China:Helden zu Lumpen

Peter Dahlin

Demütigung vor einem Millionenpublikum: NGO-Gründer Peter Dahlin aus Schweden

(Foto: AP)

Chinas neueste Propaganda-Show: Bürger werden an den Pranger gestellt und im Fernsehen als reuige Sünder vorgeführt. Das erinnert an dunkle Zeiten.

Von Kai Strittmatter, Peking

Charles Xue war der Erste, im Sommer 2013. Ihn suchte die Partei sich aus, als sie sich das Internet vorknöpfen wollte, die sozialen Netzwerke, die ihrer Kontrolle entglitten waren. Aus Sicht der Partei war Charles Xue eine gute Wahl: ein prominenter Start-up-Investor, vor allem aber ein liberaler Starblogger mit 12 Millionen Followern, der sich für entführte Kinder engagierte, gegen giftige Lebensmittel protestierte und oft die Untätigkeit der Behörden kritisierte. Zuerst nahmen sie ihn fest, vor laufenden Kameras: Gruppensex mit Prostituierten lautete der Vorwurf. Dann verschwand er in Haft.

Als er einige Wochen später auftauchte, war die ganz große Bühne vorbereitet: CCTV, das zentrale Staatsfernsehen, brachte Charles Xue in die Wohnzimmer der Nation. Da saß ein blasser Mann in grüner Häftlingskluft, gebrochen, voller Reue, dem CCTV-Reporter eifrig seine Unterwerfung diktierend, seine Sünden denunzierend. Seine Sünden? Das freie Bloggen, die Kritik an Missständen. "Aus Eitelkeit" habe er das alles nur getan, sagte er. In Wirklichkeit aber sei die für kurze Zeit herrschende Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken "unverantwortlich" gewesen. Gott sei Dank sei die Partei aufgewacht. Endlich habe sie Leuten wie ihm Einhalt geboten, gehe sie daran, das Netz zu kontrollieren. "Das war dringend notwendig."

Ein Blogger nach dem anderen verstummte

Aus Sicht der KP war die Geständnis-Show ein voller Erfolg. Chinas eben noch freimütige Starblogger verstummten einer nach dem anderen, über Nacht waren Chinas soziale Netzwerke als Forum der gesellschaftlichen Debatte tot. Und Chinas Sicherheits- und Propaganda-Apparat hatte seine neueste Waffe: den Fernsehpranger. Seither gibt es auf CCTV eine nicht abreißen wollende Parade von Festgenommenen, die der Nation als geständige und reuige Sünder vorgeführt werden - lange bevor sie einen Rechtsanwalt zu Gesicht bekommen, geschweige denn einen Gerichtssaal. In der vorigen Woche traf es auch Ausländer, zwei EU-Bürger: den in Peking festgenommenen NGO-Gründer Peter Dahlin und den in Thailand verschwundenen Hongkonger Buchhändler Gui Minhai, beide schwedische Staatsbürger. Dahlin gestand "kriminelle" Aktivitäten seiner NGO und bedauerte zutiefst, "die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt zu haben", Verleger Gui Minhai betonte unter Tränen, sich freiwillig in die Hände der chinesischen Polizei begeben zu haben.

Der Fall der Schweden rief "Reporter ohne Grenzen" auf den Plan; die Organisation rief die Europäische Union zu Sanktionen gegen CCTV und die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua auf. Die beiden seien "Waffen der Massenpropaganda", die "wissentlich Lügen" und "erzwungene Geständnisse" verbreiteten. Kooperationen mit Xinhua und CCTV - wie viele europäische Medien sie derzeit praktizieren - müssten sofort eingestellt werden.

"Ein Echo der Kulturrevolution"

In China selber erinnert die Praxis an dunkle Zeiten: "Das ist ein Echo der Kulturrevolution", sagte der Pekinger Rechtsanwalt Si Weijiang der SZ. Das Brechen von Abweichlern, ihre öffentliche Demütigung, die vor den Massen zur Schau gestellte Selbstkritik und Reue, all das erlebten die Chinesen Tag für Tag im Schrecken der zehn Jahre Kulturrevolution (1966-1976). Damals fanden die Kampf- und Kritikversammlungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen statt. Mit einer "Massenvergewaltigung" verglich einmal ein so gepeinigter Lehrer die Erfahrung. Der CCTV-Pranger ist die Wiederauferstehung der Praxis im Medienzeitalter, mit im Einzelfall weit größerer Wirksamkeit. "Die KP unter Parteichef Xi Jinping", urteilte sarkastisch der Autor Murong Xuecun, "hat die öffentliche Demütigung zu einer auserlesenen chinesischen Kunst erhoben, in einer Reihe mit unserer Seide und unserem Porzellan."

