Chinas Kommunistische Partei:Der Pakt zwischen Staat und Volk bröckelt

Investors react as they look at computer screens showing stock information at a brokerage house in Fuyang

Entsetzt verfolgen private Investoren auf Bildschirmen die Talfahrt der Aktien am 28. Juli in einem Maklerunternehmen in Fuyang

(Foto: REUTERS)

Die Legitimität der KP-Herrschaft in China hängt am Erfolg der Wirtschaft. Doch seit Wochen fallen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen die Kurse. Das wird massive politische Folgen haben.

Kommentar von Christoph Giesen

Wie Politik in China funktioniert, lässt sich in den Geschichtsbüchern der Partei nachlesen: Neun Monate nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens bestellte Chinas Reformer, Deng Xiaoping, im März 1990 die Führung ein. "Warum unterstützt uns das Volk?", fragte er in die Runde und gab die Antwort gleich selbst: "Weil sich die Wirtschaft entwickelt hat." Der Alte stellte sodann eine zweite Frage: "Was aber, wenn das Wachstum plötzlich stagnieren sollte oder die Zuwachsraten jährlich nur bei vier bis fünf Prozent liegen, vielleicht sogar nur bei zwei bis drei Prozent, welche Folgen hätte das?" Und wieder antwortete Deng selbst: "Es wäre nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch ein politisches." Kurz: Die Legitimation der Kommunistischen Partei Chinas hängt ab vom Wachstum der Wirtschaft.

Daher gilt in China ein unausgesprochenes Abkommen zwischen Bevölkerung und Staatsführung: Ihr haltet euch aus der Politik heraus, wir sorgen dafür, dass die Wirtschaft brummt und es allen besser geht. Doch dieser Pakt ist brüchig geworden.

Die KP warb für den Aktienkauf, um ihren Einfluss zu sichern

Seit Wochen fallen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen die Kurse. Bis zu einem Drittel sind die Notierungen zurückgegangen. Panisch versuchte die Führung in Peking die Kursstürze abzumildern, Tausende Aktien ließ sie vom Handel aussetzen, Stützkäufe wurden angeordnet - vergeblich. Das Vertrauen von Millionen Anlegern ist futsch, genauso wie ein Großteil ihres Geldes. Viele von ihnen waren hochriskante Wetten eingegangen. Für jede Aktie, die sie kauften, liehen sie sich das Geld für bis zu neun weitere. Geht das gut, wird man schnell reich, läuft die Wette schief, verliert man alles. Und Millionen Chinesen haben verloren.

Dass sie überhaupt zu Anlegern wurden, dafür trägt die Staatsführung die Verantwortung. Es war die Propaganda der Partei, die laut für die Börse trommelte. Wer Aktien kaufe, lebe den "chinesischen Traum", hieß es. Noch im Mai, als etliche Analysten bereits vor einem Platzen der Blase warnten, verkündete die Volkszeitung, das Sprachrohr der Partei, dass die richtig ertragreiche Zeit erst jetzt beginne. Eine teuere Vorhersage.

Doch warum sollten überhaupt Millionen Chinesen, von denen laut Umfragen zwei Drittel keinen weiterführenden Schulabschluss haben, plötzlich zu Aktionären werden? Die Rechnung der Regierung war simpel.

Wer das Wirtschaftswachstum steigern will, kann dazu an drei Stellschrauben drehen: dem Export, den Staatsausgaben und dem Konsum. Bis etwa 2007 war das Wachstum relativ normal verteilt. Die Ausfuhren stiegen, die Binnennachfrage auch, und die staatlichen Investitionen waren zwar hoch, aber noch vertretbar. Seit der Finanzkrise im Westen ist das Wachstum jedoch aus dem Gleichgewicht geraten. Um die Einbrüche im Exportgeschäft zu kompensieren, flossen Milliarden in den Ausbau des Hochgeschwindigkeitszug-Netzes, neue Flughäfen wurden errichtet und Autobahnen geteert. Etliche Städte und Präfekturen sind deshalb beinahe zahlungsunfähig. Auch viele Staatsunternehmen haben seitdem hohe Schulden in den Büchern stehen. Mit dem Börsenboom sollte sich das alles ändern.

Die verschuldeten volkseigenen Konzerne sollten sich gesundstoßen. Kleinere Unternehmen, die bei der Kreditvergabe notorisch übergangen werden, sollten endlich an Kapital kommen, indem sie sich an den Märkten refinanzieren. Außerdem sollte das an der Börse gewonnene Geld in den Konsum fließen. Neue Autos, neue Handys, neue Wohnungen, für Chinas Wirtschaftswachstum - vor allem aber, um die Macht der Partei zu festigen.

Mit dem Platzen der Aktienblase ist jedoch das Gegenteil eingetreten. Wie soll der Konsum angekurbelt werden, wenn Millionen ihre Rücklagen an der Börse verzockt haben? Die Autoindustrie beklagt bereits deutliche Absatzrückgänge. Geht das Schlingern an der Börse noch lange weiter, dürfte die Binnennachfrage in China erheblich leiden. Um das Wachstum in den kommenden Jahren dennoch wie vorgesehen bei jährlich etwa sieben Prozent zu halten, muss die Führung wohl wieder neue Schulden machen und neue Staatsaufträge ausschreiben.

Die ökonomische Unwucht wird zunehmen, genauso wie der politische Druck, denn das Vertrauen in den Staat und die Allmacht der Partei ist merklich beschädigt. Die Führung reagiert darauf mit Härte: In der Außenpolitik schlägt Peking zunehmend nationalistische Töne an, und in China selbst sind Anwälte und Bürgerrechtler ständig neuen Repressionen ausgesetzt. Der Deal, den Deng seinen Genossen vor 25 Jahren diktierte und den ein ganzes Volk stillschweigend duldet, er ist dabei, anders auszugehen.

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