge und die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen zur Auswahl.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der der Linkspartei unterdessen vor, Gauck wegen seiner früheren Tätigkeit als Stasi-Akten-Beauftragter abzulehnen. "Es gibt in der Linkspartei immer noch viel versteckte Sympathie für die untergegangene DDR", sagte Gabriel der Welt am Sonntag. "Da sind viele Betonköpfe, die Stasi-Aufklärung unanständig finden." Die Linke selbst begründet ihre Ablehnung Gaucks mit dessen Haltung zu aktuellen politischen Fragen. Sie wirft ihm soziale Kälte, Sympathie für die Integrationsthesen von Thilo Sarrazin und die Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr vor.

Gauck-Vertrauter soll Bundespräsidialamt leiten

Inzwischen scheint Gaucks Team für Schloss Bellevue Gestalt anzunehmen. Zeitungsberichten zufolge soll der Oberkirchenrat David Gill, ein Vertrauter Gaucks, das Bundespräsidialamt leiten. Der in der damaligen DDR geborene Gill war erster Pressesprecher der "Gauck-Behörde" zur Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen. Gill war selbst im Gespräch als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, als Nachfolger der Gauck-Erbin Marianne Birthler. Am Ende übernahm aber Roland Jahn den Chefposten der Behörde.

Gill ist zurzeit Stellvertreter des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung und der Europäischen Union. In diesem Amt ist er unter anderem für juristische Fragen des Staatskirchenrechts, des Europa-, Sozial- und Steuerrechts zuständig.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für den Focus wünschte sich jeder zweite Bundesbürger, dass sich Gauck in seiner Amtszeit verstärkt zum Thema der sozialen Gerechtigkeit äußere. 21 Prozent wollten als Schwerpunkt den Zustand des Kapitalismus, elf Prozent die Integration von Ausländern und sieben Prozent die Vollendung der deutschen Einheit. Freiheit - ein Kernthema Gaucks - wünschen sich der Umfrage zufolge acht Prozent der Bürger als Themenschwerpunkt.

Röslers Frosch-Vergleich

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erwartet von einer Präsidentschaft Gaucks positive Auswirkungen auf das Bild Deutschlands im Ausland. Gauck werde ein Bundespräsident sein, "der mit seiner Freiheitsvita das Ansehen Deutschlands auch international mehren wird", sagte Westerwelle dem Tagesspiegel aus Berlin. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte der Bild am Sonntag: "Ich wünsche mir einen Bundespräsidenten, der pointiert Position bezieht und gesellschaftliche Diskussionen auslöst. Das kann nicht schädlich sein für unser Land."

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, die Koalition sei nach der Kür von Gauck geschwächt. Der Streit zwischen FDP und Union sei "bei weitem nicht zu Ende". "Frau Merkel wird lange übel nehmen, dass ihr Koalitionspartner ihrem Veto gegen Gauck nicht gefolgt ist", sagte Steinmeier im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass die "Spannungen wieder größer werden", erklärte der SPD-Politiker. Es gebe mehr "Dynamik in den Koalitionsstreitigkeiten" als in der Zeit um Weihnachten. Steinmeier schloss jedoch aus, dass es zu Neuwahlen kommen könnte.

Tatsächlich sorgt besonders das Auftreten von FDP-Chef Philipp Rösler nach der Kür von Gauck beim Koalitionspartner CDU/CSU weiter für Unmut. So verteidigte Seehofer Rösler in der Bild am Sonntag zwar gegen Kritik, andere Unionspolitiker wollen das Thema aber nicht zu den Akten legen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, forderte hingegen im Magazin Spiegel, "die Frage des anständigen Umgangs in der Koalition" auf die Tagesordnung des Koalitionsausschusses am kommenden Sonntag zu setzen. Und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt dem Magazin, die FDP müsse sich überlegen, "ob ihr Verhalten in Ordnung war".

In der Union sorgten einem Bericht zufolge auch Äußerungen Röslers in der ZDF-Talkshow Lanz am Donnerstagabend für schlechte Laune. Röslers Auftreten solle aus Sicht der CDU-Spitze "ein politisches Nachspiel" haben, berichtete die Bild-Zeitung unter Berufung auf hohe Parteikreise. Rösler hatte in seiner Rede auf dem FDP-Parteitag in Rostock 2011 mit einem Gleichnis den schleichenden Verlust von Freiheitsrechten erläutert: "Wenn Sie einen Frosch in kaltes Wasser setzen und dann langsam die Temperatur erhöhen, wird er zuerst nichts merken und nichts machen. Und wenn er etwas merkt, dann ist es zu spät für den Frosch."

Lanz fragte Rösler in der Sendung, wann Merkel bei den Verhandlungen über die Präsidentschaftskandidatur gemerkt habe, "dass sie der Frosch ist". Rösler antwortete, "schätzungsweise in der Telefonschaltkonferenz des CDU-Präsidiums". Regierungssprecher Steffen Seibert kommentierte dies am Freitag mit den Worten: "Tiergleichnisse sind denkbar ungeeignet zur Beschreibung des Verhältnisses der Kanzlerin zu ihrem Vizekanzler".

FDP-Vize Holger Zastrow zeigte sich von der Kritik unbeeindruckt. "Die Zeiten, in denen wir alles ängstlich abgesegnet haben, sind vorbei", sagte er dem Focus. Der FDP-Spitzenkandidat für die Wahl in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, sagte der BZ am Sonntag: "Die FDP hat tatsächlich ein neues Selbstbewusstsein zurückgewonnen".

In den Umfragen kann die FDP bislang nicht davon profitieren, dass sie sich in der Personalfrage Gauck gegen Merkel durchsetzte. Die Liberalen verharrten im Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die Bild am Sonntag mit drei Prozent auf dem Wert der Vorwoche.

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