China:Geschichte in Beton gegossen

China Xinjiang Kashgar Old Town

Traditionelle Wohnbunker: In der ostchinesischen Stadt Kaxgar wurde über Jahre ein Großteil der Altstadt abgerissen und mit Wolkenkratzern oder diesen Imitationen der alten Häuser wieder aufgebaut.

(Foto: How Hwee Young/dpa)

Das Land hat jahrelang seine alten Innenstädte durch Wolkenkratzer ersetzt - und entdeckt plötzlich den Wert längst abgerissener Bauwerke.

Von Kai Strittmatter

Es ist wohl die Reue, die aus dieser Direktive der Regierung in Peking spricht. Eine dringliche Mahnung ist das Dokument: Chinas Städte sollen aufpassen, dass sie einander nicht wie ein Ei dem anderen gleichen. "Vermeidet 1000 Stücke mit derselben Melodie und eintausend Städte mit demselben Gesicht." Allein, der Mahnruf kommt zu spät, die Bauwut der letzten Jahrzehnte hat ihr Werk schon vollbracht.

Ganz China wurde einmal in Grund und Boden gestampft. Allein in den drei Jahren von 2011 bis 2013 verbrauchte China mehr Zement als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Dieser Zement wurde in neue Retortenstädte gegossen, er wurde aber auch über den alten Stadtzentren ausgekippt. Es ist einerseits eine Riesenleistung: China erlebt den größten Urbanisierungsschub der Weltgeschichte und hat Massenelend und Slums wie anderswo bisher vermieden. Zugleich hat dieser Feldzug alles ausgelöscht, was Chinas Städte an Geschichte, Identität und Charakter besaßen: Vom Norden bis zum Süden sehen sie nun aus wie geklont. Kaum ein Gebäude ist älter als 20 oder 30 Jahre. Alle haben sie ihre Peking nachempfundenen überdimensionierten Boulevards und Plätze und ihre gigantischen Regierungspaläste. Ihre Altstädte rissen sie alle ab für Shoppingmalls, Bürotürme und Appartementblöcke, mancherorts lugen noch ein Tempel oder eine Pagode hervor, kleine Museumsinseln in dem blutleeren urbanen Brei.

Die Geschichtsvergessenheit, der Verlust der menschlichen Proportion, seine Wurzeln hat all das schon in den ersten Jahren der Volksrepublik, als die Stadtplaner dem sowjetischen Vorbild nacheiferten: Produktivität und soziale Kontrolle waren die Maßstäbe. Aber auch die Parteibürokraten der Reformjahre plagte das tiefe Misstrauen gegen alles organisch Wachsende, auch sie planten auf dem Reißbrett. Die Stadtregenten haben sich bis heute allein Peking gegenüber zu verantworten, da zählten noch in der tiefsten Provinz nur Wachstumszahlen, auch bei den Stockwerken glitzernder Bürotürme.

Neu war nun die Hatz in die dem Kapitalismus abgeschaute Moderne, neu waren auch die Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung, denen am Ende noch die großartigsten alten Städte des Reiches zum Opfer fielen. Kunming zum Beispiel, oder Chengdu - regiert von Parteimännern wie jenem Li Chuncheng (Spitzname: "Li Reißt-die-Stadt-ab"), der dem alten Chengdu den Garaus machte. Heute sitzt er im Gefängnis, wegen Korruption, wie so viele andere. Das alte Chengdu hat das nicht wiedergebracht.

Nun hat sich die KP, die einst stolz war auf die Auslöschung des Alten, gewandelt: Bei der Schaffung eines neuen Nationalismus erscheinen ihr Chinas Traditionen mit einem Mal nützlich. In der Direktive heißt es, die Partei habe eine "historische Verantwortung" zum Schutze der alten Kultur. Auch die Stadtplaner müssten deshalb "prominente Beispiele besonderer kultureller Eigenheiten und Symbole" in die Städte der Zukunft integrieren. Man ahnt, wie das aussehen könnte, Beispiele gibt es schon jetzt, auch mitten in Peking und Shanghai: Disney-Versionen alter Gebäude, Gassen oder Tempel für die Touristen. Im "traditionellen Stil" wieder aufgebaut. Noch größer, noch schöner.

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