Chinas starker Mann:Der rote Kaiser

Vor fünf Jahren trat Xi Jinping an, die krisengeschüttelte KP zu retten. Deren Herrschaft hat er vorerst gesichert - und seine noch dazu: Er gilt als mächtigster Führer seit Staatsgründer Mao Zedong.

Von Kai Strittmatter

September 27 2017 Beijing China A general view of memorabilia and images of Mao Zedong and Xi

"Steuermann der Partei": KP-Chef Xi Jinping wird inzwischen verehrt wie Staatsgründer Mao - Aufnahme in einem Pekinger Souvenirshop.

(Foto: Artur Widak/imago/ZUMA Press)

Ein "Visionär" sei er ohne Zweifel, dieser Xi Jinping, befindet der Parteichef der Provinz Xinjiang. "Er hat den Sozialismus gerettet", sagt ehrfürchtig ein hoher Finanzbeamter. Ein Delegierter aus der Nordost-Provinz Jilin gibt zu Protokoll, Xis Rede habe ihn so begeistert, "ich wäre beinahe auf die Bühne gesprungen!" Und der Parteichef derselben Provinz sagt tatsächlich: "Generalsekretär Xi Jinping ist der Steuermann der Partei." Der Steuermann. Das sagt keiner so dahin in China. So haben sie in diesem Land zuletzt Mao Zedong genannt.

Chinas Kommunistische Partei kürte am Dienstag ihren Parteichef Xi Jinping endgültig zum mächtigsten Führer seit Mao Zedong. Die KP nimmt Xi als politischen Denker nun namentlich in ihre Parteiverfassung auf, mehr an Unsterblichkeit geht nicht im kommunistischen Pantheon. Am Dienstag stimmten die fast 2300 Delegierten des Parteitags der KP in Peking dafür, ohne Gegenstimme. Als der Wahlleiter nach Gegenstimmen fragte, da gab es einen Moment Stille. Dann rief einer "Keine!" in den Saal, und dann noch einer: "Keine!" Und plötzlich fand der Ruf in all dem Xi-Überschwang noch mehrfach sein Echo. Von nun an wird das "Xi-Jinping-Denken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära" als politische Theorie die Parteiverfassung zieren.

Anders als Mao war Xi Jinping nie wirklich als politischer Denker aufgefallen - der Schritt ist also ein symbolischer, dennoch ist er von enormer Bedeutung. Xi ist nach Mao Zedong und Deng Xiaoping erst der dritte KP-Führer, der es mit seinem Namen in die Parteiverfassung schafft. Und er ist nach Mao erst der zweite, dem diese Ehre noch zu Lebzeiten zuteil wird. Xis Vorgänger Jiang Zemin (mit den "Drei Vertretungen") und Hu Jintao (mit der "Wissenschaftlichen Entwicklungsperspektive") hatten es zwar ebenfalls mit einer von fleißigen Parteizuträgern zusammengeschusterten "Theorie" in die Verfassung geschafft - ihre Namen allerdings werden dort nicht erwähnt. Deng, den Architekten der Reform- und Öffnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, verewigte die Partei mit der "Deng-Xiaoping-Theorie". Dass die KP Xi Jinping nun dagegen die gleiche Formulierung angedeihen lässt wie einst dem Staatsgründer Mao (Schöpfer des "Mao-Zedong-Denkens") ist erstaunlich.

Die Repression hat er verschärft. Versprochene Reformen in der Wirtschaft aber kamen nie

In seiner kurzen Ansprache am Dienstag sah man erneut einen selbstbewussten Xi Jinping. Er sprach von der "dynamischen Führung" der Partei und von der "Macht und der Vitalität des sozialistischen Systems": "Heute leben wir, mehr als 1,3 Milliarden Chinesen, in Jubel und Würde. Unser Land leuchtet vor enormer Dynamik. Unsere chinesische Zivilisation strahlt vor Pracht und Herrlichkeit." Xi gratulierte damit natürlich erneut sich selbst. Und tatsächlich hat er in nur fünf Jahren Erstaunliches vollbracht.

