China und  Indien:Vorsichtiges Abtasten

Zwei Giganten im Wettlauf: China und Indien sind die Heimat von 2,5 Milliarden Menschen. Wenn dieses Drittel der Weltbevölkerung einander nicht anfeindet, sondern den Kontakt sucht und auf Kooperation setzt, ist das ein Grund zum Aufatmen.

Von Kai Strittmatter

China und Indien sind die Heimat von zusammen 2,5 Milliarden Menschen. Zwei gewaltige Länder, die zugleich aufsteigende Mächte sind. Wenn nun dieses Drittel der Weltbevölkerung einander nicht auf die Füße tritt oder gar die Köpfe einschlägt, dann ist allein schon das ein Grund zum Aufatmen. Noch schöner ist, dass die Führer der beiden Nationen sich nun bei ihrem Treffen in China darum bemühen, den jeweils anderen noch einmal mit ganz neuen Augen anzuschauen.

Selbstverständlich ist das nicht, auch wenn Ökonomen zu Recht darauf hinweisen, dass eine intensivere wirtschaftliche Kooperation von Indien und China für beide höchst profitabel sein wird. Beobachter sprechen da gerne von einem "no-brainer", von einem Sachverhalt also, der eigentlich jedem Kind einleuchtet. Politiker denken allerdings gerne etwas komplizierter. Zumal wenn es, wie im Falle von China und Indien, eine von Grenzkonflikten und Misstrauen durchsetzte Vergangenheit gibt, die bis heute Gift in jede Annäherung träufelt. Wichtiger noch als die Lasten der Vergangenheit ist das Rennen um die Zukunft: Beide Nationen ringen um neue Größe auf der Weltbühne.

Indiens Premier Narendra Modi und Chinas Staatschef Xi Jinping sind sich dabei erstaunlich ähnlich: Beide geben sie sich als entschlossene Nationalisten, beide führen sie mit neuen außenpolitischen Initiativen und Überraschungen ihr jeweiliges Land heraus aus der Rolle des bis vor Kurzem noch diplomatisch eher passiven Statisten. Zum einen heißt das: Es gibt wohl kaum bessere Akteure als diese beiden, um auf einen wirklichen Durchbruch zwischen den beiden Nationen hinzuarbeiten, also letztlich die Lösung des Grenzstreits. Gleichzeitig aber ist bei einer solchen Konstellation ebenso ersichtlich, wie leicht das angeblich "unzerbrüchliche Band" (Modi) zwischen Indien und China in tausend Stücke zerspringen kann.

Hinter schönen Worten lauern hässliche Konflikte

Der Wille zur Kooperation ist im Moment da - aber das Misstrauen ist deshalb nicht geringer geworden. Indien ist auch deshalb nervös, weil es um die Machtverhältnisse weiß. Zwar wird man in diesem Jahr wohl China beim Wirtschaftswachstum überholen, aber Chinas Bruttoinlandsprodukt ist noch immer vier Mal so groß wie das Indiens. China hat viel Geld, und geht damit auch bei Indiens Nachbarn Sri Lanka, Myanmar, Bangladesch und Nepal hausieren. In Indien sehen viele darin Versuche der Einkreisung. Nicht zuletzt Chinas Vision von einer "neuen Seidenstraße" beunruhigt Indien, und dann beschenkt China auch noch ausgerechnet den Erzrivalen Pakistan mit geplanten Rekordinvestitionen von 45 Milliarden US-Dollar.

Premier Modi reagierte auf die chinesische Herausforderung mit einem Heranrücken an die USA. Gleichzeitig vereinbarte er stärkere militärische Zusammenarbeit mit Vietnam und Japan, zwei Nationen, die mit China um Meeresterritorien streiten. Peking ist auch nicht entgangen, dass Modi China meinte, als er während seines Japanbesuchs im letzten Jahr scharfe Worte gegen eine "expansionistische Haltung wie aus dem 18. Jahrhundert" fand. Chinas populäres Nationalistenblatt Global Times revanchierte sich diese Woche mit einem wütenden Kommentar: Premier Modi spiele "kleine Tricks", Indiens Elite sei von einer blinden Arroganz und die einfachen Inder seien gar "zu minderwertig", um China objektiv beurteilen zu können.

Sicher, das Parteiblatt Volkszeitung fand gleichzeitig warme Worte für den Gast. Und die Führung in Peking wünscht sich Kooperation. Dennoch stolpert man allerorten darüber, dass hinter dem Vorhang schöner Worte eine Grube hässlicher Konflikte lauert. Die Regierungen beider Länder tasten sich nun ab, und versuchen es erst einmal miteinander. Man muss ihnen bei diesem Vorhaben Erfolg wünschen.

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