China:Todkranker Regimekritiker will zur Behandlung nach Deutschland

China: Solidarische Grüße: Unterstützer tragen Postkarten, die an Liu Xiabo adressiert sind, zum Hauptpostamt in Hongkong.

Solidarische Grüße: Unterstützer tragen Postkarten, die an Liu Xiabo adressiert sind, zum Hauptpostamt in Hongkong.

(Foto: AFP)
  • Der schwer kranke chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo möchte zur Behandlung nach Deutschland kommen.
  • Die chinesischen Behörden, die ihm bisher die Ausreise verweigerten, geraten nun immer stärker unter Druck.

Von Christoph Giesen, Peking

Wer Neuigkeiten zum Gesundheitszustand des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo erfahren wollte, musste bislang die Website des Universitätskrankenhauses in Shenyang aufrufen. Seit gut einem Monat liegt Liu hier vollkommen abgeschirmt, Diagnose: Leberkrebs im Endstadium. Eine ganze Etage des Krankenhaus haben sie abgesperrt. Wer zu Liu will, wird gefilzt und muss sein Handy abgeben.

Doch Besuch konnte Liu bislang ohnehin kaum empfangen. Nur seine Frau Liu Xia wurde vorgelassen, sie steht selbst seit 2010 unter Hausarrest. Immerhin dürfen jetzt zwei Brüder zu ihm, ansonsten verbreiteten sich Informationen per stiller Post. Lius Anwälte äußern sich regelmäßig, aber sehen dürfen auch sie ihren Mandanten nicht.

Am Samstag dann eine Meldung auf der Krankenhauswebsite: Zwei Ärzte, einer aus Deutschland, der andere aus den USA, untersuchen Liu um 18 Uhr Ortszeit. Menschenrechtsaktivisten und Politiker aus den Vereinigten Staaten und Europa hatten die chinesische Regierung zuvor aufgefordert, Liu eine Behandlung im Ausland zu ermöglichen.

Bislang war von chinesischer Seite eine Ausreise stets aus medizinischen Gründen verwehrt worden. Liu sei nicht transportfähig, wurde etwa Ende Juni dem amerikanischen und dem deutschen Botschafter bei einem Termin im Pekinger Justizministerium mitgeteilt. Sollten nun ausländische Mediziner diese These stützen? Falls das der Plan war, so ist der gescheitert.

Am Sonntagvormittag verbreiteten die beiden Ärzte ihr Bulletin. Kaum zwei Seiten ist es lang und doch ein Politikum: Entgegen den chinesischen Angaben halten die westlichen Ärzte Liu durchaus für transportfähig. Unter "angemessener" medizinischer Betreuung sei eine Verlegung des 61-Jährigen möglich, erklärten der deutsche Chirurg und Leberspezialist Markus Büchler von der Universität Heidelberg und der amerikanische Onkologe Joseph Herman vom MD Anderson Cancer Center der Universität Texas. "Allerdings muss die Verlegung so schnell wie möglich erfolgen", heißt es in der Stellungnahme. Sowohl das Klinikum in Heidelberg als auch das Cancer Center in Texas seien bereit, Liu weiterzubehandeln.

Ginge es nach Liu, säße er wohl schon bald in einem Flugzeug nach Deutschland. Während der Untersuchung, so berichten es Teilnehmer, habe Liu Englisch mit den beiden Ärzten gesprochen und dabei klar den Wunsch geäußert, die Volksrepublik zu verlassen. Seine Präferenz: Deutschland; noch vor den USA.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den chinesischen Behörden am Sonntag vor, zu lügen: Das beweise das Bulletin. Die Regierung solle "Liu Xiaobos Wunsch respektieren, das Land zu verlassen, bevor es zu spät ist", statt weiter "falsche Nachrichten" zu verbreiten, forderte Patrick Poon, der China-Beauftragte von Amnesty International.

Eine Horrorvorstellung für den Apparat

Wird die chinesische Führung Liu tatsächlich ausreisen lassen? 2009 war Liu wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte ein Manifest mitverfasst, das demokratische Reformen in China forderte. Ein Jahr darauf bekam er in Abwesenheit den Friedensnobelpreis verliehen. Er ist der mit Abstand bekannteste politische Gefangene Chinas.

Und dieses Land steht unmittelbar vor dem 19. Parteitag. Die Führung in Peking ist hoch nervös. Parteitage finden in China nur alle fünf Jahre statt. Wer künftig die Volksrepublik regiert, wer in die Machtzentrale Chinas, den Ständigen Ausschuss des Politbüros, einziehen wird, all das entscheidet sich in den kommenden Wochen. Ein todkranker Friedensnobelpreisträger im Exil, der nichts mehr zu verlieren hat, gar zum Märtyrer werden könnte: eine Horrorvorstellung für den Apparat.

Der Plan der vergangenen Wochen, Lius Ausreise aus medizinischen Gründen zu verhindern, ist nicht mehr glaubwürdig. Gut möglich, dass nun umgedacht und ein anderer Grund gefunden wird, Liu die Ausreise zu verwehren.

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