Bei seinem Amtsantritt 2012 war die KP in einer tiefen Krise: von Korruption zerfressen, in Fraktionen gespalten und ideologisch orientierungslos. Der am Dienstag zu Ende gegangene Parteitag zeigte, welch Macht Xi in diesen fünf Jahren auf sich vereinen konnte. Angetreten war er einst mit der klaren Ansage, die KP zu retten und ihre Herrschaft für die Zukunft zu sichern. Er ging daran, Partei und Nation zu disziplinieren, führte eine beispiellose Antikorruptionskampagne an und verschärfte die Repression Andersdenkender. Die kurz nach seinem Amtsantritt versprochenen Reformen im Wirtschafts- und Finanzsektor setzte Xi zur Enttäuschung vieler dagegen nie um. Tatsächlich beklagen ausländische Unternehmer und westliche Wissenschaftler die zunehmende Abschottung Chinas unter Xi.

"Der Westen ist im Abstieg, und China steigt auf. Davon sind hier viele überzeugt."

In seiner Rede zu Beginn des Parteitags vergangene Woche hatte Xi angekündigt, sein Land werde bald im Zentrum der Weltbühne stehen. Eine zentrale Parole Xis ist der "chinesische Traum", der Traum vom Wiederaufstieg Chinas. China soll sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seine aus Sicht der KP-Führung angestammte Rolle in der Welt zurückholen. Es ist der Platz an der Spitze der Nationen. Xi spricht oft vom "Fenster der Gelegenheit", das für China gerade offenstehe. Der erratische US-Präsident Donald Trump hat zu Pekings Freude dieses Fenster noch weiter aufgestoßen. "Der Westen ist im Abstieg, und China steigt auf", sagt ein Pekinger Akademiker: "Davon sind hier viele überzeugt." Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb am Dienstag, China steige nun auf "wie niemals zuvor". Zwei Jahrhunderte "Schmerz und Demütigung" kämen zu ihrem Ende. Dank Xi. Die Xi-Jinping-Gedanken seien "der neue Kommunismus", schwärmt Xinhua. China sei nun außerdem "stark genug und willens, mehr beizutragen zum Los der Menschheit. Die neue Weltordnung wurde lange genug vom Kapitalismus und vom Westen dominiert, die Zeit für einen Wandel wird kommen."

Und was genau ist dieses Xi-Jinping-Denken? Im Volk kratzen sich die meisten noch am Kopf. "Das verstehe ich jetzt auch nicht so genau", sagt eine 73-jährige Rentnerin namens Li: "Aber ich fühle, dass Xi ein guter Führer ist. Und das Glück ist mit ihm." Ihre Freundin assistiert: Xi sei gut zu den einfachen Menschen, er mache China stolz. Das hört man oft. Die Reaktion einiger am Dienstag befragter Passanten zeigt zudem, dass die Zeiten vorbei sind, in denen ein Führer als Messias verehrt wurde: "Was hat das mit mir zu tun?", murmelt ein Straßenkehrer. Und die "neue Ära", was ist das für sie? "Ach, egal welche Ära", sagt der 33-jährige Wang: "Du kannst dich hier eh nur noch auf dich selbst verlassen." Herr Guo, der mit seinem kleinen Unternehmen Renovierungen erledigt, findet, sein "Glücksindex" habe sich unter Xi "nicht im geringsten" erhöht: "Der Druck wird immer größer, die Regierung mischt sich immer mehr bei den Unternehmen ein. Und jetzt können wir nicht mal mehr im Netz unsere Meinung sagen. Rot, rot, rot, das ganze Land ist nur noch rot."

Und bald wohl noch ein Stückchen röter. Chinas Erziehungsminister Chen Baosheng hat angekündigt, dass Chinas Schulkinder von nun an das neue Dogma verinnerlichen sollten. Das Xi-Jinping-Denken werde von nun an "in die Lehrbücher, in den Schulklassen und in den Gehirnen" der Schüler Eingang finden, und zwar als Teil der "historischen Mission" Chinas.

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