TV-Geständnisse im Dienst einer höheren politischen Agenda

Die Liste der im Gefängnis Vorgeführten ist bunt. Darunter waren ein haschrauchender Popstar, ein mörderischer Sektenführer und der Wirtschaftsjournalist Wang Xiaolu, den sich die Polizei nach dem Börsencrash im Sommer als Sündenbock schnappte und der im Fernsehen gestand, mit einem "sensationsheischenden" Artikel die Panik ausgelöst zu haben. Die meisten allerdings passen in das Muster der zunehmenden Repression seit dem Amtsantritt von Partei- und Staatschef Xi Jinping Ende 2012. Die Propaganda stellt die TV-Geständnisse jeweils in den Dienst einer höheren politischen Agenda. Bei Charles Xue war es der Schlag gegen die sozialen Medien, der Fall des Schweden Dahlin betrifft gleich zwei Gruppen: Zum einen plant die KP ein großes Manöver gegen NGOs und ihre Auslandsbeziehungen, zum anderen hat sie besonders Chinas Bürgerrechtsanwälte im Visier - und Dahlins NGO half diesen bei der Weiterbildung.

Anwälte überboten sich darin, einander zu denunzieren

Die Bürgerrechtsanwälte traf der Medienpranger mit besonderer Wucht: Die beispiellosen Massenfestnahmen von Anwälten im vergangenen Sommer wurden begleitet von "der vielleicht größten Schmutzkampagne staatlicher Medien in der jüngeren Geschichte", wie das Magazin der American Bar Association, der weltgrößten Juristenvereinigung, urteilt. Die Anwälte waren in den Augen der KP zunehmend zum Problem geworden, weil ihre Zahl auf landesweit 200 bis 300 gewachsen war, sie sich untereinander vernetzten und geschickt das Internet für ihre Fälle nutzten. Nach der Verhaftung der Anwälte der Pekinger Fengrui-Kanzlei - in Wirklichkeit eine "Verbrecherbande", wie der TV-Moderator enthüllte - bot CCTV dem Publikum ein besonderes Spektakel: Es wurden gefangene Anwälte vorgeführt, die sich nicht nur selber bezichtigten, sondern einander darin überboten, den anderen zu denunzieren. In Einspielfilmen würzte CCTV das Spektakel mit einer kräftigen Prise Sex und Rufmord. Die Anwälte wurden als geldgierige Abzocker und moralisch verkommene Subjekte gezeigt. Kanzleichef Zhou Shifeng etwa habe sich gleich sechs Geliebte gehalten.

"Die meisten Zuschauer glauben wohl, was sie da sehen"

Die Botschaft ist stets klar: Die Partei kann jeden Anwalt über Nacht in einen Verbrecher verwandeln; jeden Helden in einen Lumpen. Ebenso klar ist das Ziel: eine gesellschaftliche Gruppe einzuschüchtern und sie in den Augen des Volkes zu verunglimpfen. Funktioniert das? "Ich fürchte ja", sagt Anwalt Si Weijiang. "Die meisten Zuschauer glauben wohl, was sie da sehen." Si nennt die CCTV-Schaugeständnisse eine "Travestie des Rechtsstaats". Sein Kollege Tan Mintao aus Xi'an spricht in einem Aufsatz von einer "Schande" und von "einem der dunkelsten Momente in Chinas Rechtsgeschichte". Dabei sprach kaum ein Parteiführer je so viel von "Rechtsstaatlichkeit" wie der jetzige, Xi Jinping, der seinem Volk den "chinesischen Traum" versprochen hat. "Wenn aber Urteile außerhalb des Gerichtssaals gesprochen werden", sagt Si Weijiang. "dann zerstört das die Grundlagen des Rechtssystems."

Manche der Vorgeführten werden nach ihrer TV-Buße weitergereicht an ordentliche Gerichte. Dem Anwalt Zhou Shifeng etwa droht nun eine langjährige Haftstrafe wegen "Subversion". Andere werden für ihr Fernsehgeständnis mit der Freilassung belohnt. Blogger Charles Xue etwa, der "aus medizinischen Gründen" entlassen wurde, als Geschäftsmann ruiniert, als Mensch stigmatisiert. Kaum in Freiheit, setzte Xue eine Nachricht ab auf dem Kurznachrichtendienst Weibo. Darin gelobte er, nie mehr "Gerüchte", sondern nur noch "positive Energie" verbreiten zu wollen. Er wolle Chinas Jugend nun helfen, den "chinesischen Traum" zu verwirklichen.

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