China Cables:Machtlos, hilflos, folgenlos

FILE PHOTO: People's Republic of China President Xi Jinping  speaks during the 75th annual U.N. General Assembly

Auf der Weltbühne: Chinas Präsident Xi Jinping während der UN-Vollversammlung im September in New York.

(Foto: United Nations/via Reuters)

Die Unterdrückung der Uiguren durch China ist eines der größten Menschenrechtsverbrechen dieser Zeit. Ein klassischer Fall also für den UN-Menschenrechtsrat. Das Gremium aber hat viel zu wenig Einfluss - und das neueste Mitglied ist ausgerechnet China.

Von Frederik Obermaier und Isabel Pfaff, München

Die Nachricht der chinesischen Diplomaten war dringlich: Die Vereinten Nationen mögen doch bitte mitteilen, ob sich "anti-chinesische Sezessionisten" für die nächste Sitzung des UN-Menschenrechtsrates angemeldet hätten, diese könnten eine Gefahr darstellen. Der E-Mail aus dem Jahr 2013, die der SZ vorliegt, war eine Liste mit 13 Namen beigefügt: Es handelte sich um Exil-Tibeter, chinesische Menschenrechtsaktivisten - und etliche Uiguren. Chinas Regierung hat sie im Visier.

Die muslimische Minderheit der Uiguren, die in der autonomen Region Xinjiang beheimatet ist, wird seit Jahren unterdrückt und assimiliert. Ihre Gebräuche werden verboten, Moscheen und Friedhöfe zerstört. 2019 belegten interne Regierungsdokumente - die sogenannten China Cables -, dass Uiguren willkürlich inhaftiert und indoktriniert werden. Mehr als eine Million Menschen sollen in riesigen Lagern im Nordwesten Chinas eingesperrt worden sein. In einem vertraulichen EU-Bericht aus dem Jahr 2018 ist die Rede von "Apartheid". Experten sprechen gar von einem kulturellen Genozid.

Eigentlich also ein klassischer Fall für die Vereinten Nationen und den UN-Menschenrechtsrat. Der 2006 eingesetzte, in Genf tagende Rat ist das zentrale UN-Organ zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten weltweit. Er ersetzte die Menschenrechtskommission, die in Verruf geraten war: zu zahnlos, zu unglaubwürdig. Häufig wurden Staaten mit problematischer Menschenrechtsbilanz in die Kommission gewählt; einige, wie der Sudan oder Libyen, übernahmen gar den Vorsitz.

Der Menschenrechtsrat kämpft 14 Jahre nach der Gründung mit ähnlichen Problemen wie das Vorgängergremium

Der Menschenrechtsrat ist mit 47 Mitgliedstaaten kleiner als das Vorgängergremium, tagt häufiger und verfügt über ein neues Instrument: die Universal Periodic Review, mit der jeder UN-Mitgliedstaat alle fünf Jahre hinsichtlich der Menschenrechtslage überprüft wird. Doch 14 Jahre nach seiner Gründung hat sich gezeigt, dass der Rat mit ähnlichen Problemen kämpft wie die Vorgängerorganisation. Auch der Umgang Chinas mit der Minderheit der Uiguren zeigt wieder die Macht- und Hilflosigkeit des Gremiums.

Das fängt schon mit der Besetzung des Rats an. Die UN-Generalversammlung wählt jedes Jahr ein Drittel der Mitglieder neu, die gewählten Staaten übernehmen ihren Sitz für eine Amtszeit von drei Jahren. 13 Sitze erhalten die afrikanischen Staaten, 13 Asien, acht die lateinamerikanischen und karibischen Staaten, sieben Westeuropa und Nordamerika, acht gehen an osteuropäische Länder. Obwohl die Generalversammlung "den Beitrag der Kandidaten zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte" berücksichtigen soll, geschieht das faktisch nicht. Oft verständigen sich die Länder der Regionalgruppen schon vor der Wahl, sodass sich am Ende nur genau so viele Kandidaten aufstellen, wie es freie Sitze gibt. Dass bei diesem Verfahren die üblichen Schwergewichte über die Wahl entscheiden, versteht sich von selbst. Von 2013 bis 2016 war auf diese Weise auch China Mitglied geworden.

UN-Experten werden von China nicht nach Xinjiang gelassen

Die USA zogen sich unter Donald Trump gleich ganz aus dem Gremium zurück, Russland gerät auffällig selten in den Fokus - und China? Ignoriert Kritik aus dem Menschenrechtsrat schlichtweg. Chinesen, die mit dem Gremium kooperieren, werden regelmäßig drangsaliert. Die UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet versucht schon seit mindestens 2018 Zugang in die Region Xinjiang zu bekommen. Ein 2019 von der UN-Generalversammlung verabschiedeter Bericht, der die Diskriminierung der Uiguren kritisierte, verhallte weitgehend ungehört. Chinas Regierung wies jegliche Kritik zurück, damit war die Sache erst mal erledigt - bis zu den China Cables. Erstmals war in offiziellen Behördendokumenten nachzulesen, wie Peking in der Region Xinjiang einen Lager- und Überwachungsstaat errichtet hat.

Der Weltkongress der Uiguren, die wichtigste Exilorganisation der Volksgruppe, hat sich nach den Enthüllungen nach eigenen Angaben an mehr als ein Dutzend UN-Sonderberichterstatter gewandt. An den Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit wegen der mutmaßlichen massenhaften Zerstörung von Moscheen in Xinjiang, an denjenigen für Minderheitenfragen wegen der Masseninternierungen und wegen angeblicher Zwangssterilisationen. Einige Sonderberichterstatter haben daraufhin "ernste Besorgnis" zum Ausdruck gebracht. Hinter den Kulissen sollen auch deutlichere Worte gefallen sein. Recht viel mehr aber ist nicht geschehen.

Fachleute stützen sich auf Augenzeugen, Satellitenbilder und geleakte Regierungsdokumente

China weist die Kritik zurück - mal ist von "Fälschungen" die Rede, mal von einer Verschwörung. Anders als 126 UN-Mitgliedsländer hat China auch keine dauerhafte Einladung für Experten der Vereinten Nationen ausgesprochen; die Lage vor Ort lässt sich deswegen auch nicht so einfach überprüfen. Den Menschenrechtsexperten bleiben für die Untersuchung der Vorwürfe vor allem Augenzeugenberichte, Satellitenbilder - und geleakte Regierungsdokumente. "Anders als im Strafrecht gilt hier nicht die Unschuldsvermutung", sagt der frühere UN-Sonderberichterstatter zur Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt vom Institut für Politische Wissenschaft in Erlangen. "Wenn eine Regierung keine unabhängigen Experten ins Land lässt, ist das verdammt verdächtig - und es gilt die Logik der Schuldvermutung. Es ist an der chinesischen Regierung, das Gegenteil zu beweisen. Nicht umgekehrt."

Seit den China Cables wurde die Lage der Uiguren in allen Sitzungen des Menschenrechtsrates angesprochen. Es wurde ein bisschen diskutiert, unterschiedliche Standpunkte protokolliert, auch Experten traten auf. Das war es dann aber auch schon wieder.

Derweil werden in Xinjiang immer wieder neue Lager entdeckt, und immer mehr Uiguren verschwinden. Erst vor wenigen Wochen wählte die UN-Vollversammlung derweil 15 neue Mitglieder in das Gremium. Eines davon ist China.

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