China:Umkämpftes Erinnern

China: Eine Hongkonger Gedenkinstallation, wie sie in Peking nicht möglich wäre: Ein Spielzeugpanzer rollt über ein rot gefärbtes T-Shirt, um an den Aufstand von Demokratieaktivisten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 zu erinnern, der brutal niedergeschlagen wurde.

Eine Hongkonger Gedenkinstallation, wie sie in Peking nicht möglich wäre: Ein Spielzeugpanzer rollt über ein rot gefärbtes T-Shirt, um an den Aufstand von Demokratieaktivisten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 zu erinnern, der brutal niedergeschlagen wurde.

(Foto: Tengku Bahar/AFP)

Am Samstag jährt sich das Tiananmen-Massaker. Während Pekings Kontrollapparat wie üblich zur Hochform aufläuft, spaltet die Frage des Gedenkens die Hongkonger Demokratiebewegung.

Von Kai Strittmatter, Peking

Am Samstag ist wieder der 4. Juni. Für China ist das ein besonderes Datum. So besonders, dass es als Suchbegriff im chinesischen Internet blockiert ist. Weil an dem Tag vor nun 27 Jahren Panzer durch das Herz Pekings rollten und der Demokratiebewegung von 1989 blutig den Garaus machten. Für Chinas Sicherheitsapparat sind die Tage um den 4. Juni herum auch in diesem Jahr wieder Tage der Nervosität, es sind längst aber auch Tage der Routine: Die Polizei setzt wie jedes Jahr Leute fest, die es wagen, an das Datum zu erinnern, schickt andere aus der Stadt und sperrt Dritte in den Hausarrest. Die Netzzensoren arbeiten besonders gründlich, sie blockieren Begriffe wie "jenes Jahr", "jener Tag", und am Samstag selbst wird wie in den vergangenen Jahren auch wahrscheinlich sogar das Wort "heute" als Suchbegriff tabu sein.

Die Maschinerie des Vergessens arbeitet gründlich und effizient: Fast wundert man sich, wenn, wie vor ein paar Tagen, mit einem Mal Bilder von selbstgemachten Schnapsflaschen auftauchen, deren Etikett das bekannte Foto von dem Mann zeigen, der, mit einer Plastiktüte in der Hand, am Platz des Himmlischen Friedens eine Kolonne von Panzern aufhält. "Erinnert euch", stand auf dem Etikett: "Acht Schnaps, Sechs Vier" - was sich auf Chinesisch ausgesprochen anhört wie "4. Juni 1989". Das Foto des Panzer-Mannes gehört zwar weltweit zu den ikonischen Bildern des 20. Jahrhunderts, ist in China selbst jedoch weitgehend unbekannt oder vergessen. Zensur und Propaganda haben das Land gründlich durchkämmt und ausgeklopft. Mit einer Ausnahme: Der einzige Flecken chinesischen Territoriums, an dem das Massaker von 1989 nicht vergessen ist, ist Hongkong, die einstige britische Kronkolonie, die erst 1997 an China zurückfiel. In Hongkong kann man Bücher und DVDs über das Frühjahr 1989 kaufen, man kann ein kleines, privates Museum zu den Ereignissen besuchen - und man kann vor allem am 4. Juni den Victoria-Park besuchen, wo sich Jahr für Jahr unzählige Menschen zu einer Lichtermahnwache treffen, um der Toten von 1989 zu gedenken.

100 000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter diesmal. Es ist die weltweit größte Gedenkveranstaltung für das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens, aber wenn sie diesmal in den Schlagzeilen ist, dann aus ganz anderen Gründen: Sie könnte zum Symbol werden für die Spaltung der Demokratiebewegung in Hongkong. Teile der jungen Generation wollen nicht mehr mitmachen. Erstmals haben die Vereinigung der Hongkonger Studenten und andere Gruppen angekündigt, sie wollten das Gedenken im Victoriapark boykottieren. Dabei ist es keinesfalls so, dass diese Gruppen fänden, man brauche nicht mehr gegen Peking zu demonstrieren. Im Gegenteil: Der Boykott ist vielmehr Ausfluss einer allmählichen Radikalisierung von Teilen der Oppositionsbewegung. Viele der jungen Studenten sagen, sie könnten mit der Art des Protestes, wie ihn die Hongkonger "Allianz zur Unterstützung der patriotischen Demokratiebewegung in China" seit 1990 im Victoria-Park organisiert, nichts mehr anfangen. Und zwar schlicht deshalb, weil sie sich weder für chinesische Patrioten hielten noch für China interessierten. Die Gruppen nennen sich "Localists" oder "Hongkong Indigenous" und träumen von einem unabhängigen Hongkong, einem Stadtstaat - Ideen, die noch vor Kurzem auch für viele Hongkonger Studenten undenkbar waren. Seit dem Scheitern der Regenschirmbewegung vom Sommer 2014 gewinnen sie jedoch bei einem Teil der Jugend an Boden.

Man solle sich um Himmels willen nicht spalten lassen, warnt einer der Studentenführer von 1989

Wie weit manche der Studenten sich entfernt haben von der älteren Generation Hongkonger Demokraten, zeigte sich im Ausbruch des Studentenvertreters Ng Kwai-lung von der Shue-Yan-Universität: Ng ging so weit, die Organisatoren des Victoriapark-Gedenkens als "Zuhälter und Kuppler" Pekings zu bezeichnen - bloß weil diese immer klargemacht hatten, dass ihnen die Demokratisierung Chinas, ja China selbst am Herzen liegt. Das brachte dem Studenten nicht nur die Empörung der moderaten Demokraten ein, das rief auch Wang Dan auf den Plan, den bekanntesten der Pekinger Studentenführer von 1989, der heute in Taiwan lebt. Er rief die Demokraten in Hongkong auf, sich um Himmels willen nicht spalten zu lassen, weil das allein Peking in die Hände spiele. Leute wie Ng, so Wang Dan, erledigten letztlich die Drecksarbeit Pekings. Die boykottierenden Studenten wiederum argumentieren, das Lichtermeer im Victoriapark habe längst jede Bedeutung verloren: Es sei nur mehr ein leeres Ritual.

Proteste, das deuteten die Studenten an, wird man auch von ihnen erwarten dürfen. Nach friedlichem Kerzenhalten allerdings steht ihnen nicht der Sinn. Studentengewerkschaften wollen am Samstag Seminare organisieren zur Zukunft Hongkongs, einige Radikale könnten auch Randale im Sinn haben. Eines aber haben die Boykotteure bislang nicht überzeugend erklären können: Warum eigentlich das Streben nach einem unabhängigen Hongkong ihnen gestatten sollte, einfach die Augen zu schließen vor dem mächtigen, autoritären Apparat, der China beherrscht und ihre Stadt längst in der Zange hat.

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