China und Nordkorea:Ein Abgrund von Nettigkeiten

Der Giftmord an Kim Jong-nam, einem Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, stellt die Beziehung zwischen Pjöngjang und Peking auf die Probe.

Von Christoph Neidhart und Kai Strittmatter, Peking/Tokio

Macao, Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China und Kasinohauptstadt der Welt, war für Nordkoreaner schon immer ein attraktives Pflaster. Hier wusch das Regime Geld, hier parkte es immer mal wieder Agenten. Hier fand aber auch Kim Jong-nam Zuflucht, der gefallene Sohn des verstorbenen "geliebten Führers" Kim Jong-il, Halbbruder des jungen Diktators Kim Jong-un. Hierher zog er kurz nach der Blamage 2001, als er bei der Einreise nach Japan geschnappt wurde, auf dem Weg ins Disneyland. Macao, das war auch sein Ziel, als er sich am Montag an den Flughafen von Kuala Lumpur begab, wo seine Mörderinnen ihn schon erwarteten.

Das gute Essen, die französischen Weine, die Kasinos, in denen man ihn ab und zu sah - Kim scheint das Leben in Macao genossen zu haben. Seine Familie lebt Berichten zufolge hier, eine Frau und zwei Kinder zumindest (Kim werden sechs Kinder von mehreren Frauen nachgesagt). Nicht mehr in der großen Villa, die Familie zog mehrmals um in bescheidenere Wohnungen - die Heimat hatte Kim Jong-nam vor einiger Zeit den Geldhahn zugedreht. Aber Macao hatte einen entscheidenden Vorteil: Hier hielt China seine schützende Hand über ihn. Vielleicht, um ihn als Faustpfand in der Hand zu haben, vielleicht aber auch nur, um Pjöngjang einen Gefallen zu tun: Beim Erzfeind Südkorea oder in den USA wollte das Regime den entfremdeten Verwandten auf keinen Fall sehen.

Pjöngjang weiß genau um seinen Trumpf: China fürchtet den Kollaps des Regimes

Die Beziehungen Chinas zum Nachbar Nordkorea waren immer heikel. Der Propagandaspruch aus dem Koreakrieg, wonach man einander so nah sei wie "Lippen und Zähne", deutet das hohe Maß an gegenseitigem Argwohn schon an. Man hat einander stets gebraucht. Und nie wirklich über den Weg getraut.

Öffentlich Nettigkeiten auszusprechen, hinter denen sich Abgründe verbergen, das ist das tägliche Brot der Diplomatie. Am Donnerstag dieser Woche gab Chinas Außenamtssprecher Geng Shuang eine Kostprobe. Befragt nach den Beziehungen Pekings zu Nordkoreas Regime, sagte Geng Shuang knapp, man pflege "eine freundschaftliche Tradition". Der Sprecher musste sich die Antwort abringen. Vier Tage zuvor hatte Nordkoreas Diktator Kim Jong-un zum großen Unmut Pekings die Welt mit einem weiteren Raketentest in Aufregung versetzt. Und drei Tage zuvor starb der unter Pekings Obhut stehende Kim Jong-nam. Ein Giftmord.

China und Nordkorea: Das Opfer ist der Sohn des verstorbenen Diktators Kim Jong-il, hier gemeinsam zu sehen auf einem Familienfoto aus dem Jahre 1981.

Das Opfer ist der Sohn des verstorbenen Diktators Kim Jong-il, hier gemeinsam zu sehen auf einem Familienfoto aus dem Jahre 1981.

(Foto: Afp)

Nur wenige Außenstehende kannten den Ermordeten so gut wie der Japaner Yoji Gomi, ein Reporter der Tageszeitung Tokio Shimbun. Er lernte Kim Jong-nam 2004 zufällig auf dem Flughafen von Peking kennen. Kim lebte damals schon in Macao im Exil. Er hatte sich in den Neunzigerjahren mit seinem Vater Kim Jong-il überworfen, nachdem er ihn auf einer Inspektionsreise durch Nordkorea begleitet und aufgefordert hatte, Wirtschaftsreformen einzuführen, so Gomi. Kim, der vom neunten bis zwanzigsten Lebensjahr in Genf zur Schule ging, habe Nordkorea an Europa gemessen. Das, und nicht die Tokio-Disneyland-Episode von 2001, habe zum Bruch mit dem Vater geführt, meint der japanische Journalist. Gomi gegenüber lehnte Kim Jong-nam Gomi ohnehin eine dynastische Erbfolge ab. "Das passt nicht zum sozialistischen System", habe er gesagt. Die Machtübernahme seines Halbbruders Kim Jong-un - den er nie persönlich traf - bezeichnete er als "Witz".

Kim hatte Japan zuvor mindestens fünf Mal inkognito besucht. Er erinnerte sich gerne an Kneipennächte in Tokio. Bis zum Zwischenfall auf dem Tokioter Flughafen reiste die Kim-Familie oft mit falschen Pässen, danach nur noch mit nordkoreanischen Reisedokumenten, so Gomi, aber unter falschen Namen. "Kim Chol" steht im Pass des Mannes, der in Kuala Lumpur vergiftet wurde. Diesen Namen benutzte Kim auch für seine Facebook-Seite: "Ich vermisse Europa", stand dort. Sie wurde am Donnerstag gelöscht.

