China:Volle Kraft ins Ungewisse

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Die Regierung in Peking setzt bei ultraschnellen Zügen auf rasantes Wachstum. Bald soll es ein neues Prestigeprojekt geben. Die neuen Bahnlinien haben jedoch einen hohen Preis.

Von Kai Strittmatter

Von Peking nach Shanghai sind es 1300 Kilometer. Mit dem Zug knapp viereinhalb Stunden. Eingesetzt werden Vorzeigezüge, die die Regierung auf den Namen "Harmonie" getauft hat. Fliegen braucht da keiner mehr. In die Hafenstadt Tianjin sind es 120 Kilometer. Die schafft "Harmonie" in einer halben Stunde. Fühlt sich an wie Vorort-S-Bahn. Längst haben die mehr als 300 Stundenkilometer schnellen Züge das Reisen im Land verändert.

Die Hochgeschwindigkeitszüge sind der Stolz des Landes, ein Ausweis der Modernität. Gerade hat die Regierung verkündet, ihr Lieblingssymbol fürs neue Zeitalter verknüpfen zu wollen mit dem mächtigsten Symbol für alte Größe: den Hochgeschwindigkeitszug und die Große Mauer - und zwar 2019, ein Jahr bevor Peking die Olympischen Winterspiele ausrichten darf. Dann soll China den tiefsten Untergrundbahnhof der Welt für Hochgeschwindigkeitszüge bekommen. 102 Meter unter der Erde soll er gebaut werden, direkt unter der Großen Mauer bei Badaling, unweit der Hauptstadt.

Das Tempo des Ausbaus ist, wie so oft in China, atemberaubend. 2008 setzte das Land mit Hilfe ausländischer Firmen - auch Siemens liefert Technologien zu - seine ersten schnellen Züge auf die Schiene. Jetzt, gerade mal acht Jahre später, ist das Netz 20 000 Kilometer lang. 2020 sollen es 30 000 Kilometer sein. Aber Chinas Eisenbahner wollen mehr: Züge, die bald mehr als 500 Stundenkilometer fahren, angeblich selbst entwickelte. Das sei kein Problem, sagt Professor Jia Limin von der Verkehrsuniversität in Peking: Schließlich habe China schon jetzt die ausländische Technologie "absorbiert und verdaut" und sei selbst innovativ. Auch exportieren will China seine Züge: Zwischen Ankara und Istanbul verkehren sie schon seit 2014. Von Budapest nach Belgrad soll bald ebenfalls eine Strecke verlaufen.

Pausen für Nachfragen erlauben das Tempo und die staatlich geschürte Begeisterung kaum. Die Linie von Peking nach Shanghai macht angeblich fast eine Milliarde Dollar Gewinn im Jahr und wird von der Regierung als "profitabelste Eisenbahnstrecke der Welt" gepriesen. Was die Staatsmedien meist nicht dazuschreiben: Alle anderen Strecken schreiben Verluste. Die Schulden der China Railway Corporation beliefen sich im ersten Quartal 2016 auf astronomische 637 Milliarden US-Dollar. Das Wirtschaftsmagazin Caixin nannte die Schuldenlast "möglicherweise untragbar".

Und dann ist da noch die Sicherheit. Als 2011 ein Zug bei Wenzhou eine Brücke hinabstürzte, öffnete sich dem geschockten Publikum ein Blick auf Pfusch und Korruption im Eisenbahnsektor. Eine Untersuchung machte 168 Mängel bei den Vorzeigezügen aus und urteilte, die meisten seien "auf Qualitätsprobleme bei Design und Produktion" zurückzuführen. Im März 2012 stürzte ein 300 Meter langes Teilstück des Netzes in der Provinz Hubei ein, Menschen kamen nicht ums Leben. Die Propaganda hat die Mahnungen, Chinas Planer wollten "zu schnell zu weit", bald wieder verstummen lassen.

Lieber feiert man Projekte wie den Bahnhof unter Badaling. Angst um die Große Mauer müsse keiner haben, erklärte Chefingenieur Luo Duhao: "Wir verwenden die weltweit fortschrittlichste Sprengtechnik."

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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