"Kim Jong-nam galt als Frauenheld und obsessiver Spieler", so Gomi. "Aber ich habe ihn als besonnen, intellektuell und sehr freundlich erlebt, eine angenehme Persönlichkeit, die Kraft ausstrahlte." Gomi und Kim schrieben sich sieben Jahre lang E-Mails, insgesamt etwa 150. Der Journalist traf Kim für vier Interviews, sieben Stunden zeichnete er auf. Die ersten Male sei Kim locker gewesen. "Beim letzten Interview, im Januar 2011, schwitzte er am ganzen Körper, mir schien, er fürchte die Wirkung seiner Worte."

China und Nordkorea: Die Nachricht von Kim Jong-nams Ermordung am Flughafen von Kuala Lumpur beherrscht die Titelseiten. Kaum jemand bezweifelt, dass Pjöngjang hinter dem Giftanschlag steckt.

Die Nachricht von Kim Jong-nams Ermordung am Flughafen von Kuala Lumpur beherrscht die Titelseiten. Kaum jemand bezweifelt, dass Pjöngjang hinter dem Giftanschlag steckt.

(Foto: Mohd Rafsan/Afp)

2011 kam sein Halbbruder an die Macht: Kim Jong-un. Er habe umgehend den Befehl zur Ermordung Kim Jong-nams gegeben, sagte diese Woche Lee Byung-ho, Direktor des südkoreanischen Geheimdienstes, vor Parlamentariern in Seoul. Den Abgeordneten wurde von einem Brief Kim Jong-nams aus dem Jahr 2012 an das Regime in Pjöngjang berichtet, in dem dieser fleht, der Mordbefehl solle rückgängig gemacht werden. Wenn der japanische Reporter Gomi abgeholt wurde, um Kim zu treffen, dann von einem chinesischen Fahrer. "Kim sagte mir, er werde von den Chinesen beschützt." Später aber habe Kim den Personenschutz der Chinesen als umständlich und unangenehm empfunden. "Deshalb reiste er immer öfter ohne, vor allem nach Südostasien."

Wirklich wichtig scheint Kim Jong-nam am Ende den Chinesen nicht mehr gewesen zu sein. Dennoch muss seine Ermordung Peking treffen, sollte Pjöngjang dahinterstecken. Seit drei Generationen ignoriert die Kim-Dynastie in Pjöngjang Chinas Aufrufe zu wirtschaftlicher Reform und den chinesischen Widerstand gegen ihr Nuklearwaffenprogramm. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und Chinas starker Mann Xi Jinping haben sich bis heute nie getroffen. Einen empfindlichen Schlag erlitten die Beziehungen, als der junge Kim 2013 seinen Onkel Jang Song-thaek hinrichten ließ - bis dahin der Anführer des chinafreundlichen Lagers in Nordkorea. Nach außen hin sind China und Nordkorea Alliierte. China unterstützt offiziell die Sanktionen der UN, gleichzeitig liefert es dem Land Lebensmittel und Öl.

US-Präsident Donald Trump hat sich mehrmals über Twitter beschwert, dass Peking "nicht hilft bei Nordkorea". Er werde China dazu bringen, Kim Jong-un "auf die eine oder andere Weise schnell verschwinden zu lassen", teilte Trump mit. Wenn's denn so einfach wäre. In Wirklichkeit ringen sie auch in Peking längst die Hände über Kims Regime. Mit dem letzten Raketentest habe Pjöngjang die Chinesen einmal mehr desavouiert, sagt ein westlicher Beobachter in Peking.

Nordkorea lässt Peking seit Jahren auflaufen - weil es um seinen Trumpf weiß: China wird keinen Kollaps des Regimes zulassen. Millionen von Flüchtlingen, eventuell unkontrollierte Nuklearsprengköpfe und womöglich noch die Amerikaner an Chinas Grenzen - für Pekings Führer ist das im Moment ein weit größerer Albtraum als ein unfolgsamer Jungdiktator.

Das macht die Lage nicht weniger dringlich. "Es kommt möglicherweise gerade viel in Bewegung in die Situation auf der koreanischen Halbinsel", sagt Zhang Liangui, Nordkoreaexperte an der Zentralen Parteihochschule in Peking. Das Attentat auf Kim Jong-nam sei vielleicht ein Ausdruck davon. "An der Oberfläche scheint alles relativ ruhig zu sein. In Wirklichkeit sind die Probleme drängend. Die Nordkoreaner haben ihre Nuklearplanung während des Wahljahrs in den USA stark vorangetrieben. Wenn aber Nordkorea so weit ist, dass es die USA bedrohen kann, dann wird Washington das nicht mehr akzeptieren können. Trump wird handeln." Und was macht China dann? Der Professor schweigt. Das, sagt er dann, sei eine Frage, die nur das Außenministerium beantworten könne